Gentherapie-Studie in Deutschland Leukämie statt Heilung

Eine in Deutschland durchgeführte Pilotstudie, bei der Kinder von einer seltenen Erbkrankheit geheilt werden sollten, endete für mehrere von ihnen tödlich: Acht der zehn Patienten erkrankten an Blutkrebs, drei starben.
Krebszellen im Blut (Illustration)

Krebszellen im Blut (Illustration)

Foto: Corbis

Der Direktor der Dr. von Haunerschen Kinderklinik in München, Christoph Klein, hat über Jahre eine experimentelle Studie vorangetrieben, bei der es zu mehreren Leukämie- und Todesfällen kam, berichtet das Magazin der "Süddeutschen Zeitung". 

Die Studie hatte zum Ziel,  Kindern mit dem lebensbedrohlichen Wiskott-Aldrich-Syndrom  (WAS) zu helfen. Zwischen 2006 und 2009 nahmen insgesamt zehn Jungen an der Studie an der Medizinischen Hochschule Hannover teil, an der Klein damals tätig war. Bei neun Kindern wurde die Therapie vollständig durchgeführt.

Den Kindern wurde Knochenmark entnommen. Daraus gewonnene Stammzellen veränderten die Wissenschaftler im Labor mittels einer Gentherapie: Sie schleusten funktionstüchtige Varianten Gene in die Zellen ein, die bei den Patienten die Krankheit verursachten. Die veränderten Zellen wurden den Kindern nach einer Chemotherapie injiziert, sodass sie sich im Körper vermehrten.

Nachdem die Therapie den Kindern zunächst Linderung verschaffte, erkrankten acht der neun Jungen an Leukämie oder einer Vorstufe von Leukämie. Bis heute sind drei der Patienten gestorben.

Wiskott-Aldrich-Syndrom

Das Wiskott-Aldrich-Syndrom trifft fast ausschließlich Jungen. Erste Symptome zeigen sich meist im Säuglingsalter. Die Erkrankten leiden unter Blutungen, Ausschlägen und sind deutlich anfälliger für Infektionen. Es ist möglich, die Betroffenen mithilfe einer Stammzellspende zu heilen. Allerdings ist diese Behandlung mit Risiken verknüpft und nicht immer erfolgreich.

Bei der Behandlung der leukämiekranken Patienten fanden Krebsärzte für mehrere der Kinder passende Stammzellenspender. Nicht nur Leukämie, sondern auch die Ursprungskrankheit der Kinder, WAS, wird standardmäßig mit einer Stammzellentransplantation behandelt.

Standardtherapie nicht ausgeschöpft

Womöglich hat Klein Kinder einer experimentellen Gentherapie unterzogen hat, deren Krankheit unter Umständen mit einer Standardtherapie behandelt hätte werden können. Der Münchner Professor sagt dazu, in Anbetracht vieler ethischer Argumente habe man sich in Bezug auf die Studie entschlossen, "die Frage der Verfügbarkeit eines allogenen Stammzellenspenders nicht in die Einschlusskriterien aufzunehmen." Allerdings seien diejenigen Kinder, für die ein allogener Stammzellenspender aus der Familie bereit stand, von vornherein von der Studie ausgeschlossen gewesen. Laut Klein sei das Risko einer Stammzellentherapie mit nicht familienidentischen Spendern in den Jahren 2006 bis 2009 dagegen als sehr hoch eingeschätzt worden.

Nach Ansicht von Experten entspricht dieses Vorgehen nicht wissenschaftlichen Standards. Der französische Forscher Alain Fischer, Kleins Doktorvater, sagt im "SZ Magazin", er sei überrascht, dass die deutschen Behörden die Studie so, wie sie war, genehmigt hätten. Damals hatten sich die Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover sowie die Bundesärztekammer mit der Studie befasst, berichtet das "SZ Magazin".

Allgemein ist es üblich, dass an Pilotstudien nur Patienten teilnehmen, bei denen alle etablierten Behandlungsmethoden nicht angeschlagen haben. Denn wird ein neues Verfahren erstmals am Menschen erprobt, sind Nutzen und Risiken schwer einschätzbar.

Akten, deren Herausgabe die "Süddeutsche Zeitung" rechtlich erzwang, zeigen, wie der preisgekrönte Mediziner trotz Warnungen anderer Experten die Studie fortsetzte.

Bereits vor Beginn der Studie sei Klein bekannt gewesen, dass mit vergleichbaren Gentherapie-Ansätzen behandelte Patienten in ähnlichen Studien in Paris und London bereits an Leukämie erkrankt waren, berichtet das Magazin.

Das grundlegende Problem: Die benötigten Gene werden mittels sogenannter Vektoren in die Zellen eingeschleust. Diese Vektoren können sich zum Beispiel an einer Erbgutstelle einbauen, von der aus sie krebsfördernde Gene ständig aktivieren. Inzwischen setzen Forscher andere, sicherere Vektoren ein.

Klein wurde nicht zuletzt wegen seiner Gentherapie-Studie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Eva Luise Köhler Forschungspreis.

wbr/chs

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