DEGS-Studie Jeder fünfte Erwachsene erlebt psychische Gewalt

Einer von fünf Erwachsenen wird gemobbt, bedroht oder schikaniert. Das zeigen die Zahlen der DEGS-Gesundheitsstudie. Vor allem am Arbeitsplatz kann das dramatische Folgen haben. Zu Hause üben Frauen der Analyse zufolge ähnlich häufig körperliche Gewalt aus wie Männer.
Isolation am Arbeitsplatz: Opfer psychischer Gewalt sind Frauen und Männer

Isolation am Arbeitsplatz: Opfer psychischer Gewalt sind Frauen und Männer

Foto: Corbis

Psychische Gewalt hat für die Opfer Konsequenzen, die genauso schwer wiegen können, wie die Folgen körperlicher Gewalt. Umso erstaunlicher ist, dass erst jetzt erstmals repräsentative Daten zu körperlicher und psychischer Gewalt  unter Männern und Frauen in Deutschland vorliegen.

Die Forscher des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin mussten sich die Screening-Instrumente zunächst selbst schaffen, um Ergebnisse für die Gesundheitsstudie DEGS erarbeiten zu können. Dank dieser Arbeit gibt es jetzt Zahlen dazu, wie viele erwachsene Deutsche körperliche und psychische Gewalt erleiden - oder ausüben.

Jeder Fünfte der befragten 5939 Frauen und Männer zwischen 18 und 64 Jahren ist im Zeitraum von zwölf Monaten vor der Befragung Opfer psychischer Gewalt geworden. Jeder Zehnte gab an, selbst psychische Gewalt ausgeübt zu haben. Opfer körperlicher Gewalt wurde etwa jeder 20. Erwachsene, Täter waren mehr als drei Prozent - diese Ergebnisse passen zu vergleichbaren internationalen Studien.

Hohe Kosten durch psychische Gewalt

Ein unterschätztes Risiko geht von psychischer Gewalt am Arbeitsplatz aus. Neun Prozent beider Geschlechter werden im Beruf zum Opfer. Da immer noch weniger Frauen als Männer berufstätig sind, bedeutet das Ergebnis, dass Frauen häufiger Opfer psychischer Gewalt am Arbeitsplatz sind als Männer. Über die akute Belastung hinaus drohen hier chronische Folgen für die Gesundheit wie etwa Depressionen oder Angststörungen.

"Psychische Gewalt am Arbeitsplatz ist auch ein volkswirtschaftliches Problem", sagt der verantwortliche RKI-Forscher Robert Schlack zu SPIEGEL ONLINE. "Die Leistungsfähigkeit und Produktivität der Betroffenen leidet, und auf diese Weise entstehen hohe wirtschaftliche Verluste. Arbeitgeber sollten daher ein hohes Eigeninteresse an Mobbingprävention haben."

Bei der körperlichen Gewalt sind Männer häufiger Täter, aber auch häufiger Opfer. Die Gefahren körperlicher Gewalt betreffen vor allem junge Erwachsene: Je älter die Befragten, desto niedriger die Zahl der Gewalterfahrungen.

"Dass Männer insgesamt häufiger Opfer von körperlicher Gewalt werden, ist kein wirklich überraschendes Ergebnis, auch wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung eher wenig verankert ist", sagt Robert Schlack. "Bemerkenswert ist jedoch, dass insgesamt hinsichtlich der Ausübung von körperlicher Gewalt nur geringe und statistisch nicht signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen."

Männer haben ein Problem mit der Opferrolle

Männer nehmen der Studie zufolge Gewalt als belastender wahr als Frauen. Besonders schwer wiegt die Opferrolle für sie offenbar, wenn sie von familiärer und Partnergewalt betroffen sind. Die fehlende Akzeptanz von Männern als Gewaltopfer sei ein gesellschaftliches Problem, schreiben die RKI-Forscher in ihrer Zusammenfassung . Unter anderem Dank der Vorarbeit und der Lernfähigkeit der feministischen Gewaltforschung würden allerdings mittlerweile auch männliche Opfererfahrungen und weibliche Täterschaft untersucht.

Erstaunt sind die RKI-Forscher, dass Frauen häufiger als Männer gegenüber dem eigenen Partner körperliche Gewalt ausüben - insgesamt werden Frauen bei der körperlichen Gewalt offenbar eher im häuslichen Umfeld zu Täterinnen. Die Zahlen passen zu einer aktuellen Diskussion unter Fachleuten: Bisher galt die Argumentation, dass Frauen gegenüber Partnern vor allem Gewalt anwenden, um sich selbst zu verteidigen. Diese Sichtweise wird von einigen Wissenschaftlern in Frage gestellt, weil verschiedene Studien gezeigt hätten, dass weibliche und männliche Partnergewalt annähernd gleich häufig vorkomme und auch von beiden Geschlechtern ausgehe.

Von der Untersuchung ausgespart sind unter anderem Fragen zu sexueller Gewalt. Die RKI-Forscher hätten im Rahmen der DEGS-Studie keine ausreichenden Möglichkeiten gehabt, die Befragten im Falle einer Traumatisierung durch die Fragen angemessen psychologisch zu betreuen und haben deshalb auf diesen Themenbereich verzichtet. Da die Erhebung bei 64-Jährigen endet, gibt es aus der DEGS1 auch keine Ergebnisse zu Gewalt unter älteren Menschen - ein Thema, das für die alternde Gesellschaft wichtig ist.

Die Studienergebnisse, darauf legen die Wissenschaftler wert, bietet kein vollständiges Bild der Gewalt unter deutschen Erwachsenen. Aber, so RKI-Forscher Schlack: "Die Besonderheit der DEGS1-Studie besteht darin, dass auf der Basis einer großen, repräsentativen Stichprobe eine Vielzahl von körperlichen, psychologischen und sozialen Messwerten miteinander verknüpft werden können." So könnten die Gewalterfahrungen mit verschiedenen Merkmalen in Beziehung gesetzt und ausgewertet werden.

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