Corona-Patient auf der Intensivstation (Symbolbild)
Corona-Patient auf der Intensivstation (Symbolbild)
Foto: NurPhoto / Getty Images

Gleiche Gene, gleiches Zuhause, gleicher BMI Das Corona-Rätsel der Zwillingsbrüder

In Italien infizieren sich zwei Brüder gleichzeitig mit dem Coronavirus. Der eine muss um sein Leben kämpfen, der andere erkrankt vergleichsweise leicht. Das Besondere: Die beiden sind eineiige Zwillinge.
Von Irene Berres

Das Leben kann bekanntlich sehr ungerecht sein, das trifft auch auf Covid-19 zu: Während manche Menschen schwer erkranken, spüren andere nicht einmal etwas von ihrer Infektion. Bislang wissen Mediziner nur wenig darüber, warum einige Menschen so viel gefährdeter sind als andere.

Klar ist, dass unter anderem das Alter und Vorerkrankungen eine Rolle spielen. Ein im Dezember veröffentlichter Fallbericht von eineiigen Zwillingsbrüdern aus Italien zeigt jedoch, dass eine Infektion selbst bei Menschen sehr unterschiedlich verlaufen kann, die sich bis auf die Gene gleichen.

Die Corona-Geschichte der beiden Männer beginnt am 9. März: Erst entwickeln sie parallel Fieber, dann eine verstopfte Nase, schließlich kommen Müdigkeit, Atemnot und ein trockener Husten hinzu. Nach zehn Tagen fahren die Brüder ins Krankenhaus, wo ein Test bestätigt: Sie haben sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert, mit Sars-CoV-2.

Gleiches Zuhause, gleiche Arbeit, gleicher BMI

Die beiden Männer gleichen sich so sehr, wie es wahrscheinlich nur selten bei zwei Menschen vorkommt. Sie wohnen bei der gleichen Adresse, arbeiten in der gleichen Werkstatt, wo sie Autos reparieren. Keiner von beiden hat eine Vorerkrankung, keiner raucht, keiner hat Bluthochdruck, sogar der BMI ist identisch: Mit 26 tendieren sie ganz leicht zum Übergewicht.

Nur in einem Punkt unterscheiden sich die Beschreibung der beiden: Der eine ist verheiratet, wie aus dem Fallbericht in den »Annals of Internal Medicine«  hervorgeht. Der andere nicht.

Angesteckt haben sich die Männer wahrscheinlich bei einem Kunden, zu dem sie engen Kontakt hatten. Nach ihrer Aufnahme ins Krankenhaus diagnostizieren die Ärztinnen und Ärzte bei beiden eine Lungenentzündung. Auch was dann folgt, ist noch identisch. Sie erhalten eine Sauerstofftherapie, Paracetamol und zwei antivirale Mittel sowie einen niedrig dosierten Blutverdünner, der Gerinnseln vorbeugen soll.

Nach wenigen Tagen im Krankenhaus deuten sich jedoch erste Unterschiede an. Während sich der erste Zwilling – es ist der verheiratete – langsam erholt, verschlechtern sich die Werte seines Bruders. In seinem Blut mehren sich die Anzeichen auf eine starke Entzündung, seiner Lunge gelingt es immer schlechter, Sauerstoff aus der Luft zu filtern. Seine Körpertemperatur steigt, er entwickelt erneut Fieber.

Der eine auf der Intensivstation, der andere wieder zu Hause

Nach sieben Tagen trennen sich die Wege der Zwillinge im Krankenhaus: Während der eine weiter auf der Normalstation bleibt, um sich auszukurieren, wird sein Bruder auf die Intensivstation verlegt und künstlich beatmet. Während der eine vor der Entlassung steht, entwickelt der andere durch eine zusätzliche bakterielle Infektion einen septischen Schock.

Die Ärzte müssen um sein Leben kämpfen.

Sie behandeln ihn mit Antibiotika, Steroiden, Medikamenten, die die Blutgefäße zusammenziehen und seinen Kreislauf stabilisieren sollen. Die Therapie glückt. Nach vier Tagen können die Ärzte die künstliche Beatmung wieder beenden, er kommt zurück auf die Normalstation.

Nach 17 zusätzlichen Tagen im Krankenhaus kann der Mann ohne weitere Komplikationen entlassen werden. Am Ende hat auch er Glück: Die Genesung läuft zwar langsam. Trotz der schweren Erkrankung erholt er sich jedoch vollständig, auch seine Lunge gewinnt ihre ganze Kraft zurück.

Vielleicht der Darm, vielleicht das Immunsystem

»Es werden oft genetische Faktoren angeführt, um zu erklären, warum Covid-19 bei Menschen so unterschiedlich verläuft«, schreiben die Mediziner um Davide Lazzeroni vom IRCCS Don Carlo Gnocchi in Florenz. Bei den Brüdern kann dies nicht zutreffen. Auch das Alter, Bluthochdruck, chronische Erkrankungen oder Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung kommen nicht als Ursache in Betracht.

Zwar liefern die Autoren des Fallberichts keine Antwort auf die Frage, was bei den Brüdern den Ausschlag gegeben haben könnte. Unter dem Fallbericht finden sich jedoch Beiträge verschiedener Mediziner, die über mögliche Gründe spekulieren.

Könnte es etwa sein, dass sich der eine Zwilling in der Vergangenheit mit einem harmlosen Corona-Erkältungsvirus infiziert hatte? Und sein Immunsystem Sars-CoV-2 deshalb besser abwehren konnte? Studien weisen zumindest auf eine solche, mögliche Kreuzimmunität hin.

Ein anderer Arzt hält es für denkbar, dass eine unterschiedliche Darmflora die verschiedenen Verläufe zumindest teilweise erklären könnte. Es gebe Studien, laut denen sich unverheiratete Menschen schlechter ernähren, argumentiert der Mediziner. Ob dies auch auf den Mann im Fallbericht zutrifft, lässt sich aus der Veröffentlichung nicht herauslesen. Vielleicht saß er auch jeden Tag bei seinem Zwillingsbruder mit am Esstisch.

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