Geschlechtskrankheit Syphilis-Fälle in Deutschland nehmen deutlich zu

Sind die Deutschen beim Sex zu sorglos? Mehr als 4400 Menschen haben sich hierzulande 2012 mit Syphilis infiziert - deutlich mehr als ein Jahr zuvor. Noch rätseln Ärzte über die Rückkehr der Geschlechtskrankheit.
Spiralbakterien (rot) im Gewebe: Der Syphilis-Erreger infiziert seit 2010 wieder vermehrt Menschen in Deutschland

Spiralbakterien (rot) im Gewebe: Der Syphilis-Erreger infiziert seit 2010 wieder vermehrt Menschen in Deutschland

Foto: DPA/ Charité Berlin

Hamburg - Die Zahl der in Deutschland gemeldeten Syphilis-Fälle ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. 4410 Infektionen wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 2012 gemeldet. Das sind 706 mehr als im Vorjahr und damit ein Anstieg um 19 Prozent, wie aus dem aktuellen Infektionsepidemiologischen Jahrbuch des RKI  hervorgeht.

Damit bestätigt sich der Trend der vergangenen Jahre: Die Syphilis kehrt offenbar wieder zurück. Nach einer Periode stagnierender und zuletzt gesunkener Fälle sei der Anstieg der Syphilis-Infektionen seit 2010 "sehr auffallend", schreiben die Experten. Für das Jahr 2011 hatte das RKI einen Anstieg der Fälle von fast 22 Prozent verzeichnet.

Die Syphilis ist eine bakterielle Infektion, die nur beim Menschen vorkommt. Der Erreger Treponema pallidum gelangt vor allem bei Sexualkontakten über die Schleimhäute in den Körper, ist aber auch durch Blut und intrauterin – also innerhalb der Gebärmutter – von der Mutter auf das Kind übertragbar. Er verursacht zunächst meist schmerzlose Geschwüre an den Genitalien. Ohne Behandlung kann es später zu Hautausschlag und Knötchenbildung kommen. Im Spätstadium greifen die Bakterien die Verdauungsorgane, Knochen, Muskeln und das Nervensystem an, was zu schweren neurologischen Ausfällen führt.

Laut RKI gab es den größten absoluten Zuwachs an Infektionen bei Männern, die Sex mit Männern haben. Insgesamt stieg zwar die Zahl der Syphilis-Meldungen bei Frauen stärker an als bei Männern. Dennoch erkranken nach wie vor mehr Männer als Frauen, 2012 infizierten sie sich circa 14-mal häufiger. Der Anstieg ist den Experten zufolge auch bedenklich, weil durch eine Syphilis-Infektion das Risiko für eine Ansteckung mit dem HI-Virus steigt.

Auch in den ersten Monaten dieses Jahres wurden laut RKI bereits höhere Syphilis-Zahlen gemeldet als im Vorjahr. "Die Meldungen deuten darauf hin, dass der Anstieg weiter geht", sagt Osamah Hamouda, Fachgebietsleiter HIV/Aids am RKI.

Im Ruhrgebiet infizierten sich auffällig viele Frauen

Die meisten Neuerkrankungen wurden wie 2011 in den Stadtstaaten Berlin (20,9 Fälle pro 100.000 Einwohner), Hamburg (14,2) und Bremen (7,0) registriert. Erneut lagen zudem Nordrhein-Westfalen (6,7) und Hessen (6,4) über dem Bundesdurchschnitt bei den Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Außerdem infizierten sich vergleichsweise viele Menschen in Städten wie Köln, München, Essen und Frankfurt am Main.

Heterosexuell übertragene Fälle treten nur sporadisch auf. Die Experten beobachten allerdings in einigen Städten eine ungewöhnliche Häufung von Syphilis-Infektionen bei Frauen: in Dortmund, Essen und Wuppertal lag die Zahl der Neuerkrankungen weit über dem Durchschnitt. Die Experten vermuten, dass Prostitution dabei eine Rolle spielt. Sie fordern deshalb, in diesen Städten das Untersuchungsangebot für Frauen, die in der Sexarbeit tätig sind, sowie für ihre Kunden zu verbessern und offensiv zu bewerben.

Kaum Fälle gab es dagegen bei Neugeborenen. Offenbar greifen hier die Syphilis-Diagnosetests, die im Zuge der Schwangerschaftsvorsorge angeboten werden. Dennoch weisen die Experten darauf hin, es müsse sichergestellt werden, dass der Test auch Schwangeren ohne Krankenversicherung zur Verfügung stehe.

Der Trend gilt für alle Industrieländer

"Warum die Zahl der gemeldeten Syphilis-Fälle zunimmt, darüber können wir nur spekulieren", sagt Hamouda. "Wahrscheinlich ist, dass die Sorglosigkeit bei Sexualkontakten etwas zugenommen hat." Da die gut wirksame HIV-Therapie in den westlichen Ländern inzwischen allgemein verfügbar sei, hätten viele Menschen weniger Angst vor Aids. Doch damit steige das Risiko für andere sexuell übertragbare Krankheiten. Zudem spielten auch weitere Faktoren eine Rolle – zum Beispiel, dass sich Kontakte immer leichter und schneller über das Internet anbahnten.

Sicher ist, der Trend gilt nicht nur für Deutschland, sondern ist in nahezu allen Industrieländern zu beobachten. In diesen Ländern konnten die Experten im vergangenen Jahrzehnt immer wieder Phasen des Rückgangs und anschließend Phasen des erneuten Anstiegs der Syphilis-Fälle beobachten. Eine mögliche Erklärung: Der Erreger ist in der Lage, sich ähnlich wie Grippeviren zu verändern und anzupassen – wenn auch viel langsamer: "Wir vermuten, dass die Infektionen immer dann zunehmen, wenn sich eine neue Variante des Erregers entwickelt hat, die sich dann verstärkt ausbreiten kann", sagt Hamouda.

Damit möglichst viele Fälle frühzeitig erkannt und behandelt werden können, plädiert Hamouda dafür, besonders Männer, die Sex mit Männern haben, regelmäßig auf Syphilis zu testen. Denn im frühen Stadium ist die Therapie unkompliziert: dann reichen Penicillin-Spritzen aus. Je später die Behandlung beginnt, desto langwieriger wird sie. Auch Patienten, die schon einmal infiziert waren, können sich erneut mit Syphillis anstecken.

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