Ein rätselhafter Patient Ist das wirklich nur das Alter?

Einem 70-Jährigen in Kanada geht es schlecht. Das sei bloß das Alter, sagt der erste Arzt. Der zweite diagnostiziert Fibromyalgie, der dritte das chronische Erschöpfungssyndrom. Doch sie liegen alle falsch.

Der Mann ist sehr erschöpft. Nachts schwitzt er, kann kaum schlafen. Ihn plagen leichte Kopfschmerzen, auch die Gelenke tun weh. Dann wieder hat er Fieber und Schüttelfrost. Er ist durstiger als sonst und kann sich schlecht konzentrieren.

Als der 70-Jährige zum Arzt geht, erhält er eine simple Diagnose: Das seien die Symptome hohen Alters. Offensichtlich gibt sich der Patient, der in der kanadischen Provinz Ontario lebt, mit dieser Erklärung nicht zufrieden.

Er sucht einen weiteren Arzt auf. Dieser vermutet eine Fibromyalgie. Chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen, Müdigkeit und Erschöpfung sowie ein nicht erholsamer Schlaf sind die Kernsymptome dieser Krankheit.

Ein dritter Mediziner, den der Patient zurate zieht, diagnostiziert ein chronisches Erschöpfungssyndrom, auch als Myalgische Enzephalomyelitis bekannt. Auch diese Krankheit ist mit Schmerzen und Erschöpfung assoziiert. Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche sind ebenfalls typisch.

Welche Untersuchungen die Ärzte vornahmen, ehe sie zu ihren Einschätzungen kamen, wird im Fallbericht im Fachblatt "Sage Open Medical Case Reports"  nicht geschildert.

Jedenfalls scheint der 70-Jährige all diesen Diagnosen nicht zu trauen, denn er konsultiert einen weiteren Arzt. Das mag auch mit einem Vorfall zusammenhängen, der sich drei Monate zuvor ereignete. Der Mann wurde von einer Zecke gebissen. Dies bemerkte er erst, als das Tierchen sich mit seinem Blut vollgesogen hatte und abfiel, während er morgens im Bett lag.

Ein Experte identifizierte den Parasiten damals als Hirschzecke (Ixodes scapularis), eine in den USA und Kanada vorkommende Art. Es wurde auch geprüft, ob die Zecke Borreliose-Erreger in sich trug, das war zum Glück nicht der Fall.

Der vierte Mediziner veranlasst eine spezielle Untersuchung

Mit 39,4 Grad Celsius Fieber sitzt der Patient also in der vierten Praxis. Dort werden spezielle Tests veranlasst, mit denen nach sogenannten Babesien gesucht wird. Dabei handelt es sich nicht um Bakterien oder Viren. Es sind einzellige Parasiten, wie die Erreger von Malaria und Toxoplasmose. Babesien können von manchen Zeckenarten, darunter auch die Hirschzecke, übertragen werden. Es gibt mehr als hundert Babesia-Arten, doch nur ein paar davon lösen Krankheiten bei Menschen aus.

Ähnlich wie die Erreger der Malaria befallen diese Babesien die roten Blutkörperchen, um sich in diesen zu vermehren. Eine Infektion könnte die Beschwerden des Mannes erklären.

Tatsächlich finden sich im Blut des Patienten zahlreiche Antikörper gegen Babesia duncani, berichtet John Scott von der Stiftung Lyme Ontario in dem medizinischen Fallbericht. Zusätzlich können die Ärzte das Erbgut des Erregers nachweisen.

Auch seine Frau ist betroffen

Weil der Patient noch nie in seinem Leben eine Bluttransfusion erhalten hat, bei der Babesien übertragen werden können, ist es sehr wahrscheinlich, dass er durch den Zeckenbiss infiziert wurde. Und weil der Mann nie im Ausland war, ist es laut dem Bericht der erste bekannte Fall einer Ansteckung mit Babesia duncani in Kanada.

Interessanterweise sind die Tests auch bei der Frau des Patienten positiv, die die Ärzte ebenfalls untersucht haben. Sie leidet aber an keinerlei Symptomen. Vermutlich wurde sie ebenfalls von einer mit Babesien befallenen Zecke gebissen. Eine sexuelle Übertragung können die Ärzte aber nicht ausschließen.

Der Mann bekommt Medikamente, die die Krankheitserreger bekämpfen. Doch er verträgt die Therapie sehr schlecht, er entwickelt einen Ausschlag und ausgeprägte Schmerzen am Oberkörper. Die Behandlung wird entsprechend angepasst - die Medikamentenmischung wird verändert, er nimmt die Mittel immer zwei Tage lang ein und dann wieder zwei Tage nicht. So können die Nebenwirkungen reduziert werden. Weil Babesien einen Lebenszyklus von etwa vier Monaten haben, führen die Ärzte die Therapie insgesamt fünf Monate durch. Die Symptome klingen dabei nach und nach ab.

Der Mann geht weiterhin regelmäßig zu Kontrollterminen, falls die Infektion doch wieder aufflammen sollte.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren