Clowns für Demente Spaßmacher gegen das Vergessen

Clown Albert (r.) im Pflegeheim: "Manchmal weine ich mit den Leuten. Das ist auch ein Erfolg."
Foto: Roland Holschneider/ picture alliance / dpaMit seiner dicken roten Pappnase betritt Albert das Zimmer von Frau Maron. Die alte Dame sitzt im Rollstuhl, meist mit geschlossenen Augen. Seit Monaten hat sie nicht mehr gesprochen, sagen die Pflegekräfte. Nach einer Weile fragt Albert sie, ob sie ein Weihnachtslied hören möchte. Frau Maron nickt. Es erklingt "Oh Tannebaum".
Ob sie noch eines hören möchte, fragt Albert.
"Ja", sagt die alte Frau. "Aber bitte nicht so laut." Die Pflegerin im Hintergrund staunt.
Albert heißt in Wirklichkeit Ulrich Fey. Seine rote Pappnase gehört zu seiner Dienstkleidung - Fey arbeitet als Clown. Er hat sich auf den Umgang mit alten Menschen spezialisiert, die unter Demenz leiden. Szenen wie die beschriebene erlebt er täglich, er beschreibt sie in seinem Buch "Clowns für Menschen mit Demenz - Das Potential einer komischen Kunst."
Lachen ist die beste Medizin, findet Fey. Auch dann, wenn man gegen das Vergessen kämpft. Das Handwerkszeug für seinen Job als staatlich anerkannter Clown hat er an der Schule für Theater, Tanz und Komik in Hannover gelernt. Vorher hat Fey, der in Friedberg in der Nähe von Frankfurt am Main lebt, als Lehrer und Sportredakteur gearbeitet.
"Weinen ist auch ein Erfolg"
Bei seinen Besuchen verfolgt Fey kein Ziel - außer der Begegnung selbst. "Als Clown lasse ich zu, dass zwischen den Bewohnern und mir auch mal nichts passiert. Das Wort Programm muss ich streichen", sagt er. Damit unterscheidet er sich grundlegend von Betreuern und Pflegern, die stets Vorgaben erfüllen müssen. Die vergesslichen Bewohner sollen essen, sich waschen, schlafen, aufstehen, singen oder ihr Gedächtnis traininieren. Bei Fey alias Albert sollen sie sein, wie sie sind: alt, langsam, schwerhörig oder eben vergesslich.
"Menschen mit Demenz werden immer wieder wie Kinder behandelt. Doch das sind sie nicht. Es geht darum, zu verstehen, warum sie so sind, wie sie sind. Das vorherrschende Gefühl bei diesen Menschen ist Angst. Ihnen fehlt die Resonanz. Sie können keinen Kontakt zu ihren Emotionen und nach Außen aufnehmen", sagt Fey. Als Clown könne er diese Resonanz liefern. So erfährt der demente Mensch: Mich gibt's noch. "Deshalb suche ich immer die emotionale Ebene", sagt er. Lustig geht es dabei nicht immer zu. Fey betont, dass er kein Humorbeauftragter sei. "Manchmal weine ich mit den Leuten. Das ist auch ein Erfolg."
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In der Figur des Clowns begegnet Fey den Kranken auf der gleichen Ebene. Das nimmt er wörtlich. Damit er sich besser zu den Bewohnern neben den Rollstuhl oder das Bett knien kann, trägt er unter der viel zu weiten Hose Knieschützer. Clown Albert zeigt seine Gefühle offen, egal ob Trauer, Freude oder Ärger. Genau so tun es die Demenzkranken auch. Das macht Albert und sie zu Komplizen.
Demenzexperten wie Detlef Rüsing halten die Arbeit des Clowns für wichtig. Der Leiter des Dialog- und Transferzentrum Demenz an der Universität Witten/Herdecke steht Clownarbeit positiv gegenüber. "Grundsätze im Umgang mit Menschen mit Demenz müssen aber eingehalten werden: Ein Clown muss solchen Menschen ohne Erwartungshaltung begegnen. Da ist vor allem Empathie gefragt. Denn bei Personen mit Demenz im fortgeschrittenen Stadium sind Emotionen erhalten und stark ausgeprägt. Da kann ein Clown ansetzen - etwa mit nonverbaler Kommunikation", sagt Rüsing.
An Menschen mit Demenz sollte aber nicht alles ausprobiert werden. "Clownarbeit muss deshalb von ausgebildeten Fachleuten durchgeführt werden. Dazu sollten vor einer Betreuung die Pflegenden und die Angehörigen mit einbezogen werden", so Rüsing. Trotzdem könnte ein Clown auch verschreckend wirken: "Das muss er merken und sich dann abwenden können."
Die rote Nase verleiht Freiheiten
Vor einigen Tagen hat Fey wieder eine Dementengruppe besucht. "Heute habe ich Lust auf Quatsch. Wollen wir rülpsen", fragte er die alten Frauen. Eine Bewohnerin hatte aber mehr Lust auf pupsen. Also hockt sich Clown Albert mitten auf den Tisch und versuchte, seine Körpergase zu aktivieren - umringt von fünf Damen. Bald musste er zugeben: "Mist, das klappt nicht."
"Mit der roten Nase habe ich eine Freiheit, die ich als Privatperson nie hätte", erklärt Fey. Ein Clown sei genauso desorientiert wie Menschen mit Demenz, zumindest was die reale Alltagswelt angehe. Das könne eine spezielle Verbundenheit auslösen. Und sei die perfekte Grundlage, um mit Demenzkranken zu arbeiten, schreibt der 55-Jährige in seinem Buch.
Das Langzeitgedächtnis von Demenzkranken funktioniert oft noch sehr gut. Wie viele Therapeuten in den Pflegeeinrichtigen, singt auch Fey mit den Bewohnern Klassiker wie "Muss i denn zum Städtele hinaus". Die Senioren stimmen oft mit ein - Text und die Melodie haben sich in ihr Hirn gegraben.
In einem fortgeschrittenen Stadium der Demenz ist die Kommunikation jedoch häufig stark eingeschränkt - das Reden wird weniger, die Bewohner werden oft bettlägerig. Hier stößt auch Clown Albert an Grenzen. "Bei sehr dementen Bewohnern, die in ihren kognitiven Fähigkeiten sehr eingeschränkt sind, achte ich auf kleinste Körpersignale wie Atmung oder Mimik. Ich arbeite dann auch mit Seifenblasen oder Klangschalen - ähnlich wie manche Dementenbetreuer."
Eigentlich müsste Fey von seiner Arbeit gut leben können. Demenzerkrankungen wie Alzheimer nehmen zu. Außerdem wohnen in Deutschland immer mehr ältere Menschen - der Mangel an Arbeitskräften in der Pflege ist groß. Zudem sind die Kosten für eine dreistündigen Besuch von Clown Albert mit 250 Euro recht moderat. Trotzdem stößt Fey bei der Suche nach neuen Pflegeheimen auf Skeptiker.
"Es gibt immer wieder Vorbehalte in den Häusern. Die kommen von Menschen, die vor allem grelle Zirkusclowns im Kopf haben", erklärt Fey. Solche Clowns seien für die Arbeit mit dementen Menschen nicht geeignet, glaubt er. Sie seien zu laut, zu schnell, zu aufgesetzt witzig oder zu bunt für die Alten. Außerdem würden sie möglicherweise die Gerüche und die falschen Zähne abschrecken. Fey nimmt das längst nicht mehr wahr.