Not-OPs Schock-Kühlung soll Menschenleben retten

Ärzte auf dem Weg in den OP: Den Körper kühlen, um Zeit zu gewinnen
Foto: CorbisWenn das Herz nach einer schweren Verletzung stehen bleibt, überlebt das höchstens einer von zehn Betroffenen. Intensivmediziner Samuel Tisherman von der US-Universität in Pittsburgh möchte in Zukunft mehr Menschen retten.
Wie das Wissenschaftsmagazin "NewScientist" berichtet , will der Arzt gemeinsam mit seinem Team eine gewagte Studie starten: Zehn Menschen, die etwa nach einer Schießerei oder einer Messerstecherei so schwer verletzt sind, dass sie kaum noch Überlebenschancen haben, sollen sehr schnell extrem gekühlt werden, um Zeit für eine Operation zu gewinnen.
Tishermans Idee: Das Blut der Verletzten soll innerhalb von kürzester Zeit gegen eine kalte Flüssigkeit ausgetauscht werden, so dass der Körper schon nach 15 Minuten auf zehn Grad heruntergekühlt ist. Dafür wird ein Katheter in der Hauptschlagader platziert, eine Herz-Lungen-Maschine pumpt die Flüssigkeit in den Körper. "Wir erkaufen uns Zeit, indem wir die Patienten herunterkühlen", sagt Tisherman in einem Erklärvideo , "das erlaubt uns Chirurgen, die Verletzung zu reparieren und den Patienten zu retten." Finanziert wird die Studie vom US-Militär.
Intensivmediziner nutzen schon lange die Möglichkeit der sogenannten Hypothermie. Dabei regulieren sie die Körpertemperatur ihrer schwerkranken Patienten um mehrere Grad Celsius herunter, um den Organismus zu entlasten. So haben es etwa auch die Ärzte von Michael Schumacher nach seinem schweren Schädelhirntrauma gemacht. Für große Operationen am Herzen kühlen Chirurgen ihre Patienten mitunter sogar auf unter 20 Grad Celsius ab, führen einen Herzstillstand herbei und können dann rund 45 Minuten lang operieren, ohne dass Blut fließt.
Das Dilemma: Bewusstlose können nicht zustimmen
Warum hält der Organismus das aus, während das Gehirn bei normalen Temperaturen schon drei bis fünf Minuten nach einem Herzstillstand Schaden nimmt? Vor allem Gehirn und Herz verbrauchen bei niedrigen Temperaturen deutlich weniger Sauerstoff. Das erklärt auch, warum im Schnee verschüttete oder fast erfrorene Menschen auch nach längerer Zeit mitunter noch erfolgreich reanimiert werden können.
Bei Schweinen funktioniert die Theorie der Intensivmediziner bereits in der Praxis. Das hatte eine Forschergruppe um Hasam Alam im Jahr 2002 gezeigt , die mehrere Tiere dem Experiment unterzogen. Die Schweine hatten den Wissenschaftlern zufolge nach dem Eingriff keine bleibenden Gehirnschäden.
Doch kann der Versuch auch beim Menschen klappen? Und ist ein solches Experiment ethisch überhaupt vertretbar?
Das Problem ist: Weil die Betroffenen so schwer verletzt und bewusstlos sind, können sie dem Eingriff nicht zustimmen. Auch für die Suche nach Angehörigen und Aufklärungsgespräche fehlt die Zeit. Tisherman und sein Team gehen daher einen Umweg. Sie klären die Öffentlichkeit vorab über Radio, Zeitung und Internet über ihr Vorhaben auf. Jeder, der nicht an dem Versuch teilnehmen möchte, kann sich telefonisch ein Armband bestellen, das seinen Ausschluss signalisiert.
"Futurisitsch und spektakulär"
Die US-Gesundheitsbehörde FDA hatte den Versuch bereits vor vier Jahren genehmigt. "Wir hoffen, dass wir nun endlich beginnen können, wir sind bereit", schreibt Tisherman auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Im Rahmen einer Studie sollen zehn Menschen in Hypothermie versetzt und operiert werden. Die Ergebnisse sollen laut "NewScientist" mit den Resultaten von zehn anderen Patienten verglichen werden, die nicht so behandelt werden konnten, weil das besonders ausgebildete intensivmedizinische Team nicht verfügbar war.
"Die Studie klingt zunächst auch ein wenig futuristisch und spektakulär", sagt Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uni-Klinik Köln. "Und es könnten sich dadurch reale Überlebenschancen für viele Menschen in gefährlichen Großstädten oder nach Unfällen eröffnen." Das Spannungsfeld ist dennoch groß: Die Studie könnte ergeben, dass der Therapieversuch nichts bringt oder im schlimmsten Fall sogar noch Schaden anrichtet. Oder das Resultat zeigt, dass die Behandlung Leben rettet.
"Wenn die Tierexperimente zuverlässig positive Ergebnisse liefern, und der Nutzen den Schaden überwiegt, ist der Schritt vom Tierversuch zur Studie am Menschen unbedingt vertretbar und im Interesse unserer Patienten auch notwendig", findet Böttiger. "Mit solchen gut überwachten Studien können wir die Notfallmedizin deutlich weiterbringen und dadurch auch dem Einzelnen helfen."