Junge Patienten Wenn Kinder Bluthochdruck haben

Mädchen beim Arzt: Immer mehr junge Menschen haben Bluthochdruck
Foto: CorbisBluthochdruck ist nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die größte globale Gesundheitsgefahr. Was bei älteren Menschen nicht überrascht, wird bei Kindern und Jugendlichen meist gar nicht erwartet. "Rund fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben laut Studien wie dem Kinder-und Jugendgesundheitssurvey einen erhöhten Blutdruck", sagt Renate Oberhoffer von der Deutschen Hochdruckliga (DHL). "Das Problem wurde bislang unterschätzt."
Eine wichtige Rolle spielt die familiäre Veranlagung zu Bluthochdruck. "Werden auch andere Faktoren wie Übergewicht berücksichtigt, ist die Zahl der Betroffenen höher", warnt Oberhoffer, die stellvertretende Sprecherin der Kommission Hypertonie bei Kindern und Jugendlichen in der DHL ist. Rund ein Viertel bis ein Drittel der übergewichtigen oder fettleibigen Kinder und Jugendlichen haben einen im Vergleich zu normalgewichtigen Gleichaltrigen um vier bis sechs Millimeter Quecksilbersäule (mmHg) höheren Blutdruck. Auch Passivrauchen oder Medikamente gegen das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS und die Antibabypille können sich negativ auf den Blutdruck auswirken. Weiterhin können regelmäßig getrunkene Energy Drinks, insbesondere sogenannte Shots mit rund 80 Milligramm Koffein, den Blutdruck ansteigen lassen. Jeder Faktor für sich genommen erhöht den Blutdruck zwar nicht dramatisch. Aber die Veränderungen summieren sich.
Fehlprogrammierung im Mutterleib
Experten zufolge haben auch zu früh geborene Kinder ein größeres Risiko für einen erhöhten Blutdruck. Als einer der Gründe werden etwa Funktionsstörungen in der Plazenta diskutiert. Ebenso sind Kinder gefährdet, deren Mütter während der Schwangerschaft geraucht haben oder unter Bluthochdruck litten.
Der Grund: Durch eine Minderdurchblutung des Mutterkuchens wird das ungeborene Kind mangelhaft ernährt. Der kindliche Organismus versucht, sich daran anzupassen und verändert seine Regelkreise entsprechend. "Es findet quasi eine fetale Programmierung im Mutterleib statt", warnt Oberhoffer. In einigen Fällen sind aber auch Nierenerkrankungen schuld, die aus diesem Grund ausgeschlossen werden sollten.
Oftmals deuten Kopfschmerzen, Konzentrationsmangel und häufiges Nasenbluten auf erhöhte Blutdruckwerte hin - diese Symptome können aber auch viele andere Ursachen haben. "Die Möglichkeit eines erhöhten Blutdrucks in jungen Jahren ist leider weder bei den Familien noch bei den Ärzten wirklich im Bewusstsein verankert", sagt die Präventionsmedizinerin. "Man sollte den Blutdruck deshalb bereits ab dem Kindesalter bei den Vorsorgeuntersuchungen messen." Zu frühzeitigen Messungen rät sie vor allem auch bei Kindern aus Familien, in denen Bluthochdruck gehäuft auftritt. Allerdings gelten für so junge Patienten andere Normalwerte als für Erwachsene. Bei ihnen spielen insbesondere die Körpergröße, aber auch das Alter und das Geschlecht eine Rolle.
"So mancher Jugendlicher dürfte seinen erhöhten Blutdruck ins Erwachsenenalter mitnehmen", vermutet Oberhoffer. Den Ergebnissen der DEGS1-Studie zufolge lag im Jahr 2011 der obere Wert bei neun Prozent der Männer zwischen 18 und 29 Jahren über dem derzeit geltenden oberen Grenzwert von 140/90 mmHg. Zum Vergleich: Anfang 2000 waren es nur halb so viele. Bei Frauen zwischen 18 und 29 Jahren hatten dagegen nur etwa drei Prozent Bluthochdruck.
Starke Zunahme von Bluthochdruck
"In den USA leiden zwischen 10 und 19 Prozent der jungen Männer und Frauen im Alter von 24 bis 32 Jahren unter Bluthochdruck", sagt Yvonne Dörffel, Leiterin der Medizinischen Poliklinik der Charité Berlin. "Das ist eine dramatische Zunahme, die wahrscheinlich auf Bewegungsmangel, Übergewicht und zu viel Salz in der Nahrung zurückzuführen ist." Nicht wenige dieser jungen Erwachsenen seien aber ahnungslos, weil ihre Werte nicht gemessen würden, bemängelt Dörffel.
Der als optimal festgelegte Normwert liegt derzeit bei 120/80 mmHg. Entgegen der bisherigen Maßgabe, den Blutdruck erst ab Werten von 140/90 mmHg medikamentös zu senken, diskutieren Kardiologen aufgrund einer US-Studie derzeit einen anderen Ansatz: Es gibt deutliche Hinweise, dass bestimmte Patienten im höheren Alter davon profitieren könnten, wenn der Blutdruck strenger eingestellt und auf Werte um 120/80 mmHg gesenkt wird.
Je höher schon in jungen Jahren der Blutdruck ist und je länger er anhält, desto größer ist der Schaden für die Herzmuskelfunktion bis zum mittleren Lebensalter. Eine über 25 Jahre laufende Studie mit 2500 Männern und Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren (bei Studienbeginn) zeigt: Bereits über längere Zeit bestehende Blutdruckwerte über 130/85 mmHg reichen, um im Laufe von 25 Jahren den Herzmuskel zu schädigen. Der Herzmuskel werde zunächst dicker, erklärt Dörffel. Das stelle für die linke Herzkammer eine Belastung dar, die jahrelang kompensiert werde. "Die Auswurfleistung der linken Herzkammer in die Arterien und damit die Pumpleistung des Herzens bleiben also erst einmal gleich", so die Kardiologin. "Es dauert dann noch etwa 15 Jahre, bis sich die Herzkammer nur noch unzureichend kontrahieren und entspannen kann und die Pumpleistung sinkt."
"Gibt es Hinweise auf einen erhöhten Blutdruck, muss der Blutdruck mindestens zweimal in Ruhe gemessen und dann zusätzlich 24 Stunden lang beobachtet werden, um eine zuverlässige Diagnose stellen zu können", sagt die Pädiatrische Präventionsmedizinerin Oberhoffer. "Dann hat man nicht nur den Tagesdurchschnittswert, sondern sieht auch, ob der Blutdruck nachts adäquat abfällt." Das gilt für Kinder und Jugendliche wie auch für junge Erwachsene.
Liegen die Messungen deutlich über den definierten optimalen Werten, sollte der Betroffene Maßnahmen ergreifen. "Aber erst einmal nicht mit Medikamenten", sagt Oberhoffer. Der größte Risikofaktor ist Bewegungsmangel, weil er Übergewicht verursacht, aber auch unabhängig davon das Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen erhöht. Dreimal wöchentlich jeweils 60 Minuten Sport sollten Betroffene einplanen, rät Oberhoffer und möglichst regelmäßige Aktivität ins Leben einbauen.
Eltern sollten Stress, Ernährung und Salzgenuss ihrer Kinder unter die Lupe nehmen. Bei jungen Erwachsenen gilt zusätzlich: "Soweit es geht Existenzängste abbauen, überlange Arbeitszeiten vermeiden, Stress in Beruf oder an der Universität verringern und das Handy zwischendurch abschalten. Die ständige Erreichbarkeit stresst", warnt die Internistin Yvonne Dörffel von der Berliner Charité.
Nachdem Veränderungen umgesetzt wurden, sollte man drei Monate abwarten und dann den Blutdruck erneut kontrollieren. "Ist er trotz konsequenter Lifestyleänderungen unverändert hoch, ist es möglicherweise Zeit für eine zusätzliche medikamentöse Therapie", so Oberhoffer.

Gerlinde Gukelberger-Felix ist Diplom-Physikerin und studierte eine Zeit lang Medizin, bis sie sich ganz dem Journalismus verschrieb. Besonders interessant findet sie alle Überschneidungen zwischen Medizin, Physik, Biologie und Psychologie. Sie arbeitet als freie Medizin- und Wissenschaftsjournalistin.