Schönheits-OP Neue Ohren für Peter

Pejman Boorboor und Christian Kerpen mit dem Patienten
Foto: Jens Lubbadeh"So, jetzt liegt es doch schön, oder?", fragt Christian Kerpen. "Nicht mehr wie drangeklatscht."
Peter Schadin (Name von der Redaktion geändert) hält sich den runden Spiegel vors Gesicht. Der junge Mann trägt blaue OP-Einmalbekleidung, sein Körper ist mit grünen Tüchern bedeckt. An seinem Ringfinger steckt ein Sauerstoffmessgerät.
Schadin schaut genau hin. Schaut auf das rechte Ohr, das ihm 23 Jahre lang peinlich war. Dann dreht er den Kopf, um das Linke besser zu sehen. Dann wieder das Rechte. Beide Ohren sind symmetrisch. Endlich! Schadin blinzelt mit den Augen. Er ist müde - das Dormicum, die Lokalanästhesie und die Aufregung.
"Der Abstand ist gut", sagt Schadin. "Aber die Ohrmuschelspitzen stehen immer noch so weit weg vom Kopf."
Kerpen sieht genau hin. Dann nickt er. "Ok. Wenn schon, denn schon." Kerpen greift erneut zum Skalpell.
Versteckt unter einer Mütze
Anderthalb Stunden zuvor sitzt Peter Schadin neben seinem Bruder im Wartezimmer einer Privatklinik in Hannover Groß-Buchholz. In der Gegend wohnen eher gut Betuchte - die Maschmeyers zum Beispiel. Das ist die Klientel, die Pejman Boorboor, Leiter der Klinik, für gewöhnlich behandelt.
Heute ist Peter Schadin sein Patient. Der 33-Jährige ist gut gebaut, ein großes Tattoo zieht über seinen muskulösen linken Arm. Im Wartezimmer lässt Schadin die Mütze auf dem Kopf. Ob er sie etwa trage, um seine Ohren zu verbergen, fragt Christian Kerpen ihn bei der Begrüßung.
2300 Euro hätten Christian Kerpen und Pejman Boorboor Peter Schadin eigentlich dafür berechnen müssen, um seine vor 23 Jahren von einem HNO-Arzt verpfuschten Ohren wieder in Form zu bringen. Doch diese Summe war zu hoch für den Werksarbeiter und zweifachen Vater aus Hamburg.
"Herr Schadin tat mir Leid"
Er fragte Kerpen, plastischer Chirurg in Hamburg, ob er vielleicht nur das rechte Ohr machen könnte. Das, was der HNO-Arzt ihm einfach an den Kopf angenäht hat und das nun an der Ohrmuschel mit Schadins Kopfhaut verwachsen ist. Das Linke, das könne seinetwegen ja so bleiben. Aber das Rechte, das nerve ihn wirklich.
Wenn es gut werden soll, muss er beide Ohren anfassen, denkt Kerpen. Wenn schon, denn schon. Er überlegt nicht lange und fragt seinen Kollegen Boorboor, ob sie Schadin in Hannover operieren können - umsonst. Boorboor hat schon mehrere sogenannte Pro-bono-Operationen gemacht und willigt sofort ein. "Herr Schadin tat mir Leid", sagt Kerpen. Für ihn ist es auch nicht die erste Pro-bono-OP.

Chirurgen Christian Kerpen und Pejman Boorboor
Foto: Pejman BoorboorSchönheitschirurgen, die umsonst operieren? Ungewöhnlich, verbindet man mit dieser Zunft doch eher Jetset, Stars und teure Autos. "Ich bin nicht Arzt geworden, um reich zu werden", sagt Kerpen. Ihn nervt, dass so mancher Kollege "unangemessen hohe Honorare nimmt".
Und Pejman Boorboor nervt, dass Schönheitschirurg kein geschützter Begriff ist - im Gegensatz zu plastischer und ästhetischer Chirurg. "Jeder kann sich so nennen und operieren", sagt Boorboor. Und das tun leider auch einige, die besser nicht operieren sollten und mit Dumpingpreisen derzeit vor allem junge Frauen anlocken. Das Resultat: entstellte Körper und leidende Patienten. "Das zu korrigieren ist unsere Verpflichtung an die Gesellschaft", sagt Boorboor. "Und notfalls machen wir es auch umsonst."
Bei Schadin lag der Fall etwas anders. Er hatte Segelohren, leider ungleich stark abstehende. Irgendwann hatte er die Hänseleien satt und flehte seine Eltern an, etwas zu unternehmen. Sie gingen mit ihm zum Arzt. Kindern zahlen die gesetzlichen Krankenkassen eine plastische Operation der Ohren häufiger als Erwachsenen.
Telefon- statt Segelohr
Pro Jahr werden mehreren Tausend Kindern in Deutschland die Ohren angelegt. Die Techniker Krankenkasse (TK) beispielsweise hat 2015 rund 800 Ohren-OPs bezahlt. 90 Prozent davon wurden bei Kindern vorgenommen, die meisten im Alter von fünf bis sieben Jahren. Rechnet man die TK-Zahlen auf ganz Deutschland hoch, kommt man auf fast 6000 OPs.
Nur: "Sehr wenige plastische Chirurgen haben eine Kassenzulassung", sagt Kerpen. Und so wurde der zehnjährige Schadin von einem HNO-Arzt operiert. Als der Junge aus der Vollnarkose erwachte hatte er kein Segelohr mehr, sondern ein Telefonohr, wie Ärzte ein angenähtes Ohr nennen - ein zynischer Begriff.
Die erneute Korrektur im Erwachsenenalter hätte ihm die Kasse nur gezahlt, wenn ein Neurologe ihm extreme psychische Beeinträchtigungen bescheinigt hätte. Er leide zwar unter seinen Ohren, sagt Schadin, aber es sei nicht so schlimm, dass er in seinem Leben massiv beeinträchtigt sei. "Ich hätte lügen müssen", sagt er. "Und das wollte ich nicht."
Zwei, drei Stunden bis zu den Wunsch-Ohren
Noch einmal wird Schadin nicht erwachen mit einem Ohr, das er nie wollte. Bei lokaler Betäubung kann er Kerpen und Boorboor Feedback geben, wie sie die Ohren formen sollen.
Dafür gibt es viele Methoden, erklärt Kerpen. Die meisten konzentrieren sich auf die Anthelix - die bogenförmige Vorwölbung auf der Vorderseite der Ohrmuschel. Und die Ohrmuschel selbst. Durch Modifikationen im Knorpelgewebe kann man Segelohren korrigieren. Die Brutalo-Methode, das simple Annähen, wurde früher praktiziert, vor allem in der DDR.
Ein Ohr zu formen kann dauern. Zwei bis drei Stunden setzen Kerpen und Boorboor für die OP an. Sie wollen beide Ohren anfassen, nicht nur das verwachsene rechte. Schadin soll seine Wunsch-Ohren bekommen, wichtig ist, dass beide am Ende symmetrisch liegen und gleiche Form haben.

Pejman Boorboor und Christian Kerpen mit dem Patienten
Foto: Jens LubbadehAls Kerpen dann langsam mit dem Skalpell die verwachsene Haut hinter der Muschel des rechten betäubten Ohrs durchtrennt, ahnt er noch nicht, was er gleich finden wird. Boorboor hebt die Ohrmuschel langsam mit einem Häkchen vom Kopf ab. Da sieht Kerpen im Inneren des Gewebes etwas, das dort nicht hingehört. Etwas Dunkelgraues.
"Das gibt's nicht!", sagt Kerpen.
Damit haben die Chirurgen nicht gerechnet: Es ist der Faden mit dem der HNO-Arzt vor 23 Jahren Schadins Ohr an den Kopf annähte. Er hat sich nie aufgelöst und all die Jahre das Ohr festgehalten.
"Dann wollen wir doch mal sehen", sagt Kerpen. Vorsichtig schneidet er den Faden durch und sofort springt das Ohr ein Stück vom Kopf weg. Es springt in die perfekte Position.
Die Chirurgen sind baff.
Beide Ohren sind nun symmetrisch. Zufall. Aber ein glücklicher.

Der durchtrennte Faden
Foto: Jens LubbadehDie beiden hatten angenommen, das Ohr sei über die Jahre in die Position am Kopf gewachsen. Aber in Wahrheit hatte Schadins Ohr unter Spannung gestanden, all die Jahre - nur gehalten von dem Faden und ein bisschen Haut.
Kerpen zeigt Schadin sein neues Ohr im Spiegel. Der junge Mann ist zufrieden mit der Lage. Kerpen muss nicht mehr die Anthelix und die Ohrmuschel modellieren. Alles, was er jetzt noch braucht, ist ein Stück Haut, um die Furche hinter der Ohrmuschel zu schließen, die Peter Schadin bislang nicht hatte und aus der nun das rohe Fleisch herauslugt. Würde Kerpen sie einfach zunähen, hätte Schadin wieder ein Telefonohr.
Kerpen drückt ein Stück Kompressenpapier in die blutige Wunde hinter dem Ohr. Dann schneidet er den Blutabdruck auf dem Papier mit einer Schere aus. Er ähnelt einem kleinen Blutegel. Das Stück Papier reicht er Boorboor, der schon Schadins linke Leiste freigelegt, desinfiziert und in sie Lokalanästhetikum injiziert hat. Boorboor legt das Papier auf die Haut und dann beginnt der Chirurg mit einem Skalpell drumherum die Haut auszuschneiden. "Manchmal ist Chirurgie ein bisschen wie Bastelstunde", sagt Christian Kerpen und lacht.

Pejman Boorboor betäubt die Leistenregion
Foto: Jens LubbadehWenige Minuten später reicht Boorboor Kerpen das Stück Haut, das er braucht. Es sieht nun sehr aus wie ein Blutegel, die Oberseite hautfarben, die Unterseite weißlich vom Fettgewebe. Kerpen kratzt es etwas weg, ebenso die Haarfollikel auf der Oberseite, dann beginnt die Nähstunde.
Mit feinen Stichen fügt Kerpen das Hautstück in die Wunde hinter dem Ohr ein, während Boorboor die Wunde an der Leiste zunäht. Zwanzig Minuten später sind beide Wunden zu. Wie zwei Friseure präsentieren beide Schadin stolz das Resultat ihrer Arbeit.
Aber der junge Mann will diesmal alles richtig machen. Mit dem Abstand ist Schadin schon zufrieden, aber die Ohrmuschelspitzen könnten etwas enger anliegen.
Kerpen weiß, das ist jetzt nur noch Kleinkram. Wo er vorher mit einem Stückchen Haut mehr Abstand geschaffen hat, muss er nun ein wenig wegnehmen, um den gegenteiligen Effekt zu erzielen. Er zieht mit einer Pinzette die Ohrmuscheln so weit ein, bis Schadin die Lage der Ohrmuscheln gefällt. Dann umrahmt er mit einem Stift den soeben eingeklemmten Hautbereich bei beiden Ohren.

Das fertig vernähte rechte Ohr
Foto: Jens Lubbadeh"Wichtig ist, dass man vor der Narkose malt", sagt Kerpen. Denn das injizierte Lokalanästhetikum bläht das Gewebe auf. "Dann würde man am Ende zu viel Haut wegschneiden." Kerpen schneidet erst aus dem rechten Ohr ein längliches Stückchen Haut und näht die Wunde zu. Dann macht er das Gleiche am linken Ohr.
Diesmal besteht er den Spiegeltest. Der junge Mann lächelt, als er seine neuen, perfekten Ohren sieht. Die Ohren, auf die er 23 Jahre lang gewartet hat.
Später, im Wartezimmer, nimmt sein Bruder Peter Schadin in Empfang. Schadin trägt einen Kopfverband um beide Ohren. Alles ist gut gelaufen. Er ist erschöpft und die Schmerzen setzen ein. Aber er hat seine neuen Ohren gesehen und er weiß, dass nun endlich ein Leben beginnt, in dem nicht mehr seine Ohren das Hauptthema sein werden. Seine Mütze zieht er wegen des Verbands natürlich nicht auf. Aber wer weiß, ob er sie jemals wieder tragen wird.