Neuer Arzneimittelreport Pharmafirmen verdienen mit weniger Medikamenten mehr Geld

Medikamente: Krankenkassen investierten 2014 mehr als 35 Milliarden Euro
Foto: CorbisDie Bedingungen stimmen, eigentlich. Anders als noch vor wenigen Jahren dürfen Pharmafirmen in Deutschland nicht mehr diktieren, wie teuer ihre Medikamente sein sollen. Die Preise müssen sie mit den Krankenkassen aushandeln. Auch verordnen Ärzte zunehmend Generika statt teure Medikamente mit Patentschutz.
Trotzdem: Die Summe, die gesetzliche Krankenkassen für Medikamente ausgeben, steigt und steigt.
Im vergangenen Jahr zahlten die Kassen insgesamt 35,4 Milliarden Euro für verschreibungspflichtige Arzneimittel, berichtet ein Team um den Pharmakologen Ulrich Schwabe. Seit 1985 analysieren Gesundheitsökonomen für den Arzneiverordnungsreport jährlich die Rezepte von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung. So hoch wie 2014 war die errechnete Summe noch nie.
Im Vergleich zum Vorjahr - ebenfalls ein Rekordjahr - stiegen die Ausgaben für Fertigarzneimittel demnach noch einmal um 3,3 Milliarden Euro, ein Zuwachs von 9,6 Prozent. Nur auf eine alternde und medizinbedürftigere Gesellschaft lässt sich diese Entwicklung nicht zurückführen. Zwar verordneten Ärzte laut dem Report 2014 mehr Medikamente als im Vorjahr, allerdings nur ein Prozent.
Dies lässt nur einen Umkehrschluss zu: Die Deutschen schluckten im vergangenen Jahr kaum mehr, aber im Durchschnitt teurere Pillen, erhielten teurere Spritzen, Infusionen und Zäpfchen.
Eine Gesetzesänderung, eine Milliarde Euro Mehrkosten
Dass zwischen 2013 und 2014 eine so große Preislücke klafft, lässt sich zu einem großen Teil mit einer Gesetzesänderung erklären. Bis 2014 erhielten die Krankenkassen bei vielen Arzneimitteln einen gesetzlich vorgeschriebenen Rabatt von 16 Prozent.
Jetzt, da mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (kurz Amnog) der Pharmamarkt als reformiert gilt, wurde dieser Herstellerrabatt erst auf sechs und dann auf sieben Prozent heruntergeschraubt. Dies habe die Krankenkassen 2014 etwa eine Milliarde Euro mehr gekostet als 2013, schreiben Schwabe und Kollegen.
Ein großes Ausgabenplus dokumentierten die Forscher außerdem bei den noch durch ein Patent geschützten Arzneimitteln. Hier stiegen die Investitionen um 15,1 Prozent oder 1,12 Milliarden Euro. "Noch nie sind 46 neue Arzneimittel in einem Jahr auf den Markt gekommen", schreibt Schwabe in einem Statement. "Das sind doppelt so viele wie im Vorjahr."
Die Entwicklung innovativer Medikamente ist enorm teuer und kann weit mehr als zehn Jahre dauern. Damit sich dieser Aufwand für Pharmafirmen lohnt, werden neue Wirkstoffe 20 Jahre lang durch ein Patent geschützt. So lange darf sich niemand ohne eine Erlaubnis die Entdeckung zunutze machen. Läuft der Patentschutz ab, können auch andere Firmen Medikamente mit dem Wirkstoff auf den Markt bringen - die deutlich günstigeren Generika. Obwohl patentgeschützte Arzneimittel 2014 nur sieben Prozent aller Verordnungen ausmachen, summierten sich ihre Kosten auf einen Anteil von 44 Prozent am Gesamtmarkt.
Dabei trieb unter anderem ein neues Hepatitis-C-Medikament die Ausgaben in die Höhe: Eine Therapie mit dem neuen Wirkstoff Sofosbuvir (besser bekannt unter dem Handelsnamen Sovaldi) kostete 2014 mindestens 60.000 Euro, die Zahlungen für das Medikament summierten sich in dem Jahr auf 424 Millionen Euro netto. Ende 2014 begannen die Krankenkassen mit dem Hersteller der teuren Hepatitis-C-Pille Kosten-Nutzen-Verhandlungen, mittlerweile wurde der Preis pro Pille von 700 Euro auf 488 Euro gesenkt.
Erst seit 2011 Preisverhandlungen für Patentmedikamente
Verhandlungen dieser Art existieren in Deutschland erst seit 2011, bis dahin konnten Pharmafirmen die Preise für patentgeschützte Medikamente weitestgehend frei festlegen. Seit der Einführung des Amnogs hingegen müssen Unternehmen nachweisen, dass der Nutzen ihres neu zugelassenen Medikaments über den bereits etablierter Arzneimittel hinausgeht. Auf Basis dieser Bewertungen verhandeln die Firmen anschließend die Preise mit den gesetzlichen Krankenkassen.
Die dabei festgelegten Beträge gelten in der Regel jedoch erst ab dem 13. Monat, den ein Medikament auf dem Markt ist. Die ersten zwölf Monate können Unternehmen die Preise noch immer diktieren. Welche Folgen das hat, zeigt der Report anhand des Medikaments Tecfidera (Wirkstoff Dimethylfumarat). Das Mittel gegen Multiple Sklerose schnitt bei seiner Bewertung nicht besser ab als etablierte Medikamente. Bei den Verhandlungen gelang es den Krankenkassen deshalb, die Kosten um 42,3 Prozent zu senken - von einem Einführungspreis von 2171,65 Euro auf einen Erstattungsbeitrag von 1252,44 Euro.
Dennoch mussten die Krankenkassen für das Mittel 2014 netto insgesamt 254 Millionen Euro bezahlen. Hätte der ausgehandelte, tiefe Preis auch rückwirkend gegolten, wären es nur knapp 150 Millionen Euro gewesen, schreiben die Forscher.
Auch sonst sehen Schwabe und seine Kollegen noch erhebliche Einsparpotenziale. So wurden die Nutzen-Bewertungen und Preisverhandlungen für Medikamente ausgesetzt, die schon vor Einführung des Amnogs 2011 auf den Markt kamen. Für sie gelten zum Großteil weiterhin die unverhandelten Preise der Industrie. Die offizielle Begründung dafür - hoher administrativer Aufwand der Pharmafirmen - zeige das pharmafreundliche Klima der großen Koalition, kritisieren die Autoren in ihrem Report.
Immerhin: Die Daten des Reports zeigen, dass von den 250 umsatzstärksten, noch patentierten Arzneimitteln 55 nach 2011 auf den Markt gekommen sind und bereits eine Nutzen-Bewertung durchlaufen haben. Für 30 dieser 55 Arzneimittel bezahlen Kunden in Deutschland weniger als in den Niederlanden - obwohl dort Arzneimittel im Schnitt billiger sind.
Es bleibt die Hoffnung, dass Scheininnovationen in Zukunft nicht mehr kosten, als sie wert sind.