Rizin Patient in Münster ist immun gegen tödliches Gift

Weltweit sind nur drei Menschen bekannt, denen das Gift Rizin nichts anhaben kann. Ein Mann aus Deutschland zählt dazu. Leider beruht die Immunität auf einer seltenen Krankheit, die ihm sehr geschadet hat.

Rizin gilt als eines der tödlichsten Gifte der Welt und nach Kriegswaffenkontrollgesetz als Kriegswaffe. "Es ist immer wieder Thema, wenn es um bioterroristische Angriffe geht", sagt Thorsten Marquardt vom Uniklinikum Münster. Wenige Milligramm reichen, um einen Menschen zu töten. Die Substanz ist ein Protein aus den Samen des Wunderbaums.

Rizin kam etwa zum Einsatz, als 1978 der bulgarische Dissident Georgi Markow in London von einem Mann mit einem mit Rizin präparierten Regenschirm vergiftet wurde. Markow starb wenige Tage später.

Marquardt und seine Kollegen vom Fachbereich Angeborene Stoffwechselerkrankungen berichten nun von einem 20-Jährigen der immun gegen die verheerende Wirkung von Rizin ist. Nach Aussage der Forscher ist er einer von drei bekannten Fällen weltweit. Dem jungen Mann hilft die Erkenntnis leider nicht, sie ist aber für die Forschung interessant.

"Mit ihm war immer was"

Jakob (Name geändert) kam 1997 deutlich zu früh auf die Welt. "Mit ihm war immer was", erinnert sich seine Mutter. Bereits am ersten Tag nach der Geburt muss der Junge operiert werden, weitere OPs folgen. In seinen ersten beiden Lebensjahren hat Jakob häufig hohes Fieber. Ein junger Arzt sei auf die richtige Spur gekommen: "Er biss sich daran fest, dass Jakob viel zu viele weiße Blutkörperchen hat", erzählt Marquardt.

Über Umwege kam der Mediziner darauf, dass Jakob aufgrund eines genetischen Defekts keine Fucose produzieren kann - das ist ein Zucker, der für diverse Prozesse im menschlichen Körper benötigt wird. "Es gibt nur zwei weitere Menschen auf der Welt, von denen bekannt ist, dass sie den gleichen Defekt haben", sagt Marquardt. Sie leben beide in Israel. Weil man den Gendefekt nun kannte, konnten die Ärzte eine Therapie entwickeln: Heute führen sie dem jungen Mann Fucose künstlich zu.

Doch Jakob hat nicht umkehrbare Schäden durch den Fucose-Mangel in seiner Kindheit, er ist schwer körperlich und geistig beeinträchtigt - er kann nur schlecht laufen und sich Fremden gegenüber kaum artikulieren. Als die Ärzte herausfanden, woran Jakob leidet, war seine Entwicklung bereits irreparabel beeinträchtigt.

Dass Jakob gegen Rizin immun ist, kam erst später heraus. "Wissenschaftler der Universität Wien haben an der Entschlüsselung des Wirkmechanismus von Rizin gearbeitet", erzählt Marquardt. Sie hatten den Verdacht, dass die Substanz erst durch zwei Gene des Menschen tödlich wirkt, eines davon ist bei Jakob defekt. Sie forderten deshalb eine Hautprobe an. "So haben wir über Jakobs seltene Erkrankung noch neue wissenschaftliche Erkenntnisse bekommen", sagt Marquardt. Möglicherweise hilft dies, ein Gegengift zu entwickeln.

Menschen mit seltenen Erkrankungen warten oft viele Jahre auf die richtige Diagnose. Eine Erkrankung gilt in der EU laut dem Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen betroffen sind. Rechnet man sie alle zusammen, sind seltene Erkrankungen gar nicht mehr selten: In Deutschland sind laut Schätzungen vier Millionen Menschen betroffen.

wbr/Kristin Kruthaup, dpa

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