Diesel-Affäre 38.000 Todesfälle durch erhöhten Stickoxid-Ausstoß

Stickoxide sind ungesund, für Diesel-Fahrzeuge gelten deshalb Grenzwerte - die in den vergangenen Jahren zum Teil nicht eingehalten wurden. Forscher haben jetzt abgeschätzt, wie viele Menschen deshalb vorzeitig verstorben sind.
Auspuff eines Dieselfahrzeugs

Auspuff eines Dieselfahrzeugs

Foto: Christophe Gateau/ dpa

Rund 38.000 Menschen sind einer Hochrechnung zufolge wegen nicht eingehaltener Abgasgrenzwerte bei Dieselfahrzeugen allein im Jahr 2015 vorzeitig gestorben. 11.400 dieser Todesfälle entfallen auf die EU, berichtet ein Forscherteam um Susan Anenberg von der Organisation Environmental Health Analytics (LLC) in Washington. Die Gesamtzahl vorzeitiger Todesfälle durch Stickoxide aus Dieselabgasen lag demnach für die weltgrößten Automärkte bei 107.600.

Die Wissenschaftler errechneten, dass Dieselfahrzeuge jährlich rund 4,6 Millionen Tonnen Stickoxide mehr ausstoßen als sie nach geltenden Abgasgrenzwerten dürften. Im Jahr 2015 habe der Gesamtausstoß in der Folge bei 13,1 Millionen Tonnen gelegen, schreiben sie im Fachmagazin "Nature" .

Stickoxide gehören zu den Vorläuferstoffen bodennahen Ozons: Bei starker Sonneneinstrahlung lösen sie chemische Reaktionen aus, in deren Verlauf Ozon entsteht. Zudem tragen Stickoxide wie Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) zur Feinstaubbelastung bei.

Schlecht fürs Herz

Stickoxide selbst reizen die Schleimhäute und damit die Atemwege und die Augen. Sie können Husten und Atembeschwerden auslösen, gefährlich ist das vor allem für Asthmatiker. Bei hohen Konzentrationen steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle.

Seit Beginn des Volkswagen-Abgasskandals vor zwei Jahren wurde nach und nach bekannt, dass viele Dieselfahrzeuge auf der Straße mehr Schadstoffe ausstoßen als auf dem Abgas-Prüfstand. Durch Systeme, die Abgase direkt im Straßenverkehr messen, konnte man den Mehrausstoß ermitteln.

Anenberg und Kollegen nutzten diese Ergebnisse und etablierte Modelle zur Ausbreitung von Schadstoffen, um den über den Grenzwerten liegenden Ausstoß und die Folgen für die elf größten Märkte für Dieselfahrzeuge abzuschätzen. Diese Märkte sind Australien, Brasilien, China, die 28 EU-Staaten, Indien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Südkorea und die USA. In diesen Ländern und Regionen werden rund 80 Prozent aller Dieselfahrzeuge verkauft.

Insgesamt entfallen demnach auf fünf Märkte - Brasilien, China, die EU, Indien und die USA - 90 Prozent des Zusatzausstoßes. Bei ihren Modellberechnungen unterschieden die Wissenschaftler nach Autos, Lkw und Bussen. "Der Schwerlastverkehr - größere Lkw und Busse - trug bei Weitem am meisten zu den überschüssigen Stickoxiden bei, nämlich zu 76 Prozent", sagt Josh Miller vom International Council on Clean Transportation (ICCT) in Washington, Mitautor der Studie.

Spezielle Situation in der EU

Nur in der EU ist die Situation laut der Studie anders, weil hier Diesel-Pkw weiter verbreitet sind: Dieselautos verursachen in den EU-Ländern etwa 60 Prozent des Mehrausstoßes an Stickoxiden pro Jahr. Von den 28.500 vorzeitigen Todesfällen durch Stickoxide aus Dieselabgasen in der EU entfallen demnach rund 11.400 auf den Zusatzausstoß infolge nicht eingehaltener Abgasgrenzwerte.

Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags zum Abgasskandal, der in Kürze veröffentlicht wird, wird die Lage anders eingeschätzt. Darin heißt es: "Epidemiologisch ist ein Zusammenhang zwischen Todesfällen und bestimmten NO2-Expositionen im Sinne einer adäquaten Kausalität nicht erwiesen".

Dem widersprechen einige Experten. So sagt Nino Künzli vom Schweizer Tropen- und Public-Health-Institut (TPH) in Basel: "Die Kombinationswirkungen von NO2 mit anderen immer präsenten Schadstoffen sind auch toxikologisch kaum erforscht, weshalb es auch nicht angemessen ist, NO2 per se als unbedenklich zu bezeichnen".

wbr/dpa
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