Verdauungsprobleme Der Darm ist mein Schwarm

Giulia Enders: Die 24-jährige Medizinstudentin erklärt humorvoll, wie der Schließmuskel funktioniert
Foto: Gerald von Foris
Giulia Enders hat Medizin studiert. Für ihre Doktorarbeit forscht die 24-Jährige am Institut für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene in Frankfurt am Main. Sie ist zweifache Stipendiatin der Wilhelm-und-Else-Heraeus-Stiftung. Ihr Buch "Darm mit Charme" steht derzeit auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste Paperback-Sachbuch.
SPIEGEL ONLINE: Frau Enders, Sie sagen im Fernsehen Worte wie "Pupsen" und erklären sehr humorvoll, wie die Verdauung funktioniert. Warum?
Enders: Ein wohlwollender Humor ist gut bei Dingen, über die man nicht gerne spricht. Manchen Patienten ist es sehr peinlich, über ihre Darmprobleme zu reden. Ich spreche dann trotzdem weiter, aber flüstere dabei. Nach einer Minute müssen wir dann oft beide lachen. Mit Humor geht vieles einfacher. Trotzdem werden wir immer auch Experten brauchen, die vielleicht nicht so verständlich erklären können, dafür aber wahnsinnig gute Wissenschaftler sind und die Forschung voranbringen.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, wir säßen nicht richtig auf dem Klo und erhöhten so unser Risiko auf Schlaganfälle. Ist das wirklich wahr?
Enders: Ja. Notfallmediziner werden oft früh morgens von älteren Menschen gerufen. Zu dieser Zeit strengen sich einige besonders auf der Toilette an und bauen zu viel Druck auf. Dieser Druck kann auf Dauer auch das Risiko auf einen Schlaganfall erhöhen. Andere reagieren prompter. Dann kommt es zur sogenannten Stuhlgangsohnmacht. Sie kippen einfach um.
SPIEGEL ONLINE: Was machen wir denn falsch?
Enders: Wir haben einen Muskel, der lassoförmig um den Enddarm herumläuft. Wenn wir sitzen oder stehen, zieht er sich zu, und der Darm bekommt dadurch eine Kurve. Diese Kurve bremst das Ganze ab, so müssen die Schließmuskeln nicht alles allein aufhalten. Wenn wir aufrecht auf der Toilette sitzen, machen wir es uns also unnötig schwer. Wir müssen fester drücken, und so erhöht sich der Druck in unseren Gefäßen.
SPIEGEL ONLINE: Und wie macht man es richtig?
Enders: Unsere Vorfahren haben das unbewusst gut gemacht. Die gingen hinterm Busch in die Hocke. In der Hockposition lässt das Lasso los, weil dieser Muskel gelockert wird. So kann alles besser flutschen.
SPIEGEL ONLINE: Müssen wir jetzt also wieder hintern Busch gehen?
Enders: Nein. Es reicht schon, sich nach vorne zu beugen und einen kleinen Hocker unter die Füße zu stellen, wenn man auf dem Klo sitzt. Das braucht am Anfang etwas Übung - kann aber helfen, wenn es mal nicht so leicht von der Hand beziehungsweise vom Hintern geht.

Giulia Enders:
Darm mit Charme
Alles über ein unterschätztes Organ.
Ullstein; 288 Seiten; 16,99 Euro.

SPIEGEL ONLINE: Sie schwärmen oft vom Darm wie von ihrem besten Freund. Ist er denn wirklich einer?
Enders: Auf jeden Fall. Weil er einem sehr guttun kann und sich auch dankbar verhält, wenn man ihn gut behandelt.
SPIEGEL ONLINE: Können wir ihm denn auch ein guter Freund sein?
Enders: Wenn man zum Beispiel gute Darmbakterien isst und diese mit den richtigen Lebensmitteln füttert, schützen sie einen vor den schlechten Darmbakterien. Da der Darm für unser Immunsystem und unsere Hormone verantwortlich ist und sogar unsere Stimmung beeinflussen kann, ist das ein ganz praktischer Weg, um sich besser zu fühlen.
SPIEGEL ONLINE: In welchen Lebensmitteln stecken diese guten Bakterien?
Enders: Die guten Bakterien heißen Probiotika. Man findet sie in probiotischem Joghurt, Kefir oder Sauerkraut. Präbiotika werden jene Lebensmittel genannt, die gute Darmbakterien gerne essen und sich dadurch vermehren. Etwa kalten Reis, Knoblauch, Chicorée, grüne Bananen oder Spargel.
SPIEGEL ONLINE: Für Ihr Buch "Darm mit Charme" haben Sie die neuesten Studien gewälzt. Welche Erkenntnis hat Sie am meisten beeindruckt?
Enders: Die Forschung zum Zusammenhang von Gehirn und Darm steht zwar noch am Anfang - trotzdem hat sie mich umgehauen. Bisher dachten wir, Erkrankungen wie Depressionen entstehen größtenteils durch unser Denken, also im Kopf. Jetzt gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass der gesamte Körper, und vor allem der Darm, unsere Stimmung sehr stark mitbeeinflusst.
SPIEGEL ONLINE: Ob wir traurig oder fröhlich sind, bestimmt der Darm?
Enders: Vermutlich darf er mitreden. Denn er sammelt mit seinen Millionen Nervenzellen ständig Informationen über unseren Körperzustand, ist über das Nervensystem eng mit dem Gehirn verbunden. Wenn im Darm etwas nicht stimmt, fühlen wir uns nicht nur körperlich mies, sondern auch psychisch.
SPIEGEL ONLINE: Hat das wieder mit den guten Bakterien zu tun?
Enders: Die haben sicher auch einen Anteil daran. 2011 wurde bei einer Studie mit Mäusen die eine Hälfte mit Bakterien gefüttert, die den Darm pflegen. Die andere Hälfte der Mäuse nicht. Dann setzte man sie in ein Becken voll Wasser, ihre Füßchen konnten den Boden nicht berühren. Gute Darmbakterien wirkten hier ähnlich wie Antidepressiva. Die gepimpten Mäuse schwammen länger und hoffnungsvoller als ihre Artgenossen, die immer wieder regungslos verharrten.
SPIEGEL ONLINE: Das gilt aber bisher nur für Mäuse.
Enders: Genau. Wenn aber bewiesen ist, dass es sich beim Menschen ähnlich verhält, könnte man weitere Fragen erforschen. Sind zum Beispiel Kinder aus wohlhabenderen Familien auch deshalb besser in der Schule, weil sie präbiotischer essen? Inzwischen gibt es sogar erste Studien am Menschen. Ende 2013 scannte man das Gehirn von Menschen, die vier Wochen lang einen Mix aus bestimmten Bakterien gegessen hatten. Das Ergebnis: In Bereichen von Schmerz- und Gefühlsverarbeitung war tatsächlich ein anderes Aktivitätsmuster im Gehirn festzustellen. Eine kleine Sensation. Bewiesen ist zwar noch nichts. Aber mein Bauchgefühl sagt, dass wir irgendwann wissen werden: Ein gepflegter Darm kann einige Formen von Depressionen lindern.