Gesundheitsinfos im Netz Glauben Sie nicht alles, was Ihre Medizin-App sagt
Als die Diabetikerin Diana Droßel kürzlich wegen des Sturmtiefs Xavier acht Stunden im Zug saß, rettete sie eine App. Da sie blind ist, hat sie bei ihrem Smartphone die Sprachausgabe aktiviert, gleichzeitig übermittelt ein Sensor alle paar Sekunden die aktuellen Blutzuckerwerte ans Handy. "202", liest die automatische Stimme des Telefons laut vor, als Droßel die App vorführt: Es handelt sich um ihren Blutzuckerwert, gemessen in Milligramm pro Deziliter Blut.
Da sie jederzeit weiß, wie es um ihn steht, kann sie bei längeren Fahrten mit dem Tandem rechtzeitig Pausen einlegen - oder sich beruhigt zurücklehnen, wenn der Zug steckenbleibt. "Früher wäre ich halb in Panik geraten", sagt Droßel, die auch Vizevorsitzende der Deutschen Diabetes-Hilfe ist. "Es ist eine Lebensqualität, die man sich als Stoffwechsel-Gesunder kaum vorstellen kann."
Droßel ist kein Einzelfall. Inzwischen nutzt jeder fünfte chronisch kranke Patient, der ein Smartphone hat, Gesundheits-Apps zur Überwachung oder Kontrolle seiner Erkrankung. Dies ergab eine Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung .
Was ist brauchbar, was nicht?
"Die Digitalisierung von unten ist in vollem Gange", konstatierte kürzlich die "Ärztezeitung" . Doch nicht nur Ärzte, Kliniken und Politik wirken überfordert von der Entwicklung - auch manche Patienten. Tausende Gesundheits-Apps stehen zum Download bereit. Hinzu kommen diverse Webseiten im Netz. Was ist brauchbar, was eher nicht?
Die Anforderungen an Gesundheitssoftware und -Apps sind hoch, schließlich handelt es sich um sensible Daten. Doch in den App-Stores tummeln sich viele Anbieter, deren Programme teils zweifelhaft arbeiten, lasch mit dem Datenschutz umgehen und Nutzer sogar in Gefahr bringen können.
So hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bei einem Test von 17 Gesundheits-Apps festgestellt, dass 11 "nicht mal minimalste Anforderungen an die Transparenz über den gesundheitlichen Nutzen" erfüllen. "Für Verbraucher und insbesondere für Patienten ist das ein unhaltbarer Zustand", erklären die Verbraucherschützer.
Drohende Unterzuckerung
Vor zwei Jahren attestierte eine andere Untersuchung 31 von 46 getesteten Diabetes-Apps Probleme bei der Berechnung der Insulindosis auf Basis der aufgenommenen Kohlenhydrate. Fehler könnten zu einer bedrohlichen Unterzuckerung führen.
Für Patienten sind derartige Mängel kaum zu erkennen. Sie nutzen die Apps, auch wenn sie nicht genau wissen, was mit ihren Daten passiert und seriöse Einstufungen zur Qualität der Programme fehlen.
Die Digitalisierung kratzt auch am Image der "Götter in Weiß". Früher ging man mit einem Leiden zum Arzt. Heute tippen Patienten ihre Symptome in Google ein und bringen die Ergebnisse ihrer Recherche gleich mit in die Praxis. Sie wollen mitentscheiden und erwarten vom Mediziner eine umfassende Beratung.
Fragwürdige Informationen aus dem Internet
"Mir fehlt die Möglichkeit, mich über glaubwürdige Internetquellen zu informieren", klagt der Krebsmediziner Jan Schildmann, der an der Uni Fürth Medizinethik lehrt und Mitglied der Zentralen Ethikkommission an der Bundesärztekammer ist. Das digitale Zeitalter bedeute für Ärzte auch zusätzliche Arbeit. Wo früher einfach eine Diagnose gestellt wurde, wird nun über teils fragwürdige Informationen aus dem Internet diskutiert.
Den Trend zur Digitalisierung haben Ärzte, Kliniken und Politik bislang weitgehend verschlafen. Das einzige Großprojekt dazu, die elektronische Gesundheitskarte, droht als milliardenschwerer Flop zu enden. Der Bund der Steuerzahler bezeichnete sie jüngst als "skandalöses Beispiel" für Steuerverschwendung: Anders als ursprünglich geplant ermöglicht sie bisher weder den Austausch von Notfalldaten noch den der Medikation eines Patienten, vom elektronischen Rezept oder einem digitalen Arztbrief ganz zu schweigen.
Es fehlt zudem eine sichere und zuverlässige digitale Infrastruktur. So tauschen Ärzte teils sensible Patienten-Informationen über WhatsApp aus, sie schicken sich in einer Nachtschicht schnell das Foto einer Röntgenaufnahme zu. Oder Apotheker laden ihre Patienten ein, zur Vorbestellung eines Medikaments ein Foto des Rezepts über WhatsApp zu schicken. Das ist praktisch, und die Kommunikation via WhatsApp ist inzwischen sogar verschlüsselt. Doch Datenschützer haben trotzdem erhebliche Bedenken .
"Endlich Schwung"
Immerhin hat der Deutsche Ärztetag dieses Jahr beschlossen, sich des Themas verstärkt anzunehmen, aufgrund der Trägheit der Branche sind jedoch keine Wunder zu erwarten. Die Bundesregierung versprach im Sommer ein "lernendes, digital vernetztes Gesundheitssystem, in dem stets die richtige Person die richtige Information zur richtigen Zeit hat", wie Bundesforschungsministerin Johanna Wanka es formulierte. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erklärte, dass nun "endlich Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens" gekommen sei.
Gröhe hat mit Ärzten, Krankenkassen und Verbraucherschützern eine "Allianz für Gesundheitskompetenz" ins Leben gerufen. Doch Patienten werden wohl noch etwas warten müssen: Im nächsten Jahr soll zunächst ein Konzept für ein Webportal mit verlässlichen medizinischen Informationen entwickelt werden. Und angesichts Tausender Gesundheits-Apps gibt sich der Minister ohnehin geschlagen. "Sie alle zu prüfen und behördlich zu genehmigen, wäre nicht machbar", erklärte er der "Passauer Neuen Presse".
Weil so etwas wie Qualitätssiegel für medizinische Webseiten und Apps in weiter Ferne scheinen, machen sich Patienten selbst an die Arbeit: Diana Droßel von der Deutschen Diabetes-Hilfe hat zusammen mit anderen Verbänden ein Team von mehr als 120 Personen aufgebaut, die Diabetes-Apps testen und das Prüfsiegel DiaDigital ausstellen. "Die meisten reden, aber niemand macht etwas", sagt Droßel. "Wir haben einfach angefangen."