Organhandel "Es gibt auf beiden Seiten Extremisten"

Skalpell: Mehrere Argumente sprechen für einen staatlich regulierten Organhandel
Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpaSPIEGEL ONLINE: Im Oktober haben kanadische Nephrologen von der Universität Calgary erklärt, dass es sinnvoll sein könnte, Nierenspendern einen finanziellen Anreiz von 10.000 US-Dollar zu bieten. Herr Eyal, Sie sind Professor für Ethik in der Medizin an der Universität Harvard. Sind Deals "meine Niere gegen dein Geld" die Zukunft?
Eyal: Die Organverpflanzungen betreffenden ethischen Fragen sind hochkomplex. Einfache Antworten gibt es nicht, die Debatte wird auch unter Fachleuten sehr erbittert geführt. Da gibt es auf beiden Seiten Extremisten.
SPIEGEL ONLINE: Welches sind die Positionen Für und Wider den legalisierten Organhandel?
Eyal: Hier in den USA gibt es Ultraliberale, die glauben, dass auch der Organhandel völlig frei sein sollte, weil die Gesetze des Marktes ihn von selbst regulieren würden. Wenn ein mündiger Bürger seine Organe verkaufen wolle, solle ihm das niemand verbieten, sagen sie. Offener Handel mit zum Beispiel Nieren würde den Schwarzmarkt schädigen und über kurz oder lang verschwinden lassen.
SPIEGEL ONLINE: Und das andere Extrem?
Eyal: Die Gegenposition wird zum Beispiel von der Weltgesundheitsorganisation WHO vertreten. Sie lehnt finanzielle Entschädigungen ab, egal, ob Leute schon zu Lebzeiten eine Niere spenden oder nach ihrem Tod mehrere Organe zur Verfügung stellen wollen. Eins ihrer Argumente: Organkäufer würden die Armut anderer ausnutzen . In der Leitlinie, in der sich die WHO gegen Organhandel stellt, heißt es: "Er vermittelt den Eindruck, dass einige Personen weniger Würde besitzen als andere, dass sie nur Objekte sind, die von anderen benutzt werden."
SPIEGEL ONLINE: Gibt es denn gar keine Möglichkeit zum Kompromiss?
Eyal: Doch, und es gibt immer mehr Interesse an den Argumenten der gemäßigten Mitte - obwohl auch diese nicht unproblematisch sind. Gemäßigte Befürworter sagen, dass die Einführung eines regulierten und limitierten Markts, dessen Preise sich nicht nach der Nachfrage richten, durchaus Sinn machen könnte. Da wird mit Gedanken gespielt, dass eine dem Staat unterstellte Hilfsorganisation den Spendern ihre Nieren abkauft, diese dann aber gratis, auf Basis medizinischer Erwägungen, an die Empfänger verteilt. Diese Hilfsorganisation würde dann auch die Qualität der Eingriffe überwachen und sicherstellen, dass der Spender über alle Risiken aufgeklärt ist.
SPIEGEL ONLINE: Doch wie könnte dabei vermieden werden, dass wieder die Ärmsten Teile ihres Körpers verkaufen, während Reiche körperlich unversehrt durchs Leben gehen?
Eyal: Auch dazu gibt es Überlegungen. Statt Geld auszuzahlen könnte Spendern die Rückzahlung von Studiengebühren erlassen werden. Oder sie bekämen einen Rabatt auf ihre Einkommensteuer. Das wären Anreize, die für die ärmsten und gefährdetsten Gesellschaftsschichten nicht attraktiv sind. Denn die Ärmsten zahlen keine Einkommensteuer und gehen selten zur Uni. Dabei ist allerdings wieder zu bedenken, dass es nicht logisch erscheint, ausgerechnet armen Menschen diese Möglichkeit, Geld zu machen, zu verwehren. Ein anderer Ansatz wäre, für diejenigen, die sich bereit erklären, nach ihrem Tod Organe zur Verfügung zu stellen, die Beerdigungskosten zu übernehmen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es Länder, die den Verkauf der eigenen Innereien erlauben?
Eyal: Iran ist derzeit das einzige Land, in dem Organhandel legal ist und vom Staat reguliert wird. Eine Hilfsorganisation kauft die Organe und verteilt sie auf medizinischer Basis. Die Ergebnisse sind gemischt: Einerseits ist die Warteliste für Nierentransplantationen deutlich kürzer. Andererseits werden Verkäufer schrecklich stigmatisiert und als "Halbmenschen" verunglimpft. Sie haben Schwierigkeiten, eine Ehefrau oder einen Job zu finden. Auch hört man, dass reiche Iraner Verkäufer durch Geldzahlungen zusätzlich zum staatlichen Geld zu bestechen versuchen.
SPIEGEL ONLINE: Der Verkauf von Körperteilen ist also nicht unbedingt moralisch verwerflich. Gilt das auch für den Schwarzmarkt? Organ-Dealer behauptet gern, der Verkauf einer Niere sei ein Win-Win-Geschäft, bei dem Spender wie Empfänger profitieren.
Eyal: Illegaler Organhandel ist schrecklich. Oft erfüllen Händler ihre Verträge nicht, sie wenden Gewalt an oder vernachlässigen die Gesundheit des Spenders. Das macht eine relativ sichere Prozedur wie zum Beispiel eine Nierenspende zu einer gefährlichen Angelegenheit. Auf dem Schwarzmarkt werden Leute betrogen, ihre Gesundheit wird ruiniert, ihr Leben wird gefährdet.
SPIEGEL ONLINE: Was kann getan werden, um den Schwarzmarkt einzudämmen?
Eyal: Viel einfacher als die Einführung eines geregelten Marktes ist es, wenn wir alle einen Organspenderausweis ausfüllen. Das ist einfach, kann nach unserem Tod gleich mehreren Menschen das Leben retten und unserem Ableben so Bedeutung geben. Außerdem sollten wir wesentlich mehr tun, um Nierenkrankheiten zu verhindern. Die Menschen müssen ermuntert werden, sich gesund zu ernähren und sich viel zu bewegen.