Privatpatienten Die Cash-Cows des Gesundheitssystems

Gesetzlich Versicherten werden individuelle Gesundheitsleistungen aufgeschwatzt, privat Versicherte mit unnötigen Untersuchungen und Behandlungen traktiert. Beides, weil es sich lohnt für die Ärzte. Vielen Medizinern geht es mehr ums Geld als um das Wohl der Patienten, meint Frederik Jötten.
Augenärztliche Untersuchung: Nicht jeder Test ist immer nachvollziehbar

Augenärztliche Untersuchung: Nicht jeder Test ist immer nachvollziehbar

Foto: ASSOCIATED PRESS

Meine Augenärztin schickt ihre Rechnung immer circa ein Jahr nach der Behandlung - ich nehme an, sie hofft, dass ich dann vergessen habe, weshalb ich bei ihr war und was sie gemacht hat. Diesmal erinnerte ich mich allerdings noch gut - ich wollte einfach ein Rezept für eine neue Brille. Es zeigte sich, dass die Sehstärke unverändert geblieben war seit meinem letzten Besuch. Die Rechnung, die elf Monatespäter kam, belief sich auf 501,13 Euro. Wohlgemerkt: Einfach nur die Untersuchung. Brillengestell und Gläser waren nicht dabei.

Die Praxis meiner Augenärztin funktioniert so: Schon am Tresen steht das Messgerät für den Augeninnendruck, Stichwort Glaukom-Vorsorge. Ich habe erlebt, wie die Sprechstundenhilfe zu einem Kassenpatienten im Rentenalter, der nur schlecht Deutsch sprach, sagte: "Sie sollten diese Vorsorgeuntersuchung unbedingt machen - der grüne Star kann blind machen." Wer fragt da schon, ob die Untersuchung sinnvoll ist? Der Mann wunderte sich allerdings, warum er sie selbst bezahlen solle - zu Recht, denn sie ist als Mittel zur Vorsorge höchst umstritten.

Ungefragt wird vorgesorgt

Für mich als Privatpatient war es klar, dass ich weder an diesem Gerät noch an irgendeinem anderen in der Praxis vorbeikommen würde. Ich wurde auch nicht gefragt, ob ich diese oder jene Untersuchung machen lassen möchte, das ist nicht üblich bei uns Cash-Cows des Gesundheitssystems. Wir werden ungefragt gemolken.

Die Sprechstundehilfe geleitete mich durch einen Raum, in dem ich hintereinander in verschiedene Gucklöcher schaute. Ein Jahr zuvor hatte ich schon genau das gleiche Programm über mich ergehen lassen. Als ich fragte, ob das alles schon wieder sein müsse, hieß es: "Wir müssen das mit den Werten vom letzten Mal vergleichen - Glaukom-Vorsorge, sehr wichtig." Dann wieder die Geschichte, dass diese Erkrankung blind machen könne. Also, okay, auf Erblindung habe ich natürlich auch keine Lust. Ich mache alles mit, am Ende wieder kein Befund.

Erst auf der Rechnung lese ich dann, dass ich unter anderem in den Heidelberger Retinatomografen geschaut habe, dass eine Elektroretinografische Untersuchung und eine Gonioskopie gemacht worden waren. Ich fragte später Christian Ohrloff, Professor für Augenheilkunde an der Uniklinik Frankfurt, ob das notwendig war. Er klang überrascht. "Bei einem Patienten Mitte 30 ohne Verdacht ist das überhaupt nicht notwendig", sagte er. "Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Menschen zu Glaukom-Patienten gemacht werden, damit man solche Untersuchungen machen kann. Da werden die Patienten zur Geldabschöpfungsquelle."

Das größte Blutbild allerzeiten

Anderes Beispiel: Ich hatte schon lange Rückenschmerzen, und es stand der Verdacht im Raum, dass diese eventuell eine entzündliche Ursache haben könnten. Die Rheumatologin empfahl, die Entzündungswerte bei akuten Schmerzen beim Hausarzt überprüfen zu lassen. Das sagte ich dem Arzt, er nickte freundlich, ließ mir Blut abnehmen. Eine Woche später erläuterte er, dass die Entzündungswerte nicht erhöht waren. Ich fühlte mich gut - bis die Rechnung kam. Besser gesagt waren es zwei: eine von ihm über 243,56 Euro und eine vom Labor über 311,26 Euro! Statt wie vereinbart die Entzündungswerte zu kontrollieren (Summe wären 17 Euro gewesen), hatte er die absurdesten Antikörper, zum Beispiel gegen meine Erbsubstanz und gegen verschiedene seltene Bakterienspezies getestet. Wo wird einem sonst einfach etwas angedreht zu einem solchen Preis, ohne dass man gefragt wird, ob man einverstanden ist?

Besonders beliebt ist unter Ärzte auch, die Umstände der Behandlung extrem zu übertreiben, weil man dann mehr abrechnen kann. Auffällig wird das allerdings, wenn da immer Dasselbe steht, wie bei dem osteopathischen Arzt, bei dem ich mit meinen Rückenschmerzen war: "Deutlich erhöhter Zeitaufwand bei massivster Verrenkung oder Blockierung". Es stand auch so auf der Rechnung zu einem Termin, zu dem ich einmal vollkommen ohne Schmerzen und Probleme in seine Praxis gekommen war (man hatte die Termine lange im Voraus machen müssen). Pro Termin berechnete er damit übrigens immer exakt 178,43 Euro.

Die Praxisgebühr bei den gesetzlich Versicherten wurde abgeschafft, unter anderem, weil sie unpopulär war. Viele Privatversicherte haben aber eine Selbstbeteiligung bei ihrer Behandlung, bei mir sind es zum Beispiel immer zehn Prozent der Rechungssumme. Das heißt, alleine bei den erwähnten Rechnungen wurden für mich 120 Euro "Praxisgebühr" fällig. Ganz zu schweigen davon, dass die Beiträge zur privaten Krankenversicherung jährlich ansteigen - eben wegen dieser unverschämten Abzocke beim Arzt.

ÜBERHÖHTE RECHNUNGEN BEIM ARZT - FRAGEN AN DEN EXPERTEN

Muss ein Arzt den Patienten im Voraus über Kosten informieren?Gibt es eine systematische Überversorgung von Privatpatienten?Was kann man gegen offensichtlich überhöhte Rechnungen tun?

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