Karpaltunnelsyndrom Wenn die Hand ständig einschläft

Kribbeln in den Fingern: Beim Karpaltunnelsyndrom kommen die Beschwerden häufig nachts
Foto: CorbisDie Floristin kann seit Wochen nur noch mit den Kunden die Blumen für einen Strauß zusammenstellen. Binden kann sie ihn nicht mehr, denn für das feste Halten und Schnüren fehlt ihr die Kraft in den Händen. Zwei ihrer Finger sind taub. Die Frau leidet am Karpaltunnelsyndrom, bereits in einem fortgeschrittenen Stadium.
Etwa jeder zehnte Bundesbürger kennt die Beschwerden des Karpaltunnelsyndroms, Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Typischerweise treten die Probleme im Alter zwischen 40 und 70 Jahren auf, am Anfang noch vornehmlich nachts. Die Betroffenen wachen auf, weil es von der Hand bis zum Oberarm schmerzt oder die Hand eingeschlafen ist. Schütteln sie Hand und Arm, verschwinden Schmerzen und Kribbeln wieder.
Der Karpaltunnel ist - wie es der Name bereits vermuten lässt - ein enger Tunnel, den die Handwurzelknochen und ein straffes Bindegewebsband in Höhe des Handgelenks bilden. In ihm verläuft außer den Fingersehnen der Nervus medianus, der aus sensiblen und motorischen Fasern besteht, und bestimmte Handmuskeln, die Finger und die Handflächen versorgen.
"Wird dieser Nerv ständig von seiner Umgebung gedrückt oder sogar eingeklemmt, nimmt er Schaden. Dann kommt es zu den beschriebenen Symptomen", sagt die Neurologin Katrin Hahn von der Universitätsmedizin Charité in Berlin. Anfangs sind die Beschwerden eher sensorisch, die Hand kann zum Beispiel kribbeln. Später können motorische Beschwerden hinzukommen, etwa eine geminderte Kraft im Daumen.
Verschiedenste Ursachen, gleiche Probleme
Für das Karpaltunnelsyndrom gibt es viele verschiedene Ursachen. Dazu gehören Fehlstellungen nach Verletzungen im Handgelenksbereich, rheumatologische Erkrankungen mit entzündlichen Prozessen am Knochen, Narbengewebe, das auf den Nerv drückt, eine frühere chronische Sehnenscheidenentzündung, chronisch-entzündliche Schwellungszustände, ein schlecht eingestellter Diabetes oder langjährige Dialyse.
Manchmal entsteht das Problem auch aus der Kombination von Fehlstellung und einem angeborenen engen Karpaltunnel. "Häufig haben die Betroffenen längere Zeit die Hand sehr eintönig belastet oder überlastet", sagt Hahn. "Symptome können aber vorübergehend auch während einer Schwangerschaft auftreten, denn der Körper lagert in dieser Zeit viel Wasser ein, was den Druck auf den Nervus medianus erhöhen kann."
Abhängig von der Ursache entwickelt sich das Karpaltunnelsyndrom nur an einer Hand oder an beiden Händen. "Anfangs treten die Beschwerden häufig nur zeitweise auf", so die Berliner Neurologin. Je länger der Druckzustand anhält, desto stärker wird der Nerv jedoch geschädigt.
"Im Extremfall kann es sogar dazu kommen, dass die Muskulatur des Daumenballens schwindet", sagt der Neurochirurg Manfred Westphal, Ärztlicher Leiter der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Nervenschäden und der dadurch bedingte Muskelschwund sind irreparabel. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig zum Arzt zu gehen.
Behandlung: Von der Schiene bis zur Operation
"Der Neurologe fragt nach der Krankengeschichte, führt eine körperliche Untersuchung durch, testet die Muskelfunktionen an der Hand und überprüft die Reaktion des Nervus medianus auf Reize wie Beklopfen", sagt Hahn. "Um die Diagnose abzusichern, wird zumeist die Leitfähigkeit des Nervs mittels Elektroneurografie gemessen." Dabei überprüft der Arzt mithilfe kurzer elektrischer Reize die Funktion einzelner Nerven.
Eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung des Nervs kann morphologische Veränderungen aufdecken. "Man muss schon sehr genau untersuchen, denn Schmerzen in der Hand können auch ganz andere Ursachen haben wie Bandscheibenprobleme in der Halswirbelsäule", sagt Westphal.
Solange Schmerzen die Hauptbeschwerden darstellen, hilft oft schon eine Schiene, die das Handgelenk ruhigstellt. "Abgesehen davon gibt es nur die Möglichkeit, Schmerztabletten zu schlucken oder sich eine Kortisonspritze geben zu lassen, jedoch ohne dauerhaften Erfolg. Zudem kann das Kortison lokal zu Gewebsverlust führen", warnt Westphal. Die nächste Stufe ist eine Operation. Sie kann meist ambulant unter örtlicher Betäubung erfolgen, entweder minimalinvasiv mit einem kleinen Schnitt oder als offene Operation.
In beiden Fällen wird das Bindegewebsband durchtrennt. "Die OP ist risikoarm. Das einzige Risiko, abgesehen von einer sehr unwahrscheinlichen Verletzung des Nerven, ist eine seltene überschießende Narbenbildung", sagt Westphal. Die Erfolgschancen der OP seien dagegen sehr gut. "Die Hand ist in der Regel nach zwei bis drei Wochen wieder voll einsatzfähig. Unsere Patienten berichten des Öfteren, dass sie nach der OP erstmals wieder richtig geschlafen hätten", so Westphal.