Ein rätselhafter Patient Der Krebs, der keiner ist

CT-Bild des Patienten: In der Mitte unten ist weiß ein Wirbelkörper zu sehen, links und rechts davon die Nieren. Der Pfeil zeigt auf eine Raumforderung in der Bauchspeicheldrüse, die hier wie ein umgekehrtes V aussieht
Foto: BMJ Case ReportEs sind die Farben, die dem Mann Angst machen. Seine Haut ist gelb, der Urin dunkel, der Stuhl hell. Etwas geschieht mit seinem Körper, aber Schmerzen hat der 46-Jährige nicht. Der gebürtige Inder, der seit 14 Jahren in Großbritannien lebt, stellt sich in einer Klinik der Pennine Acute Trust Hospitals in Manchester vor.
Bei der Untersuchung finden die Ärzte außer der gelb gefärbten Haut nichts Auffälliges, wie sie im "British Medical Journal" berichten. Der Mann, der regelmäßig nach Indien reist, aber in Großbritannien arbeitet, nimmt keine Medikamente, schwere Krankheiten hat er nie gehabt. Die Mediziner nehmen ihm Blut ab und stellen bei den Analysen fest, dass seine Leber- und Gallenwerte stark erhöht sind. Eine HIV-Infektion liegt nicht vor.
Die Ärzte um den Chirurgen Christopher Jon Naisbitt haben bereits einen niederschmetternden Verdacht: Sie vermuten einen bösartigen Tumor in der Bauchspeicheldrüse des Mannes. Diese Tumore wachsen meist schnell und aggressiv, viele können nicht mehr operiert werden, weil sie schon so groß sind, dass sie in andere Organe wie den Darm oder die Aorta hineingewachsen sind. Die Überlebenschancen nach fünf Jahren sind gering.
Eine Operation ist noch möglich
Computertomografie-Bilder und eine Ultraschalluntersuchung bestätigen die Ärzte in ihrer Annahme: In der Bauchspeicheldrüse ist eine pfirsichkerngroße Raumforderung zu erkennen. Diese hat die nahe liegenden Gefäße noch nicht infiltriert und könnte daher noch operiert werden. Daneben sind die Gallengänge erweitert, was dafür spricht, dass sich die Gallenflüssigkeit staut. Alles spricht für einen Pankreastumor.
Der Mann stimmt einer Operation zu. Die Chirurgen entfernen die Bauchspeicheldrüse, mehrere vergrößerte Lymphknoten und den in unmittelbarer Nähe liegenden Zwölffingerdarm. Sie suchen nach weiteren Wucherungen im Bauchraum, in den Lymphknoten und in der Leber, aber sie finden keine. Sie nähen den Mann wieder zu, er muss sich jetzt von dem Eingriff erholen. Den Tumor schicken sie zur Beurteilung in die Pathologie.
Das Ergebnis stößt die Ärzte vor den Kopf. Den Verdacht, dass es sich um einen bösartigen Tumor handelt, können die Pathologen nämlich nicht bestätigen. Stattdessen liefern sie die richtige Diagnose: Der Patient leidet unter einer seltenen Form der Tuberkulose, die nur die Bauchspeicheldrüse befällt.
Eine Operation wäre für seine Genesung gar nicht notwendig gewesen. Der Mann braucht eine Kombination von vier Antibiotika, die die Tuberkulosebakterien abtöten. Die Ärzte beginnen sofort mit der Therapie, die er für zwölf Tage zunächst als Infusionen bekommt.
Tuberkulose
Das Mycobacterium tuberculosis hat eine Stäbchenform. Es wächst relativ langsam, ist säurefest und zählt zu der Familie der Mykobakterien, die unter anderem Lepra und Rindertuberkulose auslösen. Das Mycobacterium tuberculosis dringt vor allem durch eine Tröpfcheninfektion über die Atemwege, die Schleimhäute und die Lungenbläschen in Blut und Organe des Menschen ein.
Tuberkulose ist eine chronische Infektionskrankheit mit weltweiter Verbreitung. Erkrankt der Infizierte direkt nach der Ansteckung, spricht man von Primärtuberkulose. Häufig kapseln sich die Erreger ab (geschlossene Tbc) oder brechen in das Bronchialsystem ein (offene Tbc). Fieber, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust und Husten sind typische Symptome.
Bei etwa jedem Zehnten bricht die Erkrankung erst zu einem späteren Zeitpunkt aus, dann führen oft blutiger Auswurf und Husten zur Diagnose. Der Betroffene ist dann hoch ansteckend. Die Bakterien können später auch Organe wie die Haut, Knochen, Darm oder Gehirn befallen.
Für die Therapie der unkomplizierten Tuberkulose setzen Ärzte normalerweise zwei Monate lang vier Antibiotika ein (Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid). Über weitere vier Monate folgt eine Zweierkombination aus Isoniazid und Rifampicin.
Menschen mit geschwächtem Immunsystem sind besonders anfällig für das Mycobacterium tuberculosis. Eine Tuberkulose-Infektion ist daher die häufigste Todesursache bei HIV-Infizierten in Afrika. Sie haben ein 20- bis 30-fach größeres Risiko, an Tuberkulose zu erkranken als HIV-Negative.
Nach ihrer folgenschweren Fehldiagnose suchen die Ärzte in der Literatur nach Informationen über die seltene Ausprägung der Tuberkulose. Sie finden fast ausschließlich Fallberichte und entscheiden sich, ihren rätselhaften Patienten der kleinen Serie hinzuzufügen. Im "British Medical Journal" schreiben sie: "An die seltene Viszeraltuberkulose muss gedacht werden, wenn Patienten mit Veränderungen der Bauchspeicheldrüse in Kontakt mit Tuberkulosekranken gekommen sind."
Zudem unterstreichen die Ärzte das Dilemma, dem sie auch dann begegnet wären, wenn sie an eine Tuberkulose gedacht hätten: Die Infektionskrankheit sicher von Krebs zu unterscheiden, ist schwierig. Denn eine Gewebeentnahme aus der Wucherung birgt Risiken. Bei einer Biopsie können bösartige Krebszellen im Bauchraum verstreut werden und an anderen Stellen weiterwachsen. Außerdem kann es sein, dass sich in der entnommenen Probe zufälligerweise gar keine Tumorzellen befinden und man dann fälschlicherweise Entwarnung gibt. Das Ziel, so die Autoren, müsse immer sein, den Pankreastumor, den man noch operieren könnte, keinesfalls zu übersehen.
Nach vier Monaten geheilt
Der Mann erholt sich langsam von dem Eingriff. Allerdings passiert die Nahrung nun seinen Darm anders als davor, denn sowohl Bauchspeicheldrüse als auch Zwölffingerdarm spielen eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Verdauungsenzymen und der Resorption von Vitaminen und Fetten. Wie das den Patienten möglicherweise einschränkt, berichten Naisbitt und seine Kollegen allerdings nicht.
Zwölf Tage nach der OP kann der 46-Jährige damit beginnen, eine Kombination von Antibiotika zu schlucken. Vier Wochen später darf er nach Hause gehen, nach insgesamt vier Monaten kann er die Therapie ganz beenden. Zu diesem Zeitpunkt geht es ihm wieder gut.
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