Hypochonder Herr Doktor, ich habe Rücken, Fuß und Brust!
Ein Arzt hat mich einmal mitleidsvoll angeschaut und gesagt: "Menschen wie Sie haben es wirklich schwer, Sie sind so sensibel." Ich hatte ihm meine Top fünf Leiden der Woche geschildert - mit seiner Antwort wollte er mir wohl sagen, dass er mich zwar für einen Hypochonder hielt, aber trotzdem gut an mir verdienen wollte. Jedenfalls nutzte er die Chance, um mir alle Untersuchungen, die sein Labor anbietet, aufzuschwatzen.
Natürlich hatte er recht. Ich habe es schwer. Ich habe Schmerzen im Fußgelenk, ich denke: eine Knochenabsplitterung. Ich habe Rückenschmerzen, ich denke: Rheuma. Ich habe ein Stechen in der Brust, ich denke: Herzinfarkt. Ständig ein Wehwehchen oder - meistens - Schlimmeres. Realistisch betrachtet, muss ich wohl davon ausgehen, dass viele Menschen die gleichen körperlichen Unzulänglichkeiten haben wie ich, aber davon nichts mitbekommen.
Da einige meiner Verwandten ähnlich sind, bin ich mir sicher: Es liegt in unseren Genen. Die Frage liegt nahe: Wie konnten meine Vorfahren damit durchkommen? Hätte die Evolution uns Schwache nicht vernichten müssen?
Ich glaube, es war so: Meine Vorfahren saßen in ihrer Hütte. Plötzlich stand der Nachbar in der Tür: "Hey, wir machen los, Bärenjagd, kommt ihr mit?" Mein Vorfahr sagte nichts und zeigte auf seinen Hals. "Was soll das heißen? Schon wieder Halsschmerzen?", fragte der Nachbar. "Nie kommt ihr mit zur Jagd, wollt ihr das ganze Jahr gestampfte Hirse essen?"
Erkältung, Herzmuskelentzündung, Exitus
Zwei Jahre später war der Nachbar bei der Treibjagd zusammengebrochen: verschleppte Erkältung, Herzmuskelentzündung, Exitus. Sein ältester Sohn war von einem Bär zerfleischt worden. Seine Tochter war nach einem Schlaganfall - zu viel fettes Bärenfleisch, Arteriosklerose, hoher Blutdruck - nicht mehr gebärfähig. Und meine Vorfahren saßen immer noch in der Hütte und mümmelten Hirse.
Manchmal, das heißt, wenn sie sicher waren, dass die Sexualpartner keine Halsschmerzen hatten, hatten sie sogar Geschlechtsverkehr. Und so kam es, dass sie sich fortpflanzten obwohl (oder gerade weil) sie keine coolen Bärentöter waren. Von wegen Survival of the Fittest - wir Sensiblen sind die Gewinner der Evolution!
Der Arzt, der mich als Sensibelchen bezeichnet hatte, sagte mir zwei Wochen nach der Laboruntersuchung, es sei alles in Ordnung. Vielleicht dachte er, der Typ hat eh nichts - und rechnete die Untersuchungen nur ab, ohne sie wirklich zu machen.
Hypochondrie
Menschen, die von anderen Menschen als Hypochonder bezeichnet werden, sind meistens keine. Psychologen bezeichnen sie vielmehr als Somatisierer. Sie sind sehr um ihre Gesundheit besorgt, achten auf geringe Veränderungen von Körperfunktionen und interpretieren normale Signale als Erkrankung. Während der Leidensdruck bei Somatisierern allerdings durch Arztbesuche gemildert wird, geben Hypochonder sich nicht mit Diagnosen zufrieden. Sie sind fest davon überzeugt, schwer krank zu sein. Ärzte, die sie als gesund bezeichnen haben sie nicht gründlich untersucht, so dass sie sich oft direkt den nächsten Termin bei einem anderen Arzt geben lassen. Die Therapie der Hypochondrie ist langwierig. Sie besteht darin, den Patienten etwa durch Sport, ein besseres Körpergefühl zu vermitteln.
Eine ausgeprägte Krankheitsangst kann selbst Beschwerden hervorrufen. Die Gedanken der Patienten kreisen um die Krankheiten, unter denen sie vermeintlich leiden. Die Angst vor schweren Folgen der eingebildeten Krankheit steigt an, gefüttert durch allerlei Informationen aus Internet, Zeitschriften und Fachliteratur.
Die Krankheitsangst kann so stark werden, dass ein normaler Alltag nicht mehr möglich ist. Dann leiden Hypochonder tatsächlich an einer schweren Krankheit und brauchen ärztliche Hilfe.
Wer unter seiner eigenen Hypochondrie leidet, der sollte sich professionelle Hilfe suchen. Psychiater und Psychologen sind die richtige Anlaufstelle. Dort können Betroffene Verhaltensweisen erlernen, mit denen sie ihre Angst vor Krankheiten im Alltag eindämmen können.
Die Poliklinische Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz bietet einen Schnelltest im Internet an. Hier können Sie testen, ob Sie selbst an Krankheitsangst leiden.
Quelle: Universität Mainz
Jahre später stellte sich jedenfalls heraus, dass ich ein Gen habe, das Rheuma begünstigt - obwohl ich es seiner Untersuchung zufolge nicht hatte. Es soll also keiner sagen, dass wir Sensibelchen uns Krankheiten einbilden - jedenfalls nicht ausschließlich. Wir haben wohl einfach ein paar andere Gene.