WHO-Bericht zu Diabetes Die Welt ist zuckerkrank

Das Diabetes-Problem hat die Welt erfasst, 2014 waren mehr als 400 Millionen Menschen betroffen. Die großen Verlierer sind Länder mit niedrigen oder mittleren Einkommen - und Männer.
Diabetes-Verbreitung bei Männern 2014 (grün/gelb wenig Betroffene, braun/schwarz sehr viele Betroffene)

Diabetes-Verbreitung bei Männern 2014 (grün/gelb wenig Betroffene, braun/schwarz sehr viele Betroffene)

Foto: SPIEGEL ONLINE

Diabetes ist nicht mehr die Krankheit der Menschen mit viel Geld, sie ist zu einer Krankheit der Welt geworden. 2014 waren schätzungsweise 422 Millionen Menschen von der Stoffwechselstörung betroffen, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO)  in ihrem ersten Welt-Diabetes-Bericht. Damit hat sich die Zahl der Erkrankten seit 1980 fast vervierfacht, damals gingen Experten noch von rund 108 Millionen Betroffenen aus.

Der Report ist gekoppelt an eine Studie im Fachmagazin "The Lancet",  für die Forscher 751 Untersuchungen mit fast 4,4 Millionen Teilnehmern und Daten aus 146 Ländern ausgewertet haben.

Die sieben Kernpunkte:

Deutschland fällt aus den Top Ten: Während 1980 noch Deutschland, Italien und Großbritannien in der weltweiten Top Ten der Länder mit den meisten Erkrankten standen, rutschten 2014 Indonesien, Pakistan und Mexiko in die Liste der Spitzenreiter. Deutschland fiel von Platz sechs auf Platz 14. Grund dafür ist nicht, dass sich die Situation hierzulande wesentlich verbessert hat. Die Entwicklung ist vielmehr Folge eines verheerenden Anstiegs der Erkrankungen in Schwellenländern.

Bevölkerungswachstum und die alternde Bevölkerung machen weltweit rund 40 Prozent des Anstiegs der Erkrankten aus. Veränderungen im Lebensstil, vor allem durch die weite Verbreitung von Übergewicht, sind für rund 28 Prozent des Zuwachses verantwortlich. Die restlichen 32 Prozent entstehen durch eine Kombination beider Faktoren. Bei einem Großteil der Fälle handelt es sich um den deutlich weiter verbreiteten Typ 2 Diabetes. Ihm lässt sich vorbeugen - im Gegensatz zum Typ 1 Diabetes, der oft schon im Kindesalter beginnt.

Top Ten Länder Diabetes-Betroffene 1980

Land Millionen Betroffene Anteil weltweit
1. China 20,4 18,9 Prozent
2. Indien 11,9 11,0 Prozent
3. USA 8,1 7,5 Prozent
4. Russland 7,1 6,6 Prozent
5. Japan 4,7 4,4 Prozent
6. Deutschland 3,4 3,2 Prozent
7. Brasilien 2,7 2,5 Prozent
8. Ukraine 2,4 2,2 Prozent
9. Italien 2,4 2,2 Prozent
10. Großbritannien 2,3 2,1 Prozent

Top Ten Länder Diabetes-Betroffene 2014

Land Millionen Betroffene Anteil weltweit
1. China 102,9 24,4 Prozent
2. Indien 64,5 15,3 Prozent
3. USA 22,4 5,3 Prozent
4. Brasilien 11,7 2,8 Prozent
5. Indonesien 11,7 2,8 Prozent
6. Pakistan 11,0 2,6 Prozent
7. Japan 10,8 2,6 Prozent
8. Russland 10,7 2,5 Prozent
9. Ägypten 8,6 2,0 Prozent
10. Mexiko 8,6 2,0 Prozent

Die Hälfte der Zuckerkranken kommt aus fünf Ländern: China, Indien, den USA, Brasilien und Indonesien. In den fünf Ländern lebte allerdings 2014 auch die Hälfte der Weltbevölkerung. Zusammengenommen repräsentieren sie also den Diabetes-Durchschnitt. Wie groß das Risiko ist zu erkranken, hängt auch vom Wohlstand jedes einzelnen ab. In Ländern mit einem hohen Einkommen erkranken vor allem arme Menschen, in armen Ländern sind es vor allem reiche.

Europa als Vorbild: Die nordeuropäischen Länder - darunter auch Deutschland - zählen laut den Berechnungen mittlerweile sogar zu den Vorbildstaaten. Zwar ist auch hierzulande die Zahl der Erkrankten deutlich gestiegen. Während es 1980 nur 3,4 Millionen Betroffene gab, lag die Zahl 2014 bei 5,1 Millionen - ein Zuwachs von 50 Prozent. Ursache dafür ist jedoch vor allem die alternde Gesellschaft.

Rechneten die Forscher den Einfluss der Altersstruktur in Deutschland heraus, zeigte sich, dass sich das Erkrankungsrisiko - etwa für einen 50-Jährigen - in der Zeit kaum geändert hat. Auch ist die deutsche Bevölkerung in den Jahrzehnten nur minimal gewachsen, von 78,4 Millionen auf 81,2 Millionen Menschen.

Problemfälle Ozeanien, Nordafrika und mittlerer Osten: Was das Erkrankungsrisiko angeht, ist Deutschland zusammen mit anderen nordwesteuropäischen Ländern die große Ausnahme. In fast allen Ländern ist das Diabetes-Risiko durch Änderungen im Lebensstil und Umwelteinflüsse stark gestiegen, am stärksten hat es die Staaten mit einem geringen oder mittleren Einkommen getroffen, wie die folgende Karte zeigt. Bei den Daten wurden Unterschiede in den Altersstrukturen herausgerechnet.

Demnach haben Menschen in Nordwest- und Südeuropa das niedrigste und Menschen in Ozeanien, dem mittleren Osten und Nordafrika das höchste Erkrankungsrisiko. Die Diabetes-Raten in den Ländern sind heute fünf- bis zehnmal so hoch wie in den Ländern mit den niedrigsten Werten. 1980 gab es noch kaum Unterschiede.

Sorge um die Männer: Während 1980 noch mehr Frauen als Männer erkrankt waren, hat sich das Verhältnis mittlerweile umgekehrt. Bei den Männern ist der Anteil der betroffenen Erwachsenen zwischen 1980 und 2014 von 3,6 auf 8,8 gestiegen; bei Frauen von 4,7 auf 8,2 Prozent - obwohl Frauen im Schnitt älter werden und das Diabetes-Risiko mit dem Alter steigt. Mögliche Gründe dafür seien, dass Männer häufiger rauchten und schon bei einem geringeren Übergewicht zu Diabetes neigten, heißt es in dem WHO-Bericht.

Hoher Blutzuckerspiegel als Todesursache: Die Entwicklungen spiegeln sich auch bei der Verteilung der Todesfälle wider. 2014 starben weltweit 3,7 Millionen Menschen an den Folgen eines zu hohen Blutzuckerspiegels. 1,6 Millionen der Betroffenen - also 43 Prozent - waren zu diesem Zeitpunkt noch keine 70 Jahre alt. Der Anteil dieser frühzeitigen Todesfälle war bei Männern höher als bei Frauen und in Ländern mit niedrigem oder mittleren Einkommen höher als in wohlhabenden Staaten.

Vermeidbar sind Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung: Bei den Männern gehen sieben Prozent der Todesfälle zwischen 20 und 69 auf zu hohe Blutzuckerwerte zurück; bei den Frauen sind es acht Prozent. Durch einen dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel steigt das Risiko für Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen, Beinamputation, Erblindung und Nervenschäden. Das Fatale: Viele der frühzeitigen Todesfälle wären vermeidbar gewesen, schreibt die WHO - und fordert zum Handeln auf. Die Welt müsse vorsorgen. Und sie müsse Erkrankte erkennen und ihnen eine Behandlung ermöglichen.

Selbst in Ländern mit einem hohen Einkommen liege die Zahl der nicht erkannten Diabetes-Erkrankungen mitunter zwischen 30 und 50 Prozent, heißt es in dem Bericht. Die Deutsche Diabetes-Hilfe schätzt, dass hierzulande etwa jeder Fünfte nichts von seiner Erkrankung weiß. Zu den frühen Beschwerden zählen Durst, andauernder Hunger, starker Harndrang, Gewichtsverlust, Sehprobleme und Müdigkeit.

Gegen den Typ 2 der Erkrankung hilft, was so oft schützt: Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, nicht rauchen. Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Der Trend der vergangenen Jahre zeigt jedoch, wie schwer sie sich umsetzen lassen.

Dass viele Europäer vergleichsweise gut dastehen, liegt wahrscheinlich auch nicht allein an ihrem vorbildlichen Verhalten, sondern am guten Gesundheitssystem. Es sei erwiesen, dass es etwas nutze, Menschen mit einem hohen Diabetes-Risiko zu erkennen und zu Bewegung und gesunder Ernährung zu motivieren, zum Teil verbunden mit Medikamenten. Ein Ziel sollte sein, dies weltweit vielen Betroffenen zu ermöglichen, schreibt Etienne Krug von der WHO.

Das Fazit der Forscher: Ihr Report zeige, was für ein großes Problem Diabetes auf der Welt darstellt. Aber auch, dass es enormes Potenzial gibt, gegenzusteuern. Gelingt das nicht, sieht die Prognose jedoch düster aus. Geht es weiter wie seit Anfang der 2000er Jahre könnten 2025 weltweit 700 Millionen Menschen mit Diabetes leben.


Zusammengefasst: Seit 1980 hat sich weltweit die Zahl der Diabetes-Erkrankten fast vervierfacht. Männer sind gefährdeter als Frauen. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern sterben viele Menschen schon vor ihrem 70. Geburtstag an den Folgen eines zu hohen Blutzuckerspiegels - viele der Todesfälle wären vermeidbar.

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