Ein Kind hustet und hat Atemnot und Schmerzen in der Brust. Aus der Speiseröhre ziehen die Ärzte eine Unterlegscheibe. Acht Monate später hat das Kind eine Lungenentzündung. Gibt es einen Zusammenhang?
Als die Eltern ihre Tochter in die Notaufnahme der Unikinderklinik im südafrikanischen Stellenbosch bringen, atmet die Kleine schwer. Sie ist aufgeregt und keucht, bei jeder Atmung fiept es in ihren Lungenflügeln. Drei Tage zuvor hatte die Dreijährige plötzlich angefangen zu husten und seither immer wieder über Schmerzen in der Brust geklagt.
Die Ärzte lassen eine Röntgenaufnahme vom Brustkorb machen und entdecken darauf sogleich die Ursache: Das Mädchen hat eine Unterlegscheibe, die man zusammen mit Schrauben einsetzt, verschluckt. Diese ist im oberen Teil der Speiseröhre steckengeblieben und verursacht die Schmerzen.
Mit einem starren Endoskop entfernen die Mediziner zunächst den Fremdkörper aus der Speiseröhre. Die Schleimhaut darin ist zwar entzündet, aber die Wand des Organs ist intakt. Die Ärzte sind erleichtert: Eine gefürchtete und lebensgefährliche Komplikation beim Verschlucken von Fremdkörpern ist, dass die Gegenstände das Gewebe entweder direkt durchstechen oder die Abwehrreaktion des Körpers so schwere Entzündungen hervorrufen, dass die Wand reißt. Auch bei der Entfernung selbst kann die Speiseröhre verletzt werden.
Erste Röntgenaufnahme des Kindes: Die Unterlegscheibe liegt gut erkennbar im oberen Teil der Speiseröhre.
Foto: BMJ Case Reports 2017
Bei dem Mädchen gelingt der Eingriff ohne Komplikationen. Die Mediziner diagnostizieren eine begleitende Lungenentzündung, die sie auf der Kinderintensivstation behandeln. Einige Tage später darf das Kind wieder nach Hause.
Acht Monate später wird die Kleine erneut in das Krankenhaus eingeliefert. Wieder hat sie Atemnot und ist aufgeregt. Diesmal vermuten die Ärzte schon bei der körperlichen Untersuchung, dass sie eine Lungenentzündung hat: Beim Abhören raschelt es im rechten Lungenflügel und beim Abklopfen ist der Schall gedämpft.
Warum ist die Lunge entzündet?
Eine Röntgenaufnahme bestätigt den Verdacht: Der mittlere und untere rechte Lungenlappen sind entzündet. Dort, wo normalerweise Luft sein sollte, die sich im Röntgenbild schwarz darstellt, sieht die Lunge weißlich aus.
Zweite Röntgenaufnahme: Die linke Bildhälfte zeigt die rechte Körperseite, im unteren linken Bildviertel stellt sich die Lungenentzündung weiß dar
Foto: BMJ Case Reports 2017
Das Kind bekommt ein Antibiotikum, aber auch nach einer Woche hat sich nichts an seinen Beschwerden geändert. Die Ärzte entscheiden sich jetzt zu einer sogenannten Bronchoskopie, bei der sie mit einem Endoskop in die Atemwege schauen können. Schon in der Luftröhre versperrt ihnen Eiter die Sicht. Auch der rechte Hauptast der Bronchien ist stark entzündet und voller Eiter.
Dort entdecken die Mediziner ein kleines Stück Hühnerknochen, das sich im Gewebe festgesetzt hat. Sie entfernen das Knochenfragment und geben dem Mädchen anschließend Kortikoide, um die Entzündungsreaktion zu hemmen. 24 Stunden lang muss es beatmet werden.
In beiden Röhren suchen
Wegen der schweren Entzündung in den Atemwegen kontrollieren die Ärzte fünf Tage später, ob die Entfernung des Fremdkörpers und die entzündungshemmenden Medikamente etwas bewirkt haben. Zwar sieht das Gewebe rechts schon besser aus - aber die Ärzte entdecken jetzt ein weiteres Knochenfragment im linken Bronchus. Auch dieses entfernen sie ohne weitere Komplikationen und überprüfen mit dem Endoskop auch die Speiseröhre, die unauffällig aussieht.
"Es ist schwer zu sagen, wann genau das Mädchen die Hühnerknochen eingeatmet hat", schreibt der behandelnde Arzt Pierre Goussard in einer E-Mail an den SPIEGEL. Bei der ersten Behandlung des Mädchens hatten die Mediziner nur in der Speiseröhre und nicht in den Atemwegen nach Fremdkörpern gesucht. "Ein Szenario ist, dass es die Unterlegscheibe verschluckt hat und der Hühnerknochen aufgrund der daraus resultierenden Schluckstörung in die Luftröhre gerutscht ist", so Goussard. "Ich glaube aber, dass es den Hühnerknochen erst später verschluckt hat."
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In ihrem Fallbericht im Fachmagazin "BMJ Case Reports" betonen die Autoren, wie wichtig es sei, auch an Gegenstände in den Bronchien zu denken, wenn Fremdkörper in der Speiseröhre entdeckt würden. "Wir empfehlen, nach der Speiseröhrenspiegelung auch sofort eine Bronchoskopie durchzuführen", so die Mediziner.
Gefahr durch Erdnüsse
Insbesondere Kinder im Alter von bis zu drei oder vier Jahren verschlucken oft Gegenstände, weil sie diese oft noch in den Mund stecken, um sie mit der Zunge zu erforschen. Der von Medizinern auch Fremdkörper-Aspiration genannte Notfall sollte immer als potenziell lebensbedrohlich eingestuft werden und das Kind sofort mit einem Krankenwagen in die nächstgelegene Klinik gebracht werden.
Das Problem dabei: Nicht immer sind Eltern Zeugen und die Kindern wissen oft selbst nicht, wie ihnen geschieht. Auf Röntgenbildern wiederum sind nur bestimmte Gegenstände wie etwa Nadeln, Schrauben oder Nägel zu erkennen. Zahlen der Ruhr-Universität Bochum zeigen aber, dass am weitaus häufigsten Erdnüsse in den Atemtrakt gelangen, gefolgt von anderen Nüssen und Möhren- oder Apfelstückchen. Weil diese Fremdkörper auf Röntgenbildern nicht sichtbar sind, wird die Diagnose oftmals erst gestellt, wenn sich das Lungen- oder Bronchialgewebe bereits entzündet hat.
Das kleine Mädchen aus Südafrika hat daher Glück, dass es trotz des mehrfachen Verschluckens am Ende wieder gesund nach Hause gehen kann.