Suchtgefahr Was ist so schlimm an Nasenspray?
Das Medikament, das in Deutschland am häufigsten über den Apothekentresen geht, ist weder eine Kopfschmerztablette noch hilft es gegen Magen-Darm-Beschwerden. Es ist ein Nasenspray mit dem Wirkstoff Xylometazolin, das die Schleimhäute abschwellen lässt und so bei einer Erkältung die Nase freimacht.
Zählt man allein die vier meistverkauften "Xylo"-Sprays zusammen, kommt man auf 50 Millionen verkaufte Packungen in Deutschland pro Jahr.
Die Mittel werden nicht bloß von Erkälteten genutzt, die gerade ein Schnupfen plagt. Sondern auch von Menschen, die durch einen Gewöhnungseffekt abhängig geworden sind und ohne das Spray eine permanent verstopfte Nase haben. Schätzungen zufolge sind etwa 100.000 Menschen in Deutschland betroffen.
Wie es dazu kommt - und wie der Entzug funktioniert, erklärt Achim Beule von der Klinik für Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Münster.
SPIEGEL ONLINE: Herr Beule, ich bin erkältet und will die Nase freibekommen. Spricht etwas gegen ein Xylometazolin-Spray?
Beule: Kurzfristig nicht, bei einer Erkältung erhöht das Spray die Lebensqualität. Es hält die Nase für sechs bis acht Stunden frei. Man übersteht den Tag besser, abends erleichtert es das Einschlafen. Die Tropfen gibt es, mit niedriger Wirkstoffkonzentration, sogar schon für Kinder ab zwei Jahren: Das ist auch eine Erleichterung für die Eltern, wenn das erkältete Kind nachts besser schläft.
SPIEGEL ONLINE: Was ist dann das Problem?
Beule: Die Sprays sorgen dafür, dass die Nasenschleimhäute abschwellen. Leider haben sie einen Gewöhnungseffekt: Nimmt jemand die Mittel länger als eine Woche mehrmals täglich, schwillt die Schleimhaut dauerhaft an und verschließt die Nase. Also wird weiter gesprüht. Es geht nicht mehr ohne.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es den typischen Xylo-Patienten?
Beule: Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Und bei fast allen liegt schon ein Problem vor, das die Atmung erschwert, beispielsweise eine schiefe Nasenscheidewand. Bei einer Erkältung geht dann eben nichts mehr.
SPIEGEL ONLINE: Im Vergleich zu anderen Süchten erscheint eine Abhängigkeit von Nasenspray noch relativ harmlos. Warum ist sie überhaupt problematisch?
Beule: Das Riechvermögen leidet, was auch den Geschmackssinn beeinträchtigt. Die Welt wird also ein bisschen grauer. Die Schleimhaut trocknet mit der Zeit aus, was die Anfälligkeit für Erkältungen erhöht. Die Nase kann sich dann auch schlechter selbst reinigen und ist oft entzündet. Einige Betroffene entwickeln eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen. Manche leiden unter einem sogenannten Post-Nasal-Drip: Ihnen läuft regelmäßig ein zähes Sekret aus der Nase in den Rachen.
SPIEGEL ONLINE: Verschwinden die Beschwerden, wenn man vom Spray loskommt?
Beule: Der Post-Nasal-Drip bleibt selbst nach einem erfolgreichen Nasenspray-Entzug manchmal bestehen. Leider kann man kaum etwas dagegen tun. Eine weitere mögliche Folge: Xylometazolin verringert die Durchblutung in der Nase und damit auch im Nasenknorpel. Dadurch kann Knorpelgewebe absterben und zum Beispiel ein Loch in der Nasenscheidewand entstehen. Auch der Nasenrücken kann einsacken, sodass eine Sattelnase entsteht. Wer von diesen schweren Folgen betroffen ist, ist wirklich krank.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommt man möglichst vor all diesen Komplikationen weg vom Nasenspray?
Beule: Wenn Sie erst seit einem halben Jahr sprühen, ist ein kalter Entzug das Beste. Der klappt meistens.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn nicht?
Beule: Zu mir in die Klinik kommen die Fälle, die intensivere Hilfe benötigen, psychologisch und medikamentös. Die Patienten kommen innerhalb von sechs Wochen zu drei oder vier Terminen und nehmen in der Entwöhnungsphase zwei weitere Medikamente. Als erstes ein Nasenspray, das Kortison enthält. Es lässt die Schleimhäute abschwellen. Die meisten Patienten bekommen schon nach circa fünf Tagen besser Luft. Seine volle Wirkung baut dieses Spray aber erst über mehrere Wochen auf. Zusätzlich nehmen die Patienten ein sogenanntes Antihistaminikum, ein Allergiemedikament. Es wirkt zusammen mit dem Kortison entzündungshemmend.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist es mit typischen Hausmitteln gegen eine verstopfte Nase?
Beule: Ich empfehle außerdem, es mit einer Nasendusche zu versuchen. Spült man die Nase mit Salzwasser, schwellen die Schleimhäute zuverlässig für etwa eine halbe Stunde ab. Die Zeit reicht vielen abends, um mit freier Nase einzuschlafen. Etwa 80 Prozent der Patienten nutzen die Nasendusche. Es gibt abgepackte Salzmengen zu kaufen, damit man es richtig dosiert.
SPIEGEL ONLINE: Und dann setzen die Betroffenen das Xylo-Spray einfach ab?
Beule: Sobald sie merken, dass sie besser Luft bekommen, sprühen sie zuerst nur noch in ein Nasenloch. Etwa eine Woche später wird das Spray ganz abgesetzt. Ich empfehle, als nächstes das Antihistaminikum zu streichen. Später wird dann auch auf das Kortison-Spray verzichtet.
SPIEGEL ONLINE: Wie viele schaffen so den Entzug?
Beule: Etwa 80 bis 90 Prozent meiner Patienten sind nach sechs Wochen weg vom Xylometazolin.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es Rückfälle?
Beule: Leider ja. Patienten müssen bei Erkältungen erst einmal ganz auf Xylo-Sprays verzichten. Tun sie das nicht, setzt der Gewöhnungseffekt schnell wieder ein, die Abhängigkeit ist zurück.
SPIEGEL ONLINE: Wäre es nicht sinnvoll, stärker vor dem Suchtpotenzial der Mittel zu warnen?
Beule: Ich habe da meine Zweifel. Es wird ja vor so vielem gewarnt, schauen Sie mal auf Zigarettenpackungen. Die Menschen rauchen trotzdem!
SPIEGEL ONLINE: Und eine Verschreibungspflicht?
Beule: In Ländern, in denen Xylometazolin rezeptpflichtig ist, kommt die Sucht seltener vor.