Hodenkrebs Ärzte klagen über fehlende Früherkennung
Hodenkrebs trifft vor allem jüngere Männer. Viele Urologen pochen deshalb darauf, die Früherkennung durch Abtasten für diese Altersgruppe zur Kassenleistung zu machen - doch der Vorschlag trifft auf wenig Gegenliebe.
Das Risiko der meisten Krebserkrankungen steigt mit dem Alter. Doch es gibt Ausnahmen. Eine davon ist Hodenkrebs. Im Jahr 2010 erkrankten rund 4000 Männer in Deutschland, 150 starben an Hodenkrebs. Gefährdet sind vor allem Männer zwischen 25 bis 49 Jahren. Drei Viertel aller Fälle finden sich in dieser Altersgruppe, sagt Klaus Kraywinkel, Fachgebietsleiter im Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin.
Dennoch zahlen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten in diesem Alter keine Früherkennung auf die meist schnell wachsenden Tumoren in den Hoden. Sehr zum Ärger vieler Urologen.
Seit die allgemeine Wehrpflicht und damit die flächendeckende Musterung abgeschafft wurden, klafft zwischen der letzten Vorsorgeuntersuchung für 12- bis 14-Jährige und der gesetzlichen Krebsfrüherkennung für Männer ab 45 eine große Lücke. Junge Männer müssen also die Untersuchung, die am besten ein Urologe oder Androloge vornimmt, selbst bezahlen. Die Ausnahme: Der Mann hat bereits Beschwerden oder eine Unregelmäßigkeit an seinen Hoden ertastet.
Das Problem dabei erklärt Tobias Pottek, Chef der Urologischen Klinik des AK Rissen in Hamburg: "Laut einer Doktorarbeit von 2010 begeben sich Männer, die den Tumor selbst an ihrem Hoden bemerken, erst Monate später in Behandlung, während Männer, deren Hodentumor von einem Arzt entdeckt wurde, viel früher und damit in einem früheren Krankheitsstadium einer Therapie zugeführt werden." Bei den schnell wachsenden Tumoren kann dies einen großen Unterschied bedeuten. "Wir wissen aus einer Vielzahl von klinischen Untersuchungen, dass bereits eine Zeitverzögerung von mehr als drei Monaten die Rate an Metastasen deutlich erhöht", sagt Axel Heidenreich, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum der RWTH Aachen.
Ob eine Früherkennung in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen wird, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Das Gremium wird allerdings nur dann tätig, wenn eines seiner Mitglieder es beantragt. Laut G-BA wurde ein solcher Antrag noch nicht gestellt.
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Drei Argumente der Gegner
Das Argument der geringen Verbreitung von Hodenkrebs greift in Deutschland nicht. Denn die Anzahl von Erkrankungs- und Todesfällen ist nach dem maßgeblichen Gesetz (§§ 25 und 26 SGB V) kein Kriterium für die Aufnahme in den Leistungskatalog der Versicherungen.
Das Argument der guten Heilbarkeit von Hodenkrebs im fortgeschrittenen Stadium klingt fast zynisch, wenn man den Unterschied betrachtet, den der Zeitpunkt von Entdeckung und Therapiebeginn für die Betroffenen bedeuten kann.
Kleine Tumoren können oft operativ entfernt werden, wobei der Hoden erhalten wird. Der Patient muss lediglich für Nachkontrollen zum Arzt. "Die organerhaltende Hodentumorchirurgie gewinnt immer mehr an Gewicht und ist mittlerweile auch in die nationalen und internationalen Leitlinien eingegangen", sagt Heidenreich.
Wird der Krebs dagegen zu spät entdeckt, muss der Hoden ganz entfernt werden, zusätzlich sind Chemotherapie oder Strahlenbehandlung notwendig. Die Fruchtbarkeit der jungen Männer leidet ebenso darunter wie die Testosteronproduktion, sodass sie später dreimal häufiger ständigen Hormonersatz benötigen als die Normalbevölkerung. Auch das Risiko, später weitere Tumoren wie Leukämien oder Lymphome zu entwickeln, erhöht sich deutlich.
Anleitung zum Selbstabtasten
Das Argument der ungünstigen Studienlage ist allerdings missverständlich. Es gibt keine Studien, die einen Vorteil belegen, weil erst gar keine Studien mit dieser Fragestellung durchgeführt wurden. Doch wo sollen die Untersuchungen herkommen? Der GKV-Spitzenverband vertritt die Ansicht, entsprechende Studien seien "von denen anzustrengen, die eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode propagieren, um letztlich damit auch ökonomische Vorteile zu erzielen".
"Es geht nicht um ökonomische Vorteile in der Untersuchung und Behandlung, sondern um eine bessere medizinische Versorgung junger Männer", sagt Axel Schroeder, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen (BDU).
"An Hodenkrebs kann kaum etwas verdient werden", sagt Urologe Pottek. "Erstens ist die Krankheit selten, und zweitens sind sowohl für Diagnostik als auch für die Therapie keine spezifischen Mittel und Methoden erforderlich, die patentiert werden könnten."
Im Wissen um diese Schwierigkeiten hat der BDU mehrere gesetzliche Krankenversicherer direkt angesprochen. "Von allen angefragten Kassen hat sich allein die BKK Mobil Oil dazu bereit erklärt, für Männer zwischen 20 und 45 Jahren eine einmalige Hodenuntersuchung anzubieten", sagt der BDU-Präsident und niedergelassene Urologe und Androloge Schroeder. Die Kasse vergütet die Untersuchung mit 35 Euro.
Für Kurt Miller, Leiter der urologischen Klinik der Charité in Berlin, könnte die Lösung in einem Kompromiss bestehen: Eine einmalige Hodenkrebs-Früherkennungsuntersuchung von Männern im betreffenden Alter auf Kassenkosten, bei der die Ärzte eine Anleitung zur am besten monatlich durchgeführten Selbstuntersuchung geben. In diesem Rahmen könnten die Mediziner den Männern auch erklären, wie wichtig es ist, bei einer Auffälligkeit beim Abtasten schnell zu handeln.
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