
Organspende-Vorstoß von Jens Spahn Widerspruchslösung ist keine Lösung


Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
Foto: Christoph Soeder/ dpaJens Spahn (CDU) fordert in der "Bild" eine gesellschaftliche Debatte über die Widerspruchslösung bei der Organspende. Bislang gilt in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung: Jeder soll eine informierte Wahl treffen können, ob er nach dem Tod Organe spenden will oder nicht. Die Krankenkassen sind verpflichtet, regelmäßig Informationsmaterial zu verschicken. Liegt keine Entscheidung vor, werden Angehörige gefragt.
In vielen europäischen Ländern ist die Lage anders, dort gilt die Widerspruchslösung: Wer kein Veto eingelegt hat, ist automatisch Organspender. In einigen Staaten haben die Angehörigen noch das Recht, zu widersprechen und die Spende zu verhindern, in anderen nicht.
Eine Liste, in welchen Ländern welche Regelung gilt, findet sich hier . Das kann vor einer Auslandsreise interessant sein, weil das Recht vor Ort gilt, nicht das des Herkunftslandes.
Spahn sagt, wir bräuchten jetzt eine Diskussion über die Widerspruchsregelung, weil wir "seit vielen Jahren alles versucht" hätten, um die Zahl der Organspender zu erhöhen, aber "leider ohne Erfolg". Er sei für eine doppelte Widerspruchslösung, bei der jeder einer Organspende widersprechen könne, und - im Fall eines fehlenden Widerspruchs - die Angehörigen gefragt würden.
Verblüffender Vorstoß
Die Aussage ist zu diesem Zeitpunkt verblüffend, weil das Bundesgesundheitsministerium erst vergangenen Freitag einen Gesetzentwurf präsentiert hat, der sich mit den tatsächlichen Ursachen des Spenderorganmangels befasst. Das Problem liegt nämlich in den Krankenhäusern, was jüngst eine im "Deutschen Ärzteblatt" veröffentlichte Studie belegte. Potenzielle Spender werden demnach in den Kliniken zu selten erkannt und gemeldet.
Es wäre deshalb ein großer Schritt nach vorn, wenn:
- die Politik nun endlich die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken stärkt, damit sie tatsächlich die Zeit haben, dieser wichtigen Aufgabe auch nachzugehen - das hätte schon 2012 bei der Einführung des neuen Transplantationsgesetzes passieren müssen;
- Krankenhäuser für die Organspende besser entlohnt werden und so die dafür nötige Infrastruktur vorhalten können;
- sich künftig durch Berichte besser nachvollziehen lässt, ob Kliniken mögliche Spender erkennen und melden.
Zwei große Vorteile
Die im Gesetzentwurf aufgeführten Maßnahmen haben gleich zwei große Vorteile gegenüber der Widerspruchslösung:
- Sie schränken die Freiheit der Bürger nicht ein. Mit der jetzt gültigen Entscheidungsregelung ist jeder angehalten, sich mit der Organspendefrage auseinanderzusetzen. Aber es steht auch jedem frei, das nicht zu tun. Niemand wird aktuell Organspender durch Unterlassen - allerdings bürdet man die schwere Entscheidung Angehörigen auf.
- Sie setzen tatsächlich am Grundproblem in den Krankenhäusern an. Die aktuelle "Ärzteblatt"-Studie kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Würden alle Kliniken so arbeiten, wie es im Rahmen eines Modellprojekts der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) geschah, hätte es in Deutschland im Jahr 2015 statt 877 etwa 2780 Organspenden gegeben, also 1903 mehr. Aus dem DSO-Bericht desselben Jahres lässt sich ablesen, wie viele Spenden an fehlender Zustimmung scheiterten: 324. Doch auch mit der Widerspruchslösung wären diese 324 nicht automatisch Spender gewesen, da möglicherweise sie selbst oder ihre Angehörigen einer Spende widersprochen hätten.
Aktuelle Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen, dass die Entscheidungslösung durchaus funktioniert: Trotz des Organtransplantation-Skandals haben immer mehr Menschen einen Spenderausweis, inzwischen sind es 36 Prozent. Es wäre möglich, dass eine Widerspruchslösung dieses wachsende Vertrauen zerstört und damit vor allem Schaden anrichtet.