Ein rätselhafter Patient Gefährlicher Dampf

Erst ringt die 18-Jährige um Luft, dann versagt ihre Lunge total. Die Ärzte müssen sie beatmen, suchen in ihrem Körper nach Viren, Bakterien, Pilzen. Was setzt ihr so zu?
Kleine Blutgefäße rund um die Lunge

Kleine Blutgefäße rund um die Lunge

Foto: Getty Images/Science Photo Library

Seit zwei Tagen fällt der 18-Jährigen das Atmen immer schwerer. Sie leidet unter Husten, ihre Brust schmerzt. Fieber aber hat sie keins, als sie in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Pittsburgh erscheint. Auch auf eine Erkältung oder andere Erkrankungen der oberen Atemwege weist nichts hin.

Bei ersten Tests zeigen sich bereits die Folgen der Beschwerden. Die Lunge der Patientin kann den Sauerstoffbedarf ihres Körpers nicht mehr komplett decken. Als die Ärzte ihre Brust abhorchen, hören sich auf beiden Seiten der Lunge zwar verminderte, aber klare Atemgeräusche, nichts pfeift oder gurgelt.

Die Frau hatte in der Vergangenheit leichte Asthmaanfälle, ihr Notfallmedikament musste sie aber nur selten inhalieren. Außerdem berichtet sie von einem Ausschlag, den sie vor Kurzem nach dem Essen einer Paranuss entwickelt hatte. Außerdem war ihre Lippe angeschwollen. Weil die Patientin Nüsse bisher aber immer gut vertragen hat, verfolgen die Ärzte die Spur nicht weiter.

Stattdessen versuchen sie, das Problem durch Fragen weiter einzukreisen. Die Patientin kellnert in einem Restaurant und wohnt in einer ländlichen Gegend, notieren die Mediziner. Mit potenziell kranken Vögeln oder anderen Bauernhoftieren hatte sie aber keinen Kontakt. Was ihnen auffällt: Die 18-Jährige hat vor drei Wochen begonnen, E-Zigaretten zu rauchen. Zwischen dem letzten Mal Dampfen und dem Einsatz der Beschwerden verstrichen ein, zwei Tage.

Flüssigkeit in beiden Lungenflügeln

Routinemäßig lassen die Mediziner Blut und Urin der 18-Jährigen untersuchen. In ihrem Serum schwimmen ungewöhnlich viele weiße Blutkörperchen, was auf eine Entzündung hinweist. Alle anderen Werte befinden sich im Normalbereich, berichten die Ärzte um Casey Sommerfeld vom Children's Hospital of Pittsburgh in der Fachzeitschrift "Pediatrics" . Auch Drogen hat die Frau keine genommen. Dafür zeigen Röntgenbilder, wie sehr ihre Lunge leidet.

Auf beiden Seiten des Organs befinden sich Infiltrate, Stoffansammlungen. Die Mediziner ziehen eine Lungenembolie in Betracht, bei der Blutgefäße verstopfen und die Lunge nicht mehr richtig versorgt wird. CT-Bilder geben jedoch Entwarnung - allerdings nur in dieser Hinsicht. Im unteren Bereich beider Lungenflügel befinden sich Schatten, die auf eine Entzündung hinweisen. Das Gewebe ist zum Teil verdickt, im Spalt zwischen Lunge und Brustkorb hat sich Flüssigkeit angesammelt.

Die Ärzte überweisen ihre Patientin auf die Intensivstation, um sie besser überwachen zu können. Dort erhält sie ein Breitbandantibiotikum, das verschiedene Bakterien abtötet. Doch der Zustand der Patientin verschlechtert sich rapide. Schließlich versagt ihre Lunge, die Ärzte müssen ihr einen Schlauch in die Luftröhre schieben und sie künstlich beatmen. Die junge Frau schwebt in Lebensgefahr.

Weil auch die Durchblutung stockt, geben die Mediziner der 18-Jährigen Noradrenalin. Das Stresshormon steigert den Blutdruck und beschleunigt den Herzschlag. Außerdem legen sie ihr auf beiden Seiten der Lunge Drainagen, damit die Flüssigkeit abfließen kann, von der sich immer größere Mengen in ihrem Brustkorb ansammeln. Was setzt der Patientin so zu sehr zu?

Viren, Pilze, Bakterien?

Die Mediziner machen eine Lungenspiegelung, doch die Bilder aus den Tiefen ihrer Luftröhre zeigen nur gewöhnlichen Schleim. Für einen weiteren Test pumpen sie etwas Kochsalzlösung in die Lunge und saugen diese wieder ab. Krankheitserreger können die Ärzte aber nicht finden. Weder wachsen in einer Kultur der Flüssigkeit Pilze heran noch lassen sich Viren oder Bakterien wie Legionellen nachweisen.

Dafür liefert ein anderer Wert aus der Flüssigkeit eine Erklärung dafür, was im Körper der Frau vor sich geht: Das Immunsystem ist in der Lunge sehr aktiv. In der Flüssigkeit befinden sich wie im Blut ungewöhnlich viele weiße Blutkörperchen, darunter ein hoher Anteil sogenannter Eosinophile - ein typisches Anzeichen für eine Allergie. Der Körper der Patienten scheint nicht gegen Bakterien oder Viren zu kämpfen, er scheint auf etwas überreagiert zu haben.

In der Regel entsteht eine solche Hypersensitivitäts-Pneumonitis nach dem Einatmen organischer Substanzen wie Schimmelpilz- oder Bakteriensporen. Die Erkrankung ist vor allem bekannt bei Bauern, die faules Heu umgeschichtet haben oder getrocknetem Geflügelkot ausgesetzt sind. Akute Reaktionen wie bei der 18-Jährigen können aber auch durch Chemikalien auftreten, die im Dampf von E-Zigaretten stecken. Bei Erwachsenen habe es schon ähnliche Fälle gegeben, schreiben die Forscher. Bei Jugendlichen aber sei kaum etwas über die Risiken des Dampfens bekannt.

Die Ärzte beginnen, das Immunsystem ihrer Patientin zu bremsen. Zweimal am Tag erhält sie 40 Milligramm Methylprednisolon. In hohen Dosierungen wird der Stoff unter anderem nach Transplantationen eingesetzt, um das Immunsystem herunterzufahren und das Risiko für eine Abstoßung des neuen Organs zu senken. Der Zustand der Frau verbessert sich. Fünf Tage nach ihrer Ankunft im Krankenhaus können die Ärzte den Beatmungsschlauch entfernen, bald darauf kann sie wieder nach Hause gehen. E-Zigaretten sollte sie nie wieder rauchen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren