Medizin-Nobelpreis 2016 Was ist Autophagie und wofür ist sie wichtig?

Medizin-Nobelpreis 2016: Was ist Autophagie und wofür ist sie wichtig?
Foto: AP/ KyodoIn jedem Menschen findet sie statt, kaum einer kennt ihren Namen: Autophagie. Die Arbeit über Abbau- und Recyclingprozesse in Zellen hat dem japanischen Zellbiologen Yoshinori Ohsumi vom Tokyo Institute of Technology am Montag den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin eingebracht. Worum geht es bei seiner Forschung und wie lange musste Ohsumi auf die Auszeichnung warten? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Was ist Autophagie?
Das Wort Autophagie setzt sich aus den griechischen Wörtern auto- (selbst) und phagein (essen) zusammen und bedeutet damit wörtlich "Selbstfressen". Was gefährlich klingt, ist lebensnotwendig: Bei dem fortlaufend stattfindenden Prozess werden etwa geschädigte oder funktionslose Proteine oder Zellorganellen verdaut und aus dem Verkehr gezogen. Man kann sich das wie eine Art Müllabfuhr vorstellen - allerdings mit Recyclinganlage. Denn einzelne, noch verwertbare Bestandteile werden wiederverwendet.
Warum ist das wichtig?
Gäbe es keine Autophagie, würden die Müllsacke unserer Zellen überquellen. Außerdem werden bei dem Prozess nicht nur Proteine oder Zellorganellen herausgefiltert und abgebaut. Es können auf diese Weise auch Eindringlinge wie Viren, Bakterien oder andere Mikroorganismen in der Zelle bekämpft werden. Damit kommt der Autophagie bei Infektionen, in Alterungsprozessen und bei der Entstehung von Tumoren und anderen Krankheiten eine Schlüsselfunktion zu.

Nobelpreis Medizin 2016: Ohsumi und die Zell-Müllabfuhr
Was hat Ohsumi entdeckt?
Dass es Autophagieprozesse gibt, wissen Forscher bereits seit den Sechzigerjahren. Ohsumi publizierte in den Neunzigerjahren eine Arbeit über 15 Gene, die Autophagie-Vorgänge entscheidend steuern. Denn der Prozess unterliegt einer ständigen Kontrolle, damit weder zu wenig Müll abtransportiert wird, noch gesunde Strukturen fälschlicherweise als Müll identifiziert werden. In weiteren Versuchen analysierten der heute 71-jährige Ohsumi und seine Kollegen die zugrunde liegenden Mechanismen und zeigten, dass auch in unseren Zellen ähnlich ausgeklügelte Prozesse existieren.
"Die Arbeit von Yoshinori Ohsumi hat das Verständnis dieses lebenswichtigen Prozesses dramatisch verändert", heißt es in der Begründung des Nobelpreiskomitees . "Aufgrund von Yoshinori Ohsumis bahnbrechenden Entdeckungen wird heute die Bedeutung von Autophagie in der menschlichen Physiologie und bei Krankheiten gewürdigt."
Wie lange musste Ohsumi auf die Auszeichnung warten?
Das Nobelpreiskomitee bezieht sich in seiner Begründung unter anderem auf die Publikation aus dem Jahr 1993, in dem die entscheidenden Gene für Autophagie benannt werden. Ohsumis Arbeitsgruppe an der Tokyo University bestand da schon fünf Jahre, im Jahr 1992 hatten die Forscher bereits Grundlagenforschung zu Autophagie in Hefepilzen veröffentlicht.
Ohsumi ist mit seiner langen Wartezeit in guter Gesellschaft, denn in der Regel vergehen mehr als 20 Jahre zwischen einem wissenschaftlichen Durchbruch und der Auszeichnung durch den Nobelpreis. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Wartezeiten vom ersten Nobelpreis bis zum Jahr 2015. Wenn Sie auf einen Punkt klicken, erfahren Sie mehr über den jeweiligen Preisträger und die ausgezeichneten Forschungsarbeiten.
Ohsumi ist der sechste Japaner, der die begehrte Auszeichnung für Physiologie oder Medizin bekommen hat und der 23. Japaner, der mit einem Nobelpreis geehrte wurde.
Wer bekam die Auszeichnung im vergangenen Jahr?
Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an drei Wissenschaftler: Der gebürtige Ire William C. Campbell sowie der Japaner Satoshi Omura erhielten die Hälfte des Preises für ihre Arbeit an einer Therapie gegen Infektionen mit Fadenwürmern. Mit der anderen Hälfte wurde die Chinesin Tu Youyou für Fortschritte in der Malariaforschung geehrt.
Wann wurde das letzte Mal ein Deutscher mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet?
Im Jahr 2008 wurde der Virenforscher Harald zur Hausen geehrt. Er hatte entdeckt, dass die humanen Papillomaviren Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Aus dieser Erkenntnis folgte die Entwicklung eines Impfstoffs, der bereits seit Jahren angewendet wird. Zur Hausen erhielt damals die Hälfte des Preisgelds. Die andere Hälfte teilten sich die französischen Mediziner Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier. Die Franzosen hatten das HI-Virus Anfang der Achtzigerjahre in Proben von schwer kranken Patienten isoliert.