Marlene Mortler über Drogen "Ich mag Kontrollverlust nicht"

Marlene Mortler hat am Donnerstag den Suchtbericht 2016 vorgestellt. Im Interview spricht die Drogenbeauftragte der Bundesregierung über eigene Erfahrungen mit Alkohol und die Utopie einer Gesellschaft ohne Süchte.
Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Frau Mortler, in den sozialen Netzwerken sind Sie eine der meistbeschimpften Abgeordneten. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Mortler: Wer sich für Gesundheit einsetzt, der wird von einigen als Spaßbremse angesehen. Das scheint mir ein Relikt aus Zeiten, in denen alkoholisierte Männer Politik gemacht haben. Ich kann mit Anfeindungen leben, aber als verschiedene Cannabis-Aktivisten vor einiger Zeit eine Facebook-Seite eröffnet haben, um zu meiner Hinrichtung aufzurufen, das fand ich doch heftig.

Zur Person
Foto: CDU/CSU, Foto: Henning Schacht

Marlene Mortler, 60, ist Drogenbeauftrage der Bundesregierung und CSU-Abgeordnete im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Sie ist Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft und hat drei Kinder und fünf Enkelkinder.

SPIEGEL ONLINE: Sie wollten das Rauchen im Auto verbieten, Sie starten Kampagnen gegen Alkohol und Sie warnen vor Onlinesucht. Macht man sich unbeliebt, wenn man immer nur als staatliche Gouvernante auftritt?

Mortler: Ich bin nicht unterwegs, um alles zu verbieten. Mir ist bewusst, dass der erhobene Zeigefinger nicht weiterhilft. Mein Thema ist die Aufklärung. Nachdenken, was man macht.

SPIEGEL ONLINE: Haben die Menschen ein Recht auf Rausch?

Mortler: Jeder hat das Recht, in einer freien Gesellschaft Dinge zu machen, die nicht verboten sind. Man muss sich aber bewusst sein, dass die Dinge entgleiten können. Es gibt in Deutschland 7,4 Millionen Menschen, die missbräuchlich Alkohol konsumieren. 1,7 Millionen davon sind alkoholabhängig. Alles ist in Ordnung, so lange es nicht außer Kontrolle gerät. Aber das weiß man nicht gleich beim ersten Mal.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich denn noch an Ihren ersten Rausch erinnern?

Mortler: Ich weiß nicht mehr ob es der erste war, aber er fällt mir zuerst ein. Ich war 18 und bin mit meinem heutigen Mann zu einem seiner Konzerte gefahren. Er ist Hobbybassist. Ich sollte die Fahrerin sein, das hat nicht geklappt.

SPIEGEL ONLINE: Weil Sie zu betrunken waren?

Mortler: Es gab Whisky-Cola, glaube ich. Auf dem Heimweg musste mein Mann mehrfach rechts ranfahren.

SPIEGEL ONLINE: Ihnen war nicht ganz wohl.

Mortler: So kann man das sagen.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist für Sie das Gefühl, einen Rausch zu haben?

Mortler: Unangenehm. Total unangenehm, vor allem wenn man den Punkt, an dem es zu viel wird, überschritten hat.

SPIEGEL ONLINE: Und wie viel ist zu viel?

Mortler: Bei mir war wenig immer schon viel.

SPIEGEL ONLINE: Wie viel vertragen Sie denn?

Mortler: Ein Achtel Wein zum Beispiel.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind auf einem ehemaligen Hopfenhof in Bayern aufgewachsen, ihr Vater war der Dorfbürgermeister und Sie sind Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Haben Sie überhaupt eigene Laster?

Mortler: Ich trinke auch mal ein Glas Wein, aber sehr bewusst. Und ich habe mal geraucht, aber aufgehört, weil ich gemerkt habe: Du redest dir nur ein, dass du eine Zigarette brauchst. Ich hab' dann von heute auf morgen gesagt: Das wars.

SPIEGEL ONLINE: So einfach?

Mortler: Ich rieche manchmal gern noch Zigarettenrauch. Aber ich bin streng mit mir.

SPIEGEL ONLINE: Bitten Sie manchmal jemanden Sie anzupusten?

Mortler: Bitte was?

SPIEGEL ONLINE: Das hört man oft von ehemaligen Rauchern. Dass sie gern mit Zigarettenrauch angepustet werden wollen.

Mortler: Ich nicht.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind seit 27 Jahren Mitglied der CSU. Können Sie als Drogenbeauftragte noch entspannt auf das Oktoberfest gehen?

Mortler: Ich bin vorher schon wenig aufs Oktoberfest gegangen. Allerdings muss ich feststellen, dass man als CSU-Frau ständig in eine bestimmte Ecke gestellt wird.

SPIEGEL ONLINE: In welche Ecke?

Mortler: Ständig höre ich: Oh, die Leute in der CSU, die sind so streng, die fordern Strafverfolgung für Kiffer und trinken selber quasi Tag und Nacht Bier.

SPIEGEL ONLINE: Da ist nichts dran?

Mortler: Nichts! So ein dummes Zeug. Ich habe viele Dinge bewegt, die man einer CSU-Frau gar nicht zugetraut hätte. Wer hat denn die Freigabe von Cannabis als Medizin als erste in der CSU gefordert? Wer sorgt denn dafür, dass es mehr Substitution auch für Schwerstsüchtige gibt? Ich bin kein CSU-Vehikel.

SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie sagen, dass Sie die CSU auf Liberalisierungskurs gebracht haben?

Mortler: Ich habe das Thema Medizinalhanf schon früh angesprochen - jetzt gibt es einen Entwurf, der noch in diesem Jahr Gesetz werden kann. Ich habe mich vorher nicht bei der CSU erkundigt, ob sie das gut oder schlecht findet. Ich mache das einfach. Es geht beim Medizinalhanf aber auch nicht um eine Liberalisierung von Cannabis für alle. Es geht um den Zugang für Schwerkranke. Wir wollen den Eigenanbau verhindern, nicht erleichtern. Ich unterscheide zwischen Cannabis als Medizin und Cannabis als Rauschmittel für den Freizeitbereich. Im Freizeitbereich gehört Cannabis weiterhin verboten.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn Schnaps heute erfunden werden würde, würden Sie ihn auch verbieten?

Mortler: So stelle ich mir das vor, ja.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie mal gekifft?

Mortler: Nein.

SPIEGEL ONLINE: Nie neugierig gewesen?

Mortler: Da hätte man wahrscheinlich mehr in die Stadt gemusst. Ich hatte auch eine etwas andere Kindheit als andere. Mein Bruder und ich waren an Kinderlähmung erkrankt, das hat unsere Kindheit ziemlich geprägt und auch die Art wie wir sind. Ich weiß wie es ist, die Hoheit über den eigenen Körper zu verlieren. Ich mag den Kontrollverlust nicht.

SPIEGEL ONLINE: Was steht in ihrer Bar zu Hause?

Mortler: Ich habe keine Bar.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben doch bestimmt etwas im Schrank stehen, wenn mal Besuch kommt.

Mortler: Da gibts ein paar Wein- und Bierflaschen, ein paar alte Schnäpse. Ich bin da nicht gut bestückt. Vielleicht ist auch noch eine Sektflasche von meinem Geburtstag übrig.

SPIEGEL ONLINE: Würden Sie das mit dem Rauchverbot in Autos eigentlich gerne zurücknehmen?

Mortler: Nö.

SPIEGEL ONLINE: Dafür wurden Sie aber ziemlich beschimpft.

Mortler: Ich will jetzt auch kein Verbot, um genau zu sein, aber ich will eine Kampagne machen. Die werden wir in Kürze vorstellen. Ich will erreichen, dass Menschen noch mehr darüber nachdenken, ob sie es für richtig halten, in Anwesenheit von Kindern im Auto zu rauchen. Ich halte es für falsch.

SPIEGEL ONLINE: Denken Sie manchmal noch: "Jetzt eine rauchen!"?

Mortler: Vorgestern. Da standen drei oder vier Männer und haben gequalmt und gepafft und ich sag zu meinem Mann: Schrecklich! In Wirklichkeit hatte ich in dem Moment aber das Gefühl: Jetzt wärs schön.

SPIEGEL ONLINE: Wann waren Sie zuletzt angeschickert?

Mortler: Jahrzehnte her.

SPIEGEL ONLINE: Ist eine Gesellschaft ohne Süchte lebenswert?

Mortler: Wahrscheinlich wäre es das Paradies.

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