Lichen sclerosus Quälendes Jucken
Auf einer Skala der nicht lebensbedrohlichen, aber gleichwohl besonders fiesen Krankheiten, würde Lichen sclerosus weit oben stehen. Die chronisch entzündliche Hautkrankheit befällt vor allem die äußeren Genitalien, was sie körperlich und psychisch belastend macht. Enge Kleidung schmerzt, Wasserlassen noch mehr. Sex kann für die Betroffenen zur Tortur werden. Dazu kommt ein ständiger quälender Juckreiz.
An der Autoimmunerkrankung leiden nach Schätzungen eine von 50 Frauen und einer von 200 Männern. Obwohl der nicht ansteckende, nicht übertragbare Lichen Sclerosus, kurz LS genannt, damit nicht zu den seltenen Erkrankungen zählt, erkennen Ärzte die Krankheit oft erst spät. Meist vergehen mehrere Jahre, bis Betroffene die richtige Diagnose erhalten. Währenddessen schreitet die Krankheit in Schüben voran.
"Trockene Flechte"
Lichen sclerosus - Lichen bedeutet Flechte, sclerosus steht für trocken, verhärtet - befällt bei Frauen die Vulva, also die äußeren, primären Geschlechtsorgane: den Venushügel, die äußeren Schamlippen, die inneren Schamlippen, die Klitoris und den Scheidenvorhof. LS trocknet die Haut aus, weiße Stellen entstehen, die Schamlippen verkleben. Die Haut reißt ein und vernarbt.
Beatrix Fürler (Name geändert) litt ab ihrem 17. Lebensjahr an einem heftigen Jucken im Schritt, das sie 24 Stunden am Tag begleitete. Hinzu kamen starkes Brennen beim Wasserlassen und Schmerzen, die durch kleine Risse am hinteren Scheideneingang verursacht wurden. Als sie bei ihrem Frauenarzt auf dem Untersuchungsstuhl saß, "erklärte er mir, ich sei untenherum so trocken wie eine 80-Jährige".
Fürler, die heute 25 Jahre alt ist, erinnert sich: "Der Arzt meinte, die Risse lägen an meinem ersten sexuellen Kontakt, die weißlichen Stellen auf den Schamlippen am letztjährig diagnostizierten Herpes." Beides falsche Diagnosen, wie sie heute weiß.
Lichen sclerosus gilt fälschlicherweise als ein Problem älterer Frauen, weil die Krankheit vergleichsweise oft bei Frauen nach der Menopause diagnostiziert wird. Bei den meisten Betroffenen bricht die Krankheit aber viel früher aus. Sogar Kleinkinder können betroffen sein. Und ebenso Männer, die dann meist weniger unter Juckreiz, sondern stattdessen unter Schmerzen und Erektionsstörungen aufgrund einer verengten Vorhaut leiden.
Darum wird die Krankheit oft erst spät erkannt
Die Krankheit sei im "gynäkologisch-dermatologischen Niemandsland", sagt Werner Mendling vom Deutschen Zentrum für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe in Wuppertal.
Hautärzte kennen LS, haben aber nicht genug Erfahrung mit der Vulva, denn Frauen mit Vulva-Beschwerden stellten sich normalerweise zuerst beim Frauenarzt vor. Frauenärzte wiederum haben die Krankheit in der Weiterbildung zum Facharzt nicht unbedingt kennengelernt. Für betroffene Männer sieht es nicht besser aus: Urologen, die bei einer weißlichen Einfärbung und Verengung der Vorhaut LS in Erwägung ziehen, sind zu selten anzutreffen.
Andreas Günthert, Chefarzt der Frauenklinik am Luzerner Kantonsspital und Initiator einer Vulva-Sprechstunde, beklagt, dass die Vulva in der Medizin kaum präsent ist.
Beide Mediziner setzen auf interdisziplinären Austausch. Günthert bietet einmal monatlich eine Sprechstunde gemeinsam mit einer Dermatologin an. Zudem führt er seit Jahren Vulva-Workshops und Seminare für Ärzte aller Fachrichtungen durch. Mendling veranstaltet jährlich ein interdisziplinäres Symposium für vulvovaginale Erkrankungen und lädt unter anderem Psychologen, Kinderärzte, Onkologen ein. "Da blickt man über den Tellerrand, da lernt man voneinander."
Mendling und Günthert zählen zu den wenigen Experten für LS in Deutschland und der Schweiz. Weil sich kaum jemand mit der Krankheit auskennt, sind die Wartezeiten für Betroffene lang.
Was bei der Diagnose erschwerend hinzukommt: Im Frühstadium ist LS schwer zu erkennen. Häufig nehmen Ärzte an, dass Pilzinfektionen oder Blasenentzündungen das Problem sind und behandeln diese. Doch dies sind nur Begleitinfektionen, die die eigentliche Erkrankung maskieren, sagt Günthert.
Die Ursachen von LS sind noch nicht völlig aufgeklärt. Vermutlich handelt es sich um eine Autoimmunkrankheit, bei der die Körperabwehr Strukturen in der Haut angreift. Möglicherweise können Verletzungen oder Infektionen die Entwicklung der Krankheit fördern. Auch Hormone spielen eventuell eine Rolle.
So wird Lichen sclerosus behandelt
Bei Beatrix Fürler vergingen drei Jahre bis zur Diagnose. Ihre Beziehung zerbrach, weil ihr Freund nicht damit umgehen konnte, dass sie sich jedes Mal zum schmerzhaften Sex überwinden musste. Schließlich suchte sich Fürler eine neue Ärztin - und diese schickte sie in eine spezialisierte Praxis nach Basel. Dort hörte Fürler das erste Mal von Lichen sclerosus und erhielt endlich die richtige Behandlung mit hochdosierter Kortison-Salbe. Diese muss zunächst für einige Wochen täglich aufgetragen werden, nach Besserung dann etwa zweimal die Woche - und das für den Rest des Lebens. Reichhaltige Fettcremes sollen parallel pflegen und schützen.
Bei 75 bis 90 Prozent der Betroffenen führt die Kortison-Salbe zu einer deutlichen Verbesserung, zeigen Studien .
Bettina Fischer, selbst Betroffene und Vorstandsmitglied im vor fünf Jahren im schweizerischen Rheinfelden gegründeten Selbsthilfeverein Lichen Sclerosus , weiß: "Es gibt bei vielen Frauen Vorbehalte gegenüber dem Kortison." Aber wenn man es nicht verwende, nehme die Haut größeren Schaden.
Der Verein, der mittlerweile mehr als tausend Mitglieder hat und sich an den gesamten deutschsprachigen Raum wendet, wurde auch für Beatrix Fürler zu einem wichtigen Anker. Sie traf dort auf andere Frauen in ihrem Alter und konnte sich austauschen.
"Wenn man seine Sexualität gerade erst entdeckt, ist die Verunsicherung besonders groß. Junge Frauen haben oft noch keine langjährigen Partner. Andere hatten vielleicht noch nie Sex und haben wegen der Krankheit Angst davor. Da hilft die gegenseitige Unterstützung und Vernetzung sehr", sagt Fürler.