Rückenschmerzen "Bewegung ist alles"

Rückenprobleme zählen in Deutschland zu den Volkskrankheiten, Büroarbeiter leiden vor allem unter dem stundenlangen Sitzen. Der Experte für Arbeitsmedizin Sascha Wischniewski erklärt, wie sich mit speziellen Stühlen und Eigeninitiative der Arbeitsplatz gesünder gestalten lässt.
Fitness im Büro: Die Sitzposition so oft wie möglich unterbrechen

Fitness im Büro: Die Sitzposition so oft wie möglich unterbrechen

Foto: Corbis

SPIEGEL ONLINE: Herr Wischniewski - Stichwort menschengerechter Arbeitsplatz. Ist das Büro von heute menschengerecht?

Wischniewski: Wenn man arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse einhält, kann man an einem Bildschirmarbeitsplatz gut arbeiten.

SPIEGEL ONLINE: Nach heutigem Erkenntnisstand ist aber das viele Sitzen an sich ein Problem. Es ist schlecht für den Rücken, die Leute bekommen Bandscheibenprobleme und vieles Sitzen erhöht die Mortalität. Wie kann man das lösen?

ZUR PERSON

Sascha Wischniewski ist Leiter der Gruppe "Human Factors, Ergonomie" bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Er beschäftigt sich mit der menschengerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen und ergonomischen Arbeitsmitteln.

Wischniewski: Starres Sitzen ist ganz schlecht, Bewegung ist alles. Die kann man mit verschiedenen Mitteln erreichen: Zum einen mit einem ergonomischen Bürostuhl, der mir ermöglicht, meine Sitzposition zu variieren, der Armlehnen hat auf denen ich mich abstützen kann.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von Sitzkissen?

Wischniewski: Ergonomische Bürostühle bieten so viele Verstellmöglichkeiten - eigentlich braucht man dann keine Sitzkissen. Und einen schlechten Stuhl sollten Sie nicht mit einem Kissen kompensieren, sondern einen besseren Stuhl fordern. Außerdem: Es geht ja auch nicht darum, ständig gerade zu sitzen, wie das zum Beispiel Keilkissen forcieren können.

SPIEGEL ONLINE: Manche Leute schwören auf Sitzbälle...

Wischniewski: Die sind als Arbeitsstuhl ungeeignet . Sie haben keine Lehne, keine Armstützen, man kann hintenüberfallen.

SPIEGEL ONLINE: Worauf muss ich noch achten?

Wischniewski: Ich muss mir den Arbeitsplatz richtig einrichten und muss dafür rechte Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel sowie Ober- und Unterarm haben. Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, die Tischhöhe zu variieren, dann muss ich prüfen, ob ich meine Arbeitsabläufe anpassen kann - zum Beispiel, indem ich das Telefon weiter wegstelle, oder es auf ein Stehpult stelle. Oder den Drucker woanders hinstellen, damit ich aufstehen und mich bewegen muss. Man muss die Bewegung bewusst fördern.

SPIEGEL ONLINE: Aber wenn das Sitzen an sich ein Problem ist, müsste ein höhenverstellbarer Tisch doch die Ideallösung sein.

Wischniewski: Ein höhenverstellbarer Tisch alleine ist nicht die Lösung, wenn man nicht bewusst seine Möglichkeiten nutzt. Die Dynamik ist wichtig. Und die kann auch ein Stehpult bieten.

SPIEGEL ONLINE: Das alles erfordert relativ viel Eigeninitiative des Arbeitnehmers. Aber wer hat hier die Bringschuld?

Wischniewski: Ganz klar der Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz, insbesondere durch die Bildschirmarbeitsverordnung. Der Gesetzgeber schreibt klar vor, dass ein Bildschirmarbeitsplatz ausreichend Raum für eine ergonomische Arbeitshaltung, wechselnde Arbeitshaltungen und Bewegung vorsehen muss. Wie Arbeitgeber das mit den Arbeitnehmern zusammen gestalten, wird offen gelassen.

SPIEGEL ONLINE: In ihren Empfehlungen spricht sich die BAuA  schon seit Jahren für höhenverstellbare Tische am Arbeitsplatz aus. Warum sind sie nicht schon längst Standard?

Wischniewski: Höhenverstellbare Tische sind eine Option. Aber wie gesagt: Der Tisch alleine löst das Problem nicht. Dann müsste man auch seine Nutzung einfordern.

SPIEGEL ONLINE: Wenn ich merke, dass ich Rückenschmerzen habe und mir das Sitzen nicht guttut, meine Bewegungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz aber beschränkt sind: Wie kann ich so einen Tisch bekommen?

Wischniewski: Ansprechpartner in solch einem Fall sind der Betriebsarzt und der Zuständige für Arbeitssicherheit im Unternehmen. Die werden dann individuell prüfen, wie man das Problem löst.

SPIEGEL ONLINE: Wenn man einen höhenverstellbaren Tisch hat - ist es denn dann besser, möglichst lange zu stehen, oder ist es besser, abwechselnd zu sitzen und zu stehen?

Wischniewski: Den ganzen Tag nur zu stehen, ist auch nicht gut. Wichtig sind Wechsel.

SPIEGEL ONLINE: In den USA installieren sich manche Leute nun auch Laufbänder unter ihren Stehtisch. Da hat man doch die Bewegung, die Sie fordern - oder nicht?

Wischniewski: Ich kenne diese Systeme nicht. Aber ich bin sehr skeptisch, ob das sinnvoll ist. Man hat direkt die Tischkante vor sich, auf die man fallen kann. Und außerdem: Kann ich mich wirklich auf beides gleichzeitig konzentrieren - Laufen und Bildschirmarbeit? Da habe ich meine Zweifel.

Das Interview führte Jens Lubbadeh.
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