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Parasit erstmals beim Menschen Frau fischt 14 Würmer aus ihrem Auge

Ein vorsichtiger Griff ins juckende Auge - da hat eine junge Frau einen Wurm auf dem Finger. Nachdem sich 13 weitere herausgewunden haben, erfährt sie endlich, was für Parasiten in ihr nisten.

Zuerst ist da nur der Juckreiz im linken Auge. Abby Beckley, 26, Naturliebhaberin, reibt immer wieder daran, das Auge rötet sich und tränt. Und es kommt ein Fremdkörpergefühl hinzu. Nach einer Woche schließlich entdeckt Beckley etwas Seltsames, als sie ihr Auge am Unterlid nach unten zieht. Vorsichtig fasst sie mit den Fingern danach - und zieht einen winzigen, durchsichtigen Wurm heraus.

"Ich war total schockiert", zitiert CNN  die US-Amerikanerin, die gerade auf einer Schiffstour zum Lachsfischen in Alaska unterwegs gewesen war und zuvor auf einer Ranch in Oregon mit Pferden gearbeitet hatte. Sofort sucht sie Rat bei einem Arzt vor Ort, der hat Vergleichbares aber noch nie gesehen. Sie geht zum Optiker, der drei weitere Würmer aus ihrem Auge entfernt. Diese werden zur pathologischen Untersuchung geschickt und dann zur US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) weitergeleitet.

"Dann konnte ich sie plötzlich sehen, wie sie sich in meinem Auge bewegten. Es waren so viele", sagt Beckley. Beunruhigt fliegt die junge Frau nach Portland (US-Bundesstaat Oregon), wo sie an der Oregon Health and Science University von mehreren Ärzten untersucht wird. "Ich werde nie ihren Gesichtsausdruck vergessen", so Beckley zur CNN.

Von der Stallfliege zum Rind

Mehrmals geht sie daraufhin zur Spülung beim Augenarzt, allerdings kommt kein weiterer Wurm zum Vorschein. Beckley selbst aber zieht sich immer wieder Würmer aus ihrem Auge. Am Ende kommt sie innerhalb von 20 Tagen auf 14 Stück. Sie habe immer versucht, sich nicht ständig Fragen zu stellen wie: "Werden diese Würmer mein Gesicht lähmen, mein Gehirn infizieren oder meine Sehkraft beeinträchtigen?", sagt Beckley rückblickend auf diese ungewisse Zeit.

Denn die Diagnose von der CDC lässt auf sich warten. Zwar kommen die Wissenschaftler nach der Analyse der bis zu elf Millimeter langen Würmer zu dem Schluss, dass es sich um sogenannte Thelazia-Parasiten handelt, auch Augenwürmer genannt. "Wir vermuteten sofort, dass es sich um Thelazia californiensis handelt, weil es die einzige bekannte Spezies ist, die in den USA Menschen befällt", sagt Richard Bradbury von der CDC-Abteilung für parasitäre Erkrankungen und Malaria. Dann entdecken die Forscher aber Unterschiede zu dem bekannten Parasiten. "Wir mussten in der Literatur zurück bis ins Jahr 1928 gehen, um den Wurm als Thelazia gulosa zu identifizieren", so Bradbury.

Thelazia-Würmer befallen typischerweise die Augen von Säugetieren oder Vögeln. Thelazia gulosa kommt häufig bei Rindern vor und wird von Stallfliegen übertragen. Die Insekten ernähren sich von den Proteinen in der Tränenflüssigkeit und geben darüber die Parasiten in einem späten Larvenstadium ins Auge ihres Wirtes ab. Dort reifen diese aus und legen Eier. Sobald diese im frühen Larvenstadium angekommen sind, werden sie aus der Tränenflüssigkeit wieder von den Stallfliegen, ihrem Zwischenwirt, aufgenommen, reifen mehrere Tage in deren Darm heran, bis sie wieder ins Auge eines Rindes gelangen und der Kreislauf sich schließt.

Nicht schnell genug verscheucht

Dass Thelazia gulosa in den USA nicht nur Rinder, sondern auch Menschen als Wirt nutzt, sei bislang noch nicht in der Literatur beschrieben worden, schreiben Bradbury und vier weitere Kollegen im "American Journal of Tropical Medicine and Hygiene".  Abby Beckley sei damit die erste bekannte Patientin, heißt in dem jetzt veröffentlichten Fallbericht über die ungewöhnliche Patientin. Vermutlich habe sie sich die Parasiten auf der Ranch in nächster Nähe zu Rindern eingefangen. "Möglicherweise hat sie Fliegen aus ihrem Gesicht nicht schnell genug weggewischt", vermuten die Autoren.

Andere Augenwürmer sind vor allem in Afrika ein großes Problem: Die Flussblindheit etwa ist eine Wurmerkrankung, die von Kriebelmücken übertragen wird und bei jedem zehnten Betroffenen zur Erblindung führt. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind an der auch Onchozerkose genannten Infektionskrankheit 18 Millionen Menschen erkrankt, sie ist die zweithäufigste Ursache für Erblindung weltweit. Auch Loa loa, ein von Bremsen übertragener Fadenwurm, wandert durch den menschlichen Körper und nistet sich im Auge ein. Lebensgefährlich ist die Erkrankung nur selten, kann aber chronisch werden.

In München stellte sich vor einigen Jahren ebenfalls eine Patientin mit juckendem, gerötetem Auge in der Technischen Universität München vor, die einige Monate zuvor aus Sri Lanka zurückgekehrt war. In ihrem Auge fanden die Ärzte den zehn Zentimeter langen Fadenwurm Dirofilaria repens, der normalerweise Hunde und andere Fleischfresser befällt, Menschen aber nicht.

Beckley hat heute, rund zwei Jahre nach dem Befall mit den Augenwürmern, keine Symptome mehr, auf Medikamente mit dem Wirkstoff Ivermectin, der gegen Fadenwürmer und Krätzmilben wirksam ist, hat sie nach dem Rat der Ärzte verzichtet. Bleibende Schäden hat sie nicht, die Würmer können mitunter Narben auf der Hornhaut hinterlassen und sogar zur Erblindung führen. Nachdem sie alle 14 Würmer aus ihrem Auge entfernt hat, taucht kein weiterer mehr auf und der Juckreiz, der Tränenfluss und die Augenrötung sind komplett verschwunden.

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