Rhythmus von Infektionskrankheiten So wird Deutschland krank

Der Winter kommt - und mit ihm das große Schniefen und Keuchen. Zur Hochsaison der Krankenstandsmeldungen untersuchen wir die wichtigsten Erreger in einer Serie. Wen sie wo und wann befallen, verrät die Datenanalyse.
Erregersaison ist immer: Die einen gehen, die anderen kommen

Erregersaison ist immer: Die einen gehen, die anderen kommen

Foto: Corbis

Jedes Jahr das Gleiche: Die erste Schniefnase im Herbst markiert den Beginn der Hochsaison für Atemwegsinfekte. Ab dann möchte man das eigene Kind am liebsten nur noch mit Einmalhandschuhen anfassen. Und nach der U-Bahn-Fahrt mit Desinfektionsmittel duschen. Überall tropfende Nasen, röchelnder Husten und glühende Wangen - vom Fieber, nicht vom Glühwein. Schon ab September registrieren Mediziner einen allmählichen Anstieg der Atemwegserkrankungen, kurz nach Neujahr erreicht der Krankenstand meist seinen Höhepunkt. Und die Grippewelle rollt mit Macht durchs Land.

Doch auch wenn uns im Herbst und Winter Atemwegsinfekte beuteln - damit ist es längst nicht getan, das ganze Jahr ist ein Auf und Ab verschiedener Erregerdichten. Das weiß kaum jemand besser als die Epidemiologen vom Robert Koch-Institut (RKI) für Infektionskrankheiten in Berlin. Sie sammeln akribisch die Daten, wer wo in Deutschland und wann im Jahr an welcher meldepflichtigen Krankheit leidet.

Serie Infektionskrankheiten

In loser Reihenfolge stellen wir sieben wichtige Infektionskrankheiten vor. Darunter drei der häufigsten Durchfallerkrankungen (ausgelöst durch Salmonellen , Noroviren  und Rotaviren ), außerdem die Grippe , die Masern , die durch Zecken übertragene Frühsommermeningitis (FSME) und eine eher unbekannte Infektion mit einem ungewöhnlichen Übertragungsweg: die Hantaviruserkrankung , die von Rötelmäusen übertragen wird.

Epidemiologische Fleißarbeit

Osamah Hamouda ist so etwas wie der Chefarchivar für die Zipperlein der Deutschen. Jedes Jahr erstellt seine Abteilung das Jahrbuch meldepflichtiger Infektionskrankheiten . Schnupfen und Bronchitis zählen dazu freilich nicht, aber Krankheiten wie Grippe und Salmonelleninfektion bekommen ein Kapitel und auch weniger bekannte wie das Läuserückfallfieber oder die Hantaviruserkrankung.

Heftiges Schniefen: So beginnt jede Grippewelle

Heftiges Schniefen: So beginnt jede Grippewelle

Foto: Nicolas Armer/ dpa

Das Jahrbuch ist eine Sammlung von Kurven und Tabellen: Aus ihnen lässt sich ablesen, wie viele Menschen Masern, Tollwut oder Grippe hatten, wie alt sie waren, wann sie erkrankt sind und auch, wo sie leben. Es zeichnet die Jahresverläufe der Krankheiten nach und gibt damit so etwas wie eine kalendarische Rückschau über das, was uns über die einzelnen Monate beutelte - und eine grobe Vorschau auf das, was uns voraussichtlich wieder treffen wird.

Die Epidemiologen stellen ihr Jahrbuch in akribischer Fleißarbeit zusammen. "Trotzdem ist das, was wir in dem Jahrbuch erfassen, nur ein Teil des tatsächlichen Infektionsgeschehens", sagt Hamouda. Denn nicht jeder Grippekranke geht zum Arzt, und nicht bei jedem Durchfall wird eine Stuhlprobe untersucht. Trotzdem sei reale Entwicklung beurteilbar, so der Epidemiologe, weil "das Gesundheitsverhalten der Menschen und das Meldeverhalten der Ärzte einigermaßen gleich verlaufen und wir Trends, Abweichungen und Ausbrüche feststellen können".

Das Jahr beginnt mit Schnupfen und Fieber

"In den Wintermonaten und zu Jahresbeginn kämpfen wir besonders mit Atemwegserkrankungen", sagt Hamouda. "Da gibt es eine ganze Vielzahl von Erregern - von denen die bekannteste Erkrankung sicher die von Influenza-Viren ausgelöste Grippe ist - die sich üblicherweise nach Neujahr in der Bevölkerung ausbreitet."

Auf der animierten Deutschlandkarte können Sie sehen, wie die Fälle der Atemwegserkrankungen in der Saison 2014/2015 über die Wochen verteilt waren. Blau steht für wenige Fälle, Grün und Gelb für mehr Infektionen, Rot für das Maximum.

Die ersten Meldungen der Saison hatte das RKI Ende September, Anfang Oktober 2014, die Saison endete Mitte April 2015. "Die Karte zeigt, dass ab Ende Januar, Anfang Februar die Hochsaison der Atemwegserkrankungen und damit auch der Grippe herrschte", sagt Silke Buda aus der Fachabteilung für respiratorische übertragbare Erkrankungen des RKI.

Ihr Fazit: "Wir hatten eine eher schwere Influenzasaison." Der Höhepunkt der Grippewelle lag in der achten und neunten Kalenderwoche 2015, in dieser Zeit ist Deutschland - bis auf wenige Inseln der Gesunden - fast flächendeckend rot. "Anhand der Karte sieht man, dass im Zeitraum der Grippewelle eigentlich ganz Deutschland stark betroffen war", sagt Buda.

Die Schniefnase geht, der Brechdurchfall kommt

Wer glaubt, dass mit dem Frühjahr das Schlimmste überstanden ist, der irrt - leider. Es wird nur anders. Schwächt sich ab März, April die Grippe ab, kommen im Sommer die Durchfallerkrankungen, die von Bakterien wie Campylobakter oder E. coli übertragen werden.

Die Top-fünf-Tabelle der häufigsten Infektionskrankheiten ist Hamouda zufolge vor allem eine Hitliste der Durchfallerreger: Norovirus, Campylobacter, Rotavirus. Gefolgt von Salmonellen und Influenzavirus. In den Infografiken können Sie sehen, in welchen Wochen der Jahre 2010-2015 die meisten Menschen an den verschiedenen Erregern, die wir in dieser Serie vorstellen, erkrankt waren.

Die Verläufe und Schwankungen können die Wissenschaftler für einige Krankheiten ganz gut erklären, für andere nicht. "Die Erreger unterscheiden sich in ihren Eigenschaften", sagt Epidemiologe Hamouda. "Ihr Überleben ist abhängig von verschiedenen Umwelteinflüssen - zum Beispiel Temperatur oder Luftfeuchtigkeit, aber auch von der individuellen Beschaffenheit des Erregers und des Immunsystems der Betroffenen."

So mögen es Durchfallerreger gern warm - kommen also häufiger im Sommer vor. "Wenn der Kartoffelsalat mit Salmonellen kontaminiert ist und nur lange genug ungekühlt dasteht, können sich Erreger wunderbar vermehren", sagt Hamouda. "Dann ist die Keimbelastung höher, und es gibt mehr Infektionen." Prominente Ausnahme: Das Norovirus mag es winterlich kalt.

Bei der Grippe hingegen wisse man es noch nicht so genau. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich die Grippeerreger bei kaltem Wetter in der Luft länger halten und besser übertragbar sind. Hinzu kommt, dass die menschlichen Atemwege bei kaltem Wetter empfindlicher sind.

Nicht jede Altersgruppe ist für jede Krankheit gleich anfällig, das zeigt auch die folgende Infografik. Die Kurven gehen hoch bei Säuglingen, Kindern und alten Menschen - sie schniefen und fiebern besonders häufig.

Mit einem Irrglauben muss Infektionsexperte Hamouda allerdings aufräumen: Dass sich Atemwegsinfekte und Grippe ab Januar häufen, liege nicht daran, dass unser Immunsystem nach einigen Wintermonaten schlapper sei. "Das ist Unfug", sagt der Epidemiologe. Es werde weder durch zu viele Impfungen noch durch zu viele Erreger überlastet. Es sei einfach die Frage, ob unser Immunsystem seinen Gegenspieler und dessen Strategie schon kennt und vor allem, wie viele infizierte Personen in unserer Umgebung sind. "Wenn die Grippewelle im Winter beginnt, sind das erst mal nur ein paar wenige", sagt Hamouda. Da ist die Gefahr, sich anzustecken, niedrig.

Wie ein Schneeballeffekt

Und richtig los rollt die Welle meist ab Januar. Mit dem Frühling und den wärmeren Temperaturen schwächt sich die Grippewelle dann wieder ab, weil die Überlebensbedingungen für den Erreger schlechter werden.

Auch wenn es eine Rückschau ist - über die Jahre sind die Verläufe ganz ähnlich. Dennoch gibt es in fast jeder Saison Erreger, die das gewohnte Spiel aufmischen: 2011 versetzte eine Mikrobe namens Ehec Forscher und Gesundheitsbehörden in Alarmbereitschaft. Tausende Menschen erkrankten innerhalb kürzester Zeit an lebensbedrohlichen Darmentzündungen mit blutigen Durchfällen, etliche starben. Der Ausbruch dauerte nur wenige Wochen und war so schnell vorbei, wie er gekommen war.

Und in dieser Saison? "Wir hatten im Frühjahr den größten Masernausbruch seit zehn Jahren", sagt Hamouda. "Was noch kommt, können wir aber nicht vorhersagen."

Zur Autorin
Foto: Tinka und Frank Dietz

Kristin Hüttmann ist Diplom-Biologin und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in Hamburg. Zu ihren Schwerpunkten zählen Themen aus Medizin, Biologie, Biotechnologie, Gentechnik, Stammzell- und Pharmaforschung.

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