Schwere Komplikationen Wenn Erwachsene Kinderkrankheiten bekommen

Windpocken, Mumps, Masern: Einige Kinderkrankheiten sind wieder auf dem Vormarsch - bei Erwachsenen. Je älter die Betroffenen, desto größer sind die Risiken.
Impfpass: Kinderkrankheiten kommen immer häufiger bei Erwachsenen vor

Impfpass: Kinderkrankheiten kommen immer häufiger bei Erwachsenen vor

Foto: Marius Becker/ dpa

Der Körper glüht, die Nase trieft, der Hals kratzt - es ist wieder Erkältungszeit. Doch manchmal entpuppt sich das, was zunächst aussieht wie eine normale Erkältung, als etwas anderes: als Masern zum Beispiel. Sie verraten sich spätestens dann, wenn der Ausschlag kommt und der nach etwa einer Woche den ganzen Körper überzieht.

Die Masern gelten als Kinderkrankheit, ebenso wie Mumps, Keuchhusten und Windpocken. Zumindest momentan noch. Denn die "Kinderkrankheiten" werden zunehmend zu "Erwachsenenkrankheiten". Waren vor zehn Jahren nur 8,5 Prozent aller Masern-Patienten älter als 20 Jahre, so sind es heute bereits fast 40 Prozent. "Bei Keuchhusten sehen wir eine ähnliche Entwicklung", sagt Jan Leidel, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko). "Hier liegt das mittlere Alter der Betroffenen bereits bei 42 Jahren. Der Charakter der Kinderkrankheiten geht mehr und mehr verloren." Eine problematische Entwicklung, denn für die meisten Kinderkrankheiten gilt: Je älter die Betroffenen, desto größer das Risiko.

Ein Überblick über die wichtigsten Kinderkrankheiten - und deren Folgen:

Riesenzelle bei einer Masernpneumonie: Komplikation einer Maserninfektion

Riesenzelle bei einer Masernpneumonie: Komplikation einer Maserninfektion

Foto: CDC/ Edwin P. Ewing

Masern

Masern sind extrem ansteckend - und daher recht häufig. Dieses Jahr kämpften bisher bereits mehr als 1500 Menschen in Deutschland mit dieser Krankheit. Hat man sie jedoch einmal hinter sich, bleibt man ein Leben lang verschont. Diese Eigenschaften - die Häufigkeit sowie die bleibende Immunität - machen Masern zu einer klassischen Kinderkrankheit: Da die Viren, die sie übertragen, so häufig zuschlagen, trifft es einen meist bereits im Kindesalter - daher auch der Ausdruck.

Hat das Masern-Virus einen im Griff, kann das ernsthafte Folgen haben: Etwa eine Gehirn- oder Hirnhautentzündung, Luftröhren- und Kehlkopfinfektion sowie Lungen- und Mittelohrentzündung. "Kinderkrankheit bedeutet keinesfalls harmlos", sagt Leidel.

Impfungen sollen Epidemien daher verhindern. Bei Kindern klappt das auch recht gut. "Problematisch sind hingegen die Impflücken bei den Älteren", sagt Leidel. Zwar empfiehlt die Stiko allen Menschen, die nach 1970 geboren sind, eine Masern-Impfung - es sei denn, man hatte die Masern bereits. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigt jedoch: Rund 80 Prozent der nach 1970 geborenen kennen diese Empfehlung gar nicht. Lässt man sich gegen die Masern piken, erhält man auch gleich den Schutz gegen Mumps und Röteln, denn einen reinen Masern-Impfstoff gibt es in Deutschland nicht.

Keuchhusten-Bakterien (im Elektronenmikroskop): Können öfter zuschlagen

Keuchhusten-Bakterien (im Elektronenmikroskop): Können öfter zuschlagen

Foto: Corbis

Keuchhusten

Während man die Masern in seinem Leben maximal einmal durchmacht, kann der Keuchhusten einen mehrmals treffen: Hat man ihn jedoch einmal überstanden, braucht man die Bakterien zumindest für etwa 15 Jahre nicht zu fürchten. Ähnlich wie bei den Masern sind die Betroffenen zunehmend älter werdende Patienten: "77 Prozent der bisher in 2013 an Keuchhusten Erkrankten sind älter als 20 Jahre", sagt Leidel.

Seit Jahren ist diese Tendenz steigend - ebenso wie die Zahl der Erkrankten: Die Barmer GEK verzeichnete von 2006 bis 2012 einen Anstieg der Fälle von rund 6000 auf 9000 Betroffene, also um 50 Prozent.

"Die Symptome bei Erwachsenen gleichen denen von Kindern: Sie leiden vor allem unter einem langanhaltenden Husten mit oft stakkatoartigen Anfällen", sagt Winfried Kern. Er arbeitet am Uni-Klinikum Freiburg und ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). "Zwar gibt es bei Erwachsenen die Komplikation der Enzephalopathie nicht, also die krankhafte Veränderung des Gehirns, allerdings trifft der Keuchhusten oft auf chronische Erkrankungen und verschlimmert diese."

Seit 2009 empfiehlt die Stiko, sich bei der nächsten Impfung gegen Tetanus und Diphtherie - die alle zehn Jahre fällig ist - auch gleich einmalig gegen Keuchhusten impfen zu lassen. Einen Einzelimpfstoff gegen Keuchhusten gibt es nicht.

Mumps-Virus unter dem Elektronenmikroskop: Der Ziegenpeter ist wieder da

Mumps-Virus unter dem Elektronenmikroskop: Der Ziegenpeter ist wieder da

Foto: Corbis

Mumps - der Ziegenpeter

Schwellen die Ohrendrüsen an, und leidet man zudem unter Fieber und Erkältungssymptomen, dann hat einen wahrscheinlich das Mumps-Virus erwischt. Oft bleibt es jedoch nicht bei diesen Symptomen: Bei männlichen Patienten mit Mumps (im Volksmund: Ziegenpeter) entzünden sich vielfach auch die Hoden. Diese Hodenentzündung ist riskant: Sie kann bis zur Unfruchtbarkeit führen - zwar selten, doch das dürfte für die Betroffenen kaum tröstlich sein.

"Ebenfalls tritt oft eine Hirnhautentzündung auf, die zu bleibenden neurologischen Schäden führen kann. Selten kommt es auch zu einer Bauchspeicheldrüsenentzündung", sagt Kern. Auch hier gilt: Je älter der Patient, desto höher die Komplikationsrate.

"Gab es Mumpsausbrüche früher fast nur in Kindergärten und Grundschulen, verschiebt sich dies nun zusehends auf die weiterführenden Schulen und auch Universitäten. 73 Prozent der Menschen, die 2013 bisher an Mumps erkrankten, sind älter als 20 Jahre", sagt Leidel. Die Stiko empfiehlt Lehrern, Professoren und anderen Personen, die im Ausbildungswesen arbeiten, sich gegen Mumps impfen zu lassen.

Mit Röteln infizierte Zellen: Gefährliche Viren für Schwangere

Mit Röteln infizierte Zellen: Gefährliche Viren für Schwangere

Foto: CDC

Röteln

Diagnostiziert ein Arzt bei einem Patienten die Röteln, muss er das seit März 2013 dem Robert Koch-Institut (RKI) melden, genauso wie Mumps und Keuchhusten. Zwar erkranken nur wenige Menschen an Röteln - bisher meldeten die Ärzte in den neuen Bundesländern und Berlin für 2013 elf Patienten - und an sich sind die Viren harmlos.

Mit einer gefährlichen Ausnahme: Trifft das Virus eine werdende Mutter, kann dies den Embryo schwer schädigen oder zu Tot-, Früh- oder Fehlgeburten führen. Besonders kritisch sind die Röteln in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten: Nur etwa zehn Prozent der ungeborenen Kinder tragen in diesem Fall keine Schäden davon. "Wir versuchen, Röteln-Epidemien durch eine flächendeckende Impfung zu vermeiden", sagt Leidel. Vor allem Frauen im gebärfähigen Alter sollten sich zweimal gegen Röteln impfen lassen - und zwar vor einer Schwangerschaft. Ist ein Kind bereits unterwegs, ist es für die Impfung zu spät.

VZV-infizierte Zellen: Viren lösen Windpocken aus

VZV-infizierte Zellen: Viren lösen Windpocken aus

Foto: CDC

Windpocken

Noch müssen nur wenig Erwachsene das Bett mit Windpocken hüten. Allerdings werden es zunehmend mehr. Waren 2002 nicht mal ein Prozent der Erkrankten über 20 Jahre alt, so kletterte diese Zahl 2010 bereits auf fünf Prozent. Und 2013 waren bisher ganze 29 Prozent der Windpocken-Patienten älter als 20 Jahre. Dies gilt zumindest für Berlin und die neuen Bundesländer, denn Zahlen für ganz Deutschland gibt es bisher noch nicht.

"Die Rate für Komplikationen ist im Erwachsenenalter deutlich erhöht", sagt Kern. Dazu zählen die Lungenentzündung oder eine Infektion des zentralen Nervensystems, die teilweise zu bleibenden Lähmungen führen kann. Die Stiko empfiehlt, Kinder gegen Windpocken impfen zu lassen.

Allerdings ist die Impfung umstritten. "Die vorliegenden Daten sind zwar recht gut, aber es gibt die Kritik und Befürchtung, dass man die Erkrankung durch diese Impfung nur ins Erwachsenenalter verlegt, und dass später häufiger eine Gürtelrose auftreten könnte", erklärt Kern. Denn die Impfung, so Kern, schütze nicht genauso sicher wie die Erkrankung selbst. Für Erwachsene gibt es keine generelle Empfehlung, lediglich bestimmte Gruppen sollten sich impfen lassen, beispielsweise Menschen, die an Neurodermitis leiden.

Streptococcus pyogenes: Die Bakterien lösen Scharlach aus

Streptococcus pyogenes: Die Bakterien lösen Scharlach aus

Foto: CDC

Scharlach

Das Erkennungszeichen von Scharlach: Eine himbeerrote Zunge. Halsschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und ein kleinfleckiger Ausschlag komplettieren das Krankheitsbild. Um den Mund herum bleibt die Haut jedoch meist weiß.

Stellen Ärzte die Diagnose Scharlach, greifen sie zum Antibiotikum. Ohne ein solches Medikament kann die Kinderkrankheit schwerwiegende Folgen haben: Rheumatisches Fieber etwa, oder eine Herz- oder Nierenentzündung. Eine Impfung gegen Scharlach gibt es nicht. Zudem ist man auch dann nicht vor den Erregern geschützt, wenn man bereits einmal erkrankt war, denn es gibt zahlreiche unterschiedliche Erregertypen. Wie viele Erwachsene betroffen sind, ist schwer zu sagen, denn Scharlach ist auch in den neuen Bundesländern nicht meldepflichtig.

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