Gehemmte Patienten Geht ein Mann zur Urologin...

Mann im Wartezimmer: Vor einer Frau die Hosen herunterlassen
Foto: ColorchildDie Urologen-Praxis ist ein rätselhafter Ort. Mittlerweile wird aus Supermärkten getwittert, am Strand gebloggt, werden auf Facebook Ultraschall- und Röntgenbilder hochgeladen. Neulich erwischte ich einen Freund sogar über Facebook im Kreißsaal, wie er neben seiner gebärenden Frau stand (am Kopfende).
Nur aus der Urologen-Praxis dringt nichts. Sie scheint einer der letzten Orte zu sein, an dem es noch Geheimnisse gibt. Männer kommen, setzen sich und schweigen. Aber sie ist auch ein Ort voller Überraschungen. Die erste erlebt man schon im Wartezimmer. Denn zwischen die schweigenden Männer setzen sich auch Frauen (und schweigen). Es ist nämlich ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Urologe nur für das männliche Genital zuständig ist. Sein Ressort umfasst auch die geschlechtsübergreifenden Organe Blase und Nieren.
Nun gut, irgendwann hat Mann sich an die Frauen im Wartezimmer gewöhnt. Aber bei einer Frau im Sprechzimmer hört für die meisten der Spaß auf. Bis zu meinem 15-jährigen Abi-Treffen wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sich eine Frau in dieses Fach verirren könnte. Doch das passiert. Beim obligatorischen "Und was machst Du so?" offenbarte mir Melanie aus der Parallelklasse, dass sie Urologin ist. 'Welcher Mann geht denn freiwillig zu einer Urologin?', wollte ich fragen, aber sie nahm vorweg: "Ich arbeite in einer Unfallklinik." Und da gilt - Glück für sie: Friss oder stirb, wenn experimentierfreudige Männer mit Penisbrüchen oder festgesaugten Staubsaugerschläuchen frühmorgens um halb drei auf die zierliche Ein-Meter-sechzig-Ärztin treffen. Manche gehen dann wieder, erzählt sie mit einem süffisanten Lächeln, aber "die meisten bleiben".
So viel Kundschaft wie ein Schneeräumdienst im Sommer?
Nun mögen an ihrer Arbeitsstelle die Gesetze des freien Marktes aufgrund der Umstände eingeschränkt sein. Aber wie steht es um niedergelassene Urologinnen? Haben sie nicht so viel Kundschaft wie ein Schneeräumdienst im Sommer? Ein Blick in die Statistik zeigt: In Deutschland gab es im Jahr 2010 insgesamt 733 Urologinnen - das ist eine Quote von knapp 11 Prozent (sonst ist das Geschlechterverhältnis bei Ärzten nahezu ausgewogen). 211 davon haben sich tatsächlich niedergelassen. Wie sie wohl über die Runden kommen?
Umgekehrt verwundert der hohe Männeranteil in der Gynäkologie - er liegt bei 50 Prozent. Wie kann es denn sein, fragt man sich als Mann, dass eine Frau zu einem männlichen Frauenarzt geht? Die Antwort, die man von vielen Frauen daraufhin erhält, ist erstaunlich: "Frauen sind oft ruppig. Männer sind viel einfühlsamer." Wie bitte? Sollte nicht vor allem eine Frau wissen, wie sich das so anfühlt da auf dem kalten Gynäkologenstuhl? Aber die Sache ist verzwickter: Gerade weil sie das wissen und selbst durchgemacht haben, so die These einer Freundin, entwickeln sie womöglich eine Nun-stell-Dich-mal-nicht-so-an-Einstellung. Und die Männer, weil sie es eben nicht nachempfinden können, sind ganz besonders vorsichtig. Vielleicht gilt dasselbe ja auch für Urologinnen. Vielleicht tut diesem urmännlichen Gebiet mehr Weiblichkeit gut, kommt dadurch weg von dieser mechanistischen Werkstattreparatur-Haltung.
Aber liegt es wirklich nur an der übertriebenen Scheu des männlichen Patienten, dass noch immer so wenige Frauen Urologie betreiben? Man mag es kaum glauben, aber erst 1962 wagte sich in den USA die allererste Frau in dieses Gebiet - Elisabeth Pickett hieß die mutige Pionierin. Und noch Mitte der 80er-Jahre gab es in den USA gerade einmal 22 Urologinnen.
Vor einer Frau die Hosen herunterlassen
Vielleicht hat diese Entwicklung mehr mit der Ablehnung der männlichen Ärzte zu tun. Noch heute berichten Urologinnen, zu wenig von ihren - natürlich männlichen - Mentoren ermuntert worden zu sein. Dazu kommen die üblichen Mann-Frau-Sprüche: Die Urologin Jennifer Gruenenfelder aus Kalifornien sei in ihrer Ausbildung regelmäßig "babe", "sweetheart" und "honey" genannt worden. Und auch Kristin Kozakowski, Urologin aus Toronto, fühlt sich noch immer unwohl inmitten ihrer Kollegen: "Es ist, als ob sie immer noch eigentlich gerne Toilettenwitze reißen würden, es aber nicht können, weil eine Frau anwesend ist." Eine Urologin, die den Blog "Urostream" unter dem Namen Dr. Keagirl betreibt, flüchtet sich in Galgenhumor: Das Schöne an Urologen-Kongressen sei, dass es vor den Frauen-Toiletten wenigstens keine Schlangen gebe.
Sicher ist, Urologinnen werden in Zukunft häufiger werden. Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich ihre Quote in Deutschland verdoppelt. Jetzt gibt es sogar schon regelmäßige Urologinnen-Workshops und in den USA setzt sich die Society of Women in Urology für mehr Frauen in dem Fach ein.
Gut so! Es kann uns Männern nur gut tun, wenn wir künftig öfters vor euch Frauen die Hosen herunterlassen müssen. Ihr schafft es ja auch und stellt euch dabei nicht so an wie wir. Das wird uns auch dazu zwingen, dass wir uns mehr mit den Tabus rund um die Fehlfunktionen unterhalb der Gürtellinie auseinandersetzen.
Ärzte für Männerfragen
Vor kurzem hörte ich, dass Melanie das Krankenhaus verlassen und sich niedergelassen hat. Vielleicht hatte sie einfach keine Lust mehr auf spektakuläre Sexunfälle. Vielleicht wollte sie auch nur noch Männer behandeln, die aus freien Stücken zu ihr kommen. Ich bin gespannt darauf, was sie beim 20-jährigen Abi-Treffen erzählen wird.