Homöopathie So wirken Placebos bei Tieren

Globuli der Kamille: Gibt es auch bei Pflanzen einen Placeboeffekt?
Foto: Corbis
Paul Enck ist Professor für Medizinische Psychologie und Forschungsleiter der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen. Seit 2002 beschäftigt sich Enck mit Placeboeffekten, ihren psychologischen und neurobiologischen Mechanismen und ihren klinischen Konsequenzen. Er ist einer der weltweit führenden Placebo-Forscher.
SPIEGEL ONLINE: Herr Enck, ein Argument von Homöopathie-Anhängern für die Wirksamkeit der Therapie ist, dass Globuli auch Tieren helfen, die nicht an die Wirkung glauben können. Ein Placeboeffekt sei somit ausgeschlossen und die Wirkung der Globuli bewiesen. Stimmt das?
Enck: Die Besitzer sind in diesem Fall die treibende Kraft. Wenn wir ein Medikament nehmen und eine Erwartungshaltung bezüglich seiner Wirkung haben, hat das schon eine Wirkung auf den Gesundungsprozess - das ist der Placeboeffekt. Das Tier hat diese Erwartungshaltung bezüglich der Pillen natürlich nicht, aber sein Besitzer. Man nennt das "Placebo by Proxy", Placebowirkung durch die Angehörigen.
SPIEGEL ONLINE: Der Besitzer ändert also sein Verhalten?
Enck: Man muss sich den Tierbesitzer genau anschauen. Wenn sein Tier krank wird, ist er natürlich nervös. Er hat die positive Erwartung an die Pillen, beobachtet den Krankheitsverlauf genau und reagiert sofort auf jede Verbesserung und entspannt sich. Er ändert sein Verhalten, kümmert sich womöglich auch einfach mehr um das Tier. All das wirkt positiv auf das kranke Tier.
Ganz besonders extrem können Sie das in der Pferdehaltung sehen. Dort sind Homöopathika sehr verbreitet. Ich kann mir das nur so erklären, dass Pferdehalter hinsichtlich der Gesundheit ihrer Tiere außergewöhnlich nervös sind, weil Pferde schon an Kleinigkeiten, wie beispielsweise Koliken, sterben können. Die Homöopathika entspannen dann vor allem die Pferdehalter. Und das wirkt auf die sehr sensiblen Pferde stark zurück.
SPIEGEL ONLINE: Placebos wirken sogar, wenn man den Leuten sagt, dass sie nur ein Scheinmedikament nehmen. Funktioniert "Placebo by Proxy" auch, wenn der Proxy - also der Tierbesitzer - weiß, dass es sich um ein Placebo handelt?
Enck: Im Prinzip sicherlich schon - auch wenn das noch niemand untersucht hat. Warum auch nicht: Placebos wirken vor allem bei den Ängstlichen und Unsicheren, und die gibt es unter den Tierhaltern mindestens so häufig wie bei denen, die keine Tiere haben.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Kollege, Herr Schedlowski, hat ein interessantes Experiment gemacht : Er verabreichte Ratten, die ein Spenderherz erhalten hatten, zunächst starke Medikamente zur Unterdrückung des körpereigenen Abwehrsystems - und mischte sie mit einem Süßstoff. Nach einigen Wiederholungen reichte schon der Süßstoff allein, um die immunsuppressive Wirkung zu erzielen. Das Gleiche gelang ihm auch bei Menschen. Das war ein Placeboeffekt aufgrund klassischer Konditionierung. Kann das beim Tier auftreten, wenn es Globuli bekommt. Weil es vielleicht früher gelernt hat: Pillen tun mir gut?
Enck: Ja, das kann sein. Aber damit diese Konditionierung wirkt, muss das Tier vorher schon mal eine echte Pille für exakt diese Wirkung bekommen haben, für die es nun das Placebo bekommt. Also zum Beispiel: Ein Hundehalter, der seinem Hund irgendwann einmal eine wirksame Pille gegen Durchfall gegeben hat, kann ihm nun nicht einfach Globuli geben und hoffen, dass seine Hüftschmerzen verschwinden. Außerdem werden die Globuli wie die meisten Medikamente meist unter das Fressen gemischt. In dem Fall bekommt das Tier gar nicht mit, dass es behandelt wird - und kann nicht "konditioniert" reagieren. Eine Wirkung kann dann nur über den Proxy erfolgen.
Aber bei Tieren gibt es noch eine andere Komponente. In der Tierarztpraxis sitzen mitunter Tiere friedlich nebeneinander, die sich eigentlich nicht vertragen. Vielleicht gibt es da Signale, die wir noch nicht kennen. Und vergessen Sie auch nicht die Schlüsselreize weißer Kittel, Praxis, Arzt, die möglicherweise auch beim Tier einen Effekt haben.
SPIEGEL ONLINE: Sprechen wir mal über Pflanzen. Gibt es da auch Placeboeffekte?
Enck: Meine Sekretärin spricht mit ihren Pflanzen, weil sie glaubt, dass das gut für sie sei. Und mir wirft sie immer vor, dass ich falsch mit ihnen rede. Wenn ich zum Beispiel nach drei Wochen ins Büro komme sage ich: "Na, habt ihr Durst? Da müsst ihr aber noch ein wenig warten, ich hab jetzt noch keine Zeit, euch zu gießen." "Das darfst du ihnen nicht sagen!", wirft sie mir dann vor.
SPIEGEL ONLINE: Leute, die mit Blumen sprechen, schwören darauf, dass das gut für die Pflanzen sei.
Enck: Die geben sich einfach mehr Mühe mit ihren Pflanzen. Und wenn dann mal eine vertrocknet, beziehen die Leute das auf sich und werfen sich vor, sich nicht genug bemüht zu haben.
SPIEGEL ONLINE: Manche Leute geben ihren Pflanzen auch Homöopathika.
Enck: Das ist doch nicht wahr! (lacht)
SPIEGEL ONLINE: Kann es bei Pflanzen auch zu Placebo-by-Proxy-Effekten kommen?
Enck: Ich glaube einfach, wer seinen Pflanzen Globuli gibt, der hat auch einen grünen Daumen. Der guckt mehr nach dem Grünzeug und kümmert sich auch entsprechend. Das führt zu Erfolgen, die die Leute dann den Mitteln zuschreiben.