Drohender Versorgungsmangel Krankenkassen sparen bei Dialyse-Patienten

Bisher schneidet Deutschland bei der Behandlung seiner Dialyse-Patienten im internationalen Vergleich gut ab - doch ab dem 1. Juli zahlen die Kassen weniger Geld für die Blutwäsche. Begründet wird das mit einem fragwürdigen Gutachten. Ärzte fürchten um die Qualität der Versorgung, gerade auf dem Land.
Dialyse-Maschinen: "Grenze für adäquate Versorgung ist erreicht."

Dialyse-Maschinen: "Grenze für adäquate Versorgung ist erreicht."

Foto: FABIAN BIMMER/ REUTERS

Für Nierenpatienten ist es eine bedrohliche Nachricht: Etwa hundert Millionen Euro weniger pro Jahr wollen die gesetzlichen Krankenkassen vom ersten Juli an für die Dialyse zahlen. Doch das Einsparpotential, das die Kassen wittern, ist umstritten.

Etwa 70.000 Menschen sind in Deutschland auf die lebensrettende maschinelle Blutreinigung angewiesen. Ausgehandelt wurden die beschlossenen Kürzungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Argumentiert wird ungefähr so: Die Einkünfte der Nephrologen seien zu hoch. Da diese ihr Geld hauptsächlich mit der Dialyse verdienen, sei die Pauschale dafür also offenbar zu großzügig berechnet.

Der Spitzenverband und die KBV stützen sich auf ein Gutachten vom Institut des Bewertungsausschusses (Inba). Das Inba wiederum hatte Daten des Statistischen Bundesamts zum Einkommen von Ärzten aus dem Jahr 2007 ausgewertet. Nur: Diese Daten waren zwar erhoben worden, hatten aber nicht den Qualitätsmaßstäben des Statistischen Bundesamts für eine Veröffentlichung genügt, sagt dessen Mitarbeiterin Doreen Taubmann.

Mangelnde statistische Aussagekraft

In einigen Größenordnungen hätten bei den Einnahmen beispielsweise nur Daten von vier oder sechs Praxen vorgelegen. Zahlen, die deutlich zu klein seien, um daraus statistisch gesicherte Rückschlüsse auf sämtliche Nephrologen zu ziehen. "Welcher Teil der Einkünfte aus der Dialyse-Pauschale stammt, war aus unseren Daten ebenfalls nicht ersichtlich", sagt Taubmann.

Während für die Dialyse bisher durchschnittlich etwa 520 Euro pro Patient und Woche gezahlt wurden, sind es vom ersten Juli an noch zwischen 485,80 und 398 Euro. Für einige Patientengruppen gibt es Zuschläge, andere sind von den Kürzungen ausgenommen. Die Neuregelung entspreche insgesamt einer Kürzung von etwa sieben Prozent bei den Pauschalen, sagt Helmut Blume. Er ist Geschäftsführer beim Verband Deutsche Nierenzentren.

"Systemversagen der ärztlichen Selbstverwaltung"

Laut Blume werden de facto aber etwa 60 Euro mehr als bisher pro Woche für die Dialyse benötigt. Seit 2002 sei die Pauschale nämlich nicht mehr erhöht worden, während Betriebskosten beständig gestiegen seien. Er und viele andere Nephrologen ärgern sich, dass die KBV den Kürzungen zugestimmt hat: "Es handelt sich um ein Systemversagen der ärztlichen Selbstverwaltung", sagt Blume.

Wie der Verband hatte auch das Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation versucht, die Kürzungen zu verhindern. Etwa 30 Prozent der deutschen Dialyse-Patienten werden in den Zentren des gemeinnützigen Vereins behandelt. Er ist von den Einsparungen betroffen, obwohl Daten des Kuratoriums gar nicht in die Berechnungen des Inba mit eingeflossen waren.

"In Euro und Cent heißt das, dass uns 20 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen", sagt der Kuratoriumsvorsitzende Ralf Sasse. Dabei habe man noch mit den Folgen der letzten Absenkung zu kämpfen. "Die Grenze für eine adäquate Versorgung ist weitestgehend erreicht." Wenn der Sparzwang zu groß werde, werde man Zentren schließen müssen, um in anderen die Qualität aufrecht zu erhalten. Gerade für die Patienten im ländlichen Raum würde das deutlich weitere Anfahrtswege bedeuten.

Bei Neueinstellungen sollen mehr einfache medizinische Fachangestellte engagiert werden als bisher - deren Gehalt niedriger ist als das der spezialisierten Fachkräfte für Nephrologie mit Zusatzausbildung. Eine Entwicklung, die sich auch bei vielen niedergelassenen Nephrologen abzeichnet, sagt Marion Bundschu, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für nephrologisches Pflegepersonal.

Mehr Unfälle durch Mangel an Fachpersonal

In den vergangenen Jahren seien die Kosten für Strom gestiegen, ohne dass die Pauschale erhöht wurde. Da hätten viele bei den Angestellten gespart: "Wo Fachpersonal reduziert wurde, kam es aber deutlich öfter zu Notfällen." Die Überwachung ist bei der Dialyse besonders wichtig. Pfleger müssen schnell und richtig reagieren, wenn ein Patient Kreislaufprobleme bekommt oder sich die Nadel löst, über die das Blut aus der Dialyse-Maschine zurück in den Körper fließt.

Im Mai hatte der Petitionsausschuss des Bundestags Monika Centmayer angehört. Die Nierenpatientin hat mittlerweile 76.000 Unterschriften gegen die Kürzungen gesammelt. "Die Einsparungen bedeuten eine Qualitätsminderung", sagt Centmayer, deshalb habe sie eine Petition gestartet, bisher folgenlos.

Schon in den vergangenen Jahren hätten Patienten die Sparmaßnahmen zu spüren bekommen. Teilweise würde die Dialyse-Dauer von dreimal wöchentlich fünf auf jeweils vier Stunden verkürzt. Wird das Blut mit mehr Druck gepumpt, beschleunigt das die Blutreinigung, belastet den Kreislauf aber auch stärker. Ist die Dialyse zu kurz, wird der Körper nicht richtig entgiftet. Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass Patienten in Ländern, in denen länger dialysiert wird, länger überleben. Bisher nahm Deutschland hier einen guten Platz ein.

Die KBV und der Spitzenverband der GKV berufen sich weiterhin auf das umstrittene Inba-Gutachten. Sie verweisen zudem darauf, dass es in Zukunft mehr Geld für die Behandlung von Nierenpatienten außerhalb der Dialyse gibt, etwa 20 Millionen fließen laut KBV so an die Nephrologen zurück. In einer Erklärung des Spitzenverbands heißt es, die flächendeckende Versorgung mit Dialyse-Praxen in Deutschland sei nicht gefährdet. Man sehe sich aber verpflichtet, die Auswirkungen des Beschlusses "insbesondere auf die Versorgung der Versicherten zu analysieren".

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