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Nekrotisierende Fasziitis: Lebensgefahr durch winzige Verletzungen

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Ein rätselhafter Patient Lebensgefährliches Kartoffelschälen

Beim Kochen verletzt sich eine 44-jährige Frau am Daumen. Drei Tage später führt der Kratzer sie zunächst zum Hausarzt, schließlich liegt sie drei Wochen lang im Krankenhaus. Der raschen Auffassungsgabe ihrer Ärzte verdankt die Patientin ihr Leben.

Es ist nicht mehr als ein vermeintlich harmloser Kratzer an der Fingerspitze. Beim Kartoffelschälen verletzt eine britische Lehrerin sich am Daumen. Doch drei Tage später fühlt sie sich unwohl, ihr ist, als hätte sie Fieber. An ihrem Daumen entdeckt sie dunkle Blasen. Die 44-jährige Frau geht zu ihrem Hausarzt.

Der Hausarzt erkennt, dass die Hand der Patientin offensichtlich entzündet ist. Der Daumen ist rot verfärbt, schmerzt und eine Schwellung breitet sich mittlerweile über die ganze Hand der Frau aus. Der Arzt schickt die Lehrerin weiter in das Wexham Park Hospital im britischen Slough, in dem es eine Abteilung für Plastische Chirurgie gibt. Die Ärzte dort sollen sich die bakterielle Entzündung, Phlegmone, genauer ansehen, die der Hausarzt als Ursache der starken Schmerzen seiner Patientin vermutet.

Beim Eintreffen im Krankenhaus geht es der Patientin verhältnismäßig gut, berichten Laura Dias und ihre Kollegen im Fachmagazin "BMJ Case Reports" . Die Frau hat einen stabilen Kreislauf, ihre Atmung ist normal. Sie gibt an, nicht zu rauchen, keine Allergien zu haben. In der Vergangenheit hatte sie eine Nasennebenhöhlenentzündung, außerdem funktioniert ihre Schilddrüse nicht richtig und sie leidet unter leichtem Asthma, gegen das sie einen Inhalator mit Steroidhormonen benutzt. Und dann sind da die dunklen Blasen an ihrem Daumen.

Nach der Blickdiagnose sofort in den OP

Die Ärzte nehmen Blut ab, im Laborergebnis fallen erhöhte Entzündungswerte auf. Zusätzlich untersuchen die Mediziner das Blut der kleinsten Blutgefäße in der Haut, der Kapillaren, aus dem sie unter anderem ablesen können, ob die Patientin Probleme mit der Atmung hat. Tatsächlich fällt ihnen etwas auf: Das Stoffwechsel-Abfallprodukt Laktat ist erhöht, der pH-Wert des Blutes erniedrigt. Diese veränderten Laborwerte können verschiedene Ursachen haben, da allerdings die verletzte Hand der Patientin mit Bakterien infiziert zu sein scheint, legen die Ergebnisse nahe, dass die Infektion sich bereits über die Hand hinaus im Körper ausbreitet.

Laura Dias und ihre Kollegen sind in höchstem Maße alarmiert. Bereits der Blick auf die geschwollene Hand mit dunklen Blasen lässt die Ärzte an eine gefürchtete Diagnose denken: die nekrotisierende Fasziitis. Sie schnappen sich die Patientin und fahren sie direkt in den Operationssaal. Im OP entfernen sie das gesamte erkennbar infizierte Gewebe an der Hand. Schon während der ersten Minuten der Operation bricht der Kreislauf der Patientin zusammen, die Anästhesisten müssen mit kreislaufstützenden Medikamenten den Blutdruck der Patientin aufrecht erhalten. Dieser Schock ist eine erste Bestätigung des Verdachts der Ärzte: Während der Operation sind vermutlich von den Bakterien produzierte Giftstoffe in den Blutkreislauf der Patientin geschwemmt worden.

Während der Operation nehmen die Chirurgen mehrere Proben des infizierten Gewebes an der Hand. Laboruntersuchungen bestätigen später die Diagnose der Ärzte, die Patientin litt tatsächlich an einer nekrotisierenden Fasziitis. Diese Infektionen werden meistens von Streptokokken ausgelöst. Die entzündeten Infektionen verlaufen besonders schwerwiegend und dramatisch schnell. Innerhalb von Stunden wandern die Bakterien entlang der Muskulatur durch den Körper, die Haut verfärbt sich dunkel, Blasen entstehen, schließlich sterben ganze Hautbereiche ab. Daher rührt auch der Name der Krankheit: An den die Muskeln voneinander trennenden Faszien entlang wandern die Bakterien und hinterlassen abgestorbenes, also nekrotisches Gewebe.

Eine Woche Intensivstation

Die einzige Möglichkeit, die Patienten zu retten, ist eine schnelle Diagnose und eine rasche, aggressive Therapie. Von den Bakterien befallene Haut und Muskeln müssen sofort vom Chirurgen entfernt werden, gleichzeitig beginnen die Ärzte mit einer Antibiotikabehandlung gegen alle in Frage kommenden Erreger. Nichtsdestotrotz müssen auch Patienten, die gerettet werden können, meistens auf der Intensivstation behandelt werden, weil der Kreislauf unter der Infektion zusammenbricht. So auch bei der britischen Patientin.

Obwohl die Ärzte um Laura Dias sofort die richtige Diagnose gestellt haben und die Patientin schnell operiert wird, muss sie eine Woche lang auf der Intensivstation behandelt werden. Sie wird noch zweimal an der Hand operiert, um wirklich sicher zu sein, dass kein mit den Bakterien infiziertes Gewebe mehr vorhanden ist. Als Folge ihrer Sepsis, der bakteriellen Infektion des Blutes, droht auch ihre Lunge zu versagen. Doch nach insgesamt drei Wochen hat die Patientin nicht nur die nekrotisierende Fasziitis überstanden, sondern kann auch aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Dass sie überlebt hat, verdankt sie der schnellen und richtigen Diagnose ihrer Ärzte. Wird die nekrotisierende Fasziitis nicht erkannt und nicht umgehend richtig behandelt, sterben bis zu drei Viertel der Betroffenen an der Infektion . Und selbst mit der korrekten Therapie kann mehr als ein Viertel der Patienten nicht gerettet werden.

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