Corona-Pandemie Ethikrat spricht sich gegen Sonderrechte für Geimpfte aus

Alena Buyx, Vorsitzende Deutscher Ethikrat, präsentiert die Stellungnahme
Foto: Michael Kappeler / dpaBei manchen Filmszenen zuckt man inzwischen fast zusammen: Menschen sitzen entspannt in vollen Restaurants, in Klubs wird wild gefeiert, Fremde unterhalten sich in einem Zug miteinander – selbstverständlich ohne Mund-Nasen-Schutz. Von der Umarmung eines Freundes bis zur großen Feier im Familienkreis: Corona macht derzeit vieles unmöglich. Der Wunsch wächst, dass sich das schnell ändert. Auch weil die Krise noch deutlich gravierendere Folgen hat, sozial und wirtschaftlich.
Da stellt sich die Frage: Können nicht wenigstens alle Geimpften wieder tun, was vor Corona normal war? Der Ethikrat hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob für Geimpfte besondere Regeln gelten sollen, und eine Ad-hoc-Empfehlung veröffentlicht. In der Stellungnahme spricht sich der Ethikrat gegen entsprechende Sonderregeln aus.
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbietet sich die individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen nach Ansicht des Ethikrates schon deshalb, weil die Möglichkeit einer Weiterverbreitung des Virus durch Geimpfte nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann«, heißt es in einer Mitteilung. Die aktuellen Einschränkungen seien ohnehin nur so lange gerechtfertigt, wie die Versorgung der schwer erkrankten Covid-19-Patienten das Gesundheitssystem akut zu überlasten drohe. Könne dieses Risiko gesenkt werden, müssten auch die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung gelockert werden – dann aber auch für alle.
Vorherige Lockerungen für Geimpfte seien nur denkbar, wenn gesichert wäre, dass Geimpfte das Virus nicht mehr weitergeben. Liegen neue Daten dazu vor, müsse erneut abgewogen werden, erklärten die Vorsitzenden des Ethikrates auf einer Pressekonferenz. Vergleichsweise wenig einschneidende Vorgaben wie Abstandsregeln und Maskenpflicht sind den Ethikern zufolge jedoch in jedem Fall weiterhin zumutbar, auch für Geimpfte.
Ausnahme: Pflegeeinrichtungen und private Unternehmen
Eine Ausnahme soll es laut der Stellungnahme des Ethikrates allerdings geben. Die insgesamt kritische Beurteilung möglicher Sonderregeln gelte nicht für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflege-, Senioren, Behinderten- und Hospizeinrichtungen, heißt es in einer Mitteilung. Dort sollten Ausgangsverbote und Beschränkungen bei Besuchen aufgehoben werden, wenn die Menschen durch Impfungen geschützt sind.
»Angesichts der erheblichen Belastungen, welche diese Personengruppe bereits im Verlauf der Pandemie erlebt hat, kann dies ethisch gerechtfertigt werden«, schreibt der Ethikrat. Da das Risiko durch eine Infektion dort besonders hoch war, seien die Bewohner solcher Einrichtungen während der Pandemie Belastungen ausgesetzt gewesen, die erheblich über das hinausgingen, was andere Bürgerinnen und Bürger erdulden mussten. Zu den Folgen zählten etwa Depressionen und der Verlust des Lebenswillens. Die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, sprach davon, die Maßnahmen mit Augenmaß schnellstmöglich aufzuheben.
In Abgrenzung zu staatlichen Regeln ist es den Ethikern zufolge zudem denkbar, dass private Anbieter, also zum Beispiel Fluggesellschaften, den Zugang zu ihren Waren und Dienstleistungen von einer Impfung abhängig machen. Dies sei auf die Vertragsfreiheit zurückzuführen, so der Ethikrat. Demnach können Privatpersonen und private Unternehmen grundsätzlich entscheiden, mit wem sie einen Vertrag schließen wollen.
»Wenn zum Beispiel Restaurants wieder öffnen oder Konzerte wieder stattfinden, können Veranstalter diese nur Geimpften anbieten, um für sich zu werben und ihre Mitarbeiter zu schützen«, sagte Volker Lipp, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, bei einer Pressekonferenz. Dies gelte jedoch immer nur unter Beachtung der staatlichen Infektionsmaßnahmen. Solange Restaurants also durch staatliche Maßnahmen geschlossen sind, können Betreiber laut Einschätzung des Ethikrates auch auf dieser Basis nicht entscheiden, sie für Geimpfte zu öffnen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuletzt darauf hingewiesen, dass bisher offen sei, ob ein Geimpfter andere noch anstecken könne. Solange das nicht geklärt sei, könne es überhaupt keine besonderen Maßnahmen oder Rechte für Geimpfte geben.
Mit Blick auf Menschen, die sich später bei ausreichendem Impfangebot nicht immunisieren lassen wollen, fügte Merkel hinzu: »Dann muss man vielleicht schon solche Unterschiede machen und sagen: Okay, wer das nicht möchte, der kann vielleicht auch bestimmte Dinge nicht machen.«