Schilddrüse Jodversorgung in Deutschland wird immer schlechter

Lecker Milch: Reich an Jod, wenn Zusätze im Tierfutter waren
Foto: CorbisDie Menge klingt vernachlässigbar klein: 200 Mikrogramm, also 200 Millionstel Gramm Jod sollte ein Erwachsener am Tag zu sich nehmen. Bei Säuglingen sind es sogar nur 40 Mikrogramm. Aber das Spurenelement weglassen? Unmöglich. Ohne Jod stirbt der Mensch. Es ist wichtigster Bestandteil der Schilddrüsenhormone, und die steuern neben der Reifung des Gehirns im Mutterleib auch beim Erwachsenen Herzschlag, Körpertemperatur und Verdauung.
Weil es ohne Jod nicht geht und das Spurenelement in deutschem Boden kaum noch vorkommt, wird es hierzulande seit Jahrzehnten vielen Speisesalzen hinzugefügt. Auch Tierfutter wird angereichert, so dass vor allem Kuhmilch, aber auch Fleisch und Wurstwaren wichtige Jodlieferanten in Deutschland sind. Bis 2003 ließ sich dadurch die Versorgung der Bevölkerung zufriedenstellend verbessern, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte Deutschland 2004 aufgrund von Zahlen aus dem Jahr 1999 als ausreichend mit Jod versorgt ein.
Doch seither ist der Trend rückläufig und Hormonspezialisten weisen heute besorgt darauf hin: Deutschland droht wieder Jodmangelgebiet zu werden. "Wir beobachten, dass die Jodversorgung kontinuierlich schlechter wird", sagt Roland Gärtner, Oberarzt am Zentrum für endokrine Tumoren an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. "Das könnte längerfristig dramatische Folgen haben."
Abwärtstrend bei der Jodversorgung
Im Rahmen der Donald-Studie ("Dortmund nutritional and anthropometric longitudinally designed"), in der seit 1985 Teilnehmer vom Säuglings- bis ins junge Erwachsenenalter regelmäßig von Ärzten und Ernährungswissenschaftlern untersucht und zu ihrer Ernährung und Gesundheit befragt werden, haben Forscher die Urinausscheidung von Jod bei Schulkindern gemessen. Dabei entdeckten sie einen deutlichen Abwärtstrend - und der startete bereits auf einem nicht optimalen Niveau.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sollte die Jodausscheidung bei etwa 120 Mikrogramm pro Tag liegen. Tatsächlich schieden die Sechs- bis Zwölfjährigen in den Jahren 2004 bis 2006 im Durchschnitt aber täglich nur 86 Mikgrogramm pro Tag aus , 2009 waren es nur noch 80 Mikrogramm. "Und die Werte könnten weiter fallen", sagt Thomas Remer vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund. Ihm zufolge erreichen heute mehr als die Hälfte aller Sechs- bis Zwölfjährigen nicht mehr die Referenzwerte der WHO.
Doch bedeutet das, dass immer mehr Kinder durch Jodmangel krank werden? "Bei der Bewertung solcher Daten muss man vorsichtig sein", meint Remer. Die Empfehlungen beinhalteten "Sicherheitszuschläge", seien also Werte, bei denen man sicher davon ausgehen könne, dass kein Kind unter Jodmangel leide. Den tatsächlichen Bedarf wiederum können Mediziner nur schätzen. "Interpretiert man die Ergebnisse vor dem Hintergrund des geschätzten Bedarfs, sieht es nicht mehr ganz so schlecht aus", sagt Remer. "Dann liegt ein Viertel der Kinder unterhalb des geschätzten Bedarfs."
Doch das sind noch immer viele Kinder, die vermutlich nicht ausreichend versorgt werden. Ein echter Jodmangel macht depressiv, die Darmfunktion stockt, das Gewicht klettert in die Höhe. Und das Gehirn leidet: "Jodmangel ist weltweit die häufigste Ursache für Intelligenzminderung und geistige Behinderung", erklärt der Münchner Endokrinologe Gärnter. Das Gehirn eines Kindes, das im Mutterleib oder während der Stillzeit zu wenig Jod bekommt, kann sich nicht richtig entwickeln. Ist der Mangel stark ausgeprägt, ist das Kind geistig behindert.
Reifung des Gehirns in Gefahr
Eine kürzlich in der Fachzeitschrift "Lancet" veröffentlichte Untersuchung zeigt: Selbst Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft nur einen leichten Jodmangel hatten, erreichten später einen geringeren Intelligenzquotienten als Kinder, die im Mutterleib ausreichend mit Jod versorgt waren. Die Autoren schreiben: "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, wie wichtig eine ausreichende Jodversorgung in der Frühschwangerschaft ist."
Doch nicht nur im Säuglingsalter brauchen Kinder Jod, auch Schulkinder und Erwachsene sind auf das Spurenelement angewiesen - und erbringen schlechtere Leistungen bei einer Unterversorgung. Neuseeländische Forscher haben das 2009 im Rahmen eines Versuches gemessen : Sie teilten 184 Kinder zwischen 10 und 13 Jahren, die nur leicht unterversorgt waren mit Jod, in zwei Gruppen ein. Die eine Hälfte bekam 28 Wochen lang täglich eine Tablette, die 150 Mikrogramm Jod enthielt, die andere Hälfte schluckte ein Placebo-Präparat ohne Wirkstoff. Weder die Kinder noch die Untersucher wussten, wer welche Pillen schluckte.
Nach 28 Wochen hatten sich die Blutwerte in der Jodgruppe deutlich verbessert, in der Placebo-Fraktion waren sie gleich geblieben. Bemerkenswert war: Die zusätzlich mit Jod versorgten Kinder lieferten in verschiedenen Intelligenztests bessere Ergebnisse. Die Wissenschaftler schließen daraus: "Ein Jodmangel könnte Kinder davon abhalten, ihr volles intellektuelles Potential zu erreichen."