

Mythos oder Medizin Schlafforschung – gibt es Eulen und Lerchen?
Geht es um guten Schlaf, können die Menschen eine Reihe von Tipps herunterbeten. Das Bett sollte nur zum Schlafen da sein, zu warm darf es nicht sein, zu kalt natürlich auch nicht, all das verschlechtert die Schlafhygiene. Was vielen weniger bewusst ist: Wichtig ist auch, zur richtigen Zeit zu schlafen.
Wie zermürbend die Nächte sonst sein können, zeigt der Extremfall einer Frau, die in München das Team um Schlafmediziner Till Roenneberg um Hilfe bat. Miserabel sei ihr Schlaf, berichtete sie. Abends sei sie immer extrem müde, dafür wache sie mitten in der Nacht wieder auf.
Als die Mediziner die Nächte der Frau analysierten, diagnostizierten sie jedoch kein Schlafproblem, sondern eins mit dem Rhythmus unserer Gesellschaft.
"Die Patientin gehört zu den extremen Frühtypen", schildert Roenneberg den Fall auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin in Hamburg. "Sie müsste eigentlich um acht ins Bett gehen und um vier wieder aufstehen." Obwohl dieser Takt unserer Gesellschaft zuwiderläuft, in der in Teilen noch immer ab 20:15 Uhr der Fernsehabend beginnt, empfand die Frau die Botschaft als Erleichterung.
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"Sie weiß seitdem, dass sie nicht krank ist", sagt Roenneberg, der an der LMU München die Chronobiologie des Menschen erforscht. "Und sie hat ihre Schlafqualität seitdem selbst in der Hand." Kommt ein spannender Film, kann sie bewusst einen Teil ihres Schlafes abknapsen. Steht ihr ein langweiliger Abend bevor, legt sie sich um acht ins Bett. Nur eins ist nicht möglich: die innere Uhr umzustellen.
Lerchen, Eulen und viele Tauben
Dass sich die Gesellschaft in Früh- und Spättypen einteilen lässt, in Lerchen und Eulen, ist unter Schlafmedizinern genauso anerkannt wie die Tatsache, dass manche Menschen Schuhgröße 36 tragen und andere Schuhgröße 46. "Wir sollten allerdings weg vom bimodalen Denken", sagt Roenneberg. "Extreme Lerchen und extreme Eulen sind so selten wie Riesen und Zwerge. Daneben gibt es noch einen Mitteltyp, ich nenne sie die Tauben. Und das sind viele."
Wie unsere innere Uhr tickt, ist in den Genen gespeichert. Sie sorgen dafür, dass sich bei Menschen, Tieren und sogar Pflanzen viele Abläufe nach einem Tag-Nacht-Rhythmus richten. Geht die Sonne unter, dimmen Pflanzen ihre Fotosynthese-Apparate, um Energie zu sparen. Menschen wiederum nutzen die Nacht, um die Fett- und Zuckerspeicher ihrer Muskeln wieder aufzufüllen.
Doch es gibt ein Problem. Unsere inneren Uhren sind selten genau auf 24 Stunden getaktet. Bei manchen Menschen sind die Tage etwas kürzer, bei anderen etwas länger, wie Jürgen Aschoff, Leiter des Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie im bayerischen Andechs, bereits in den Sechzigerjahren bei Versuchen in einem Bunker feststellte.
Tagesrhythmus: Versuche im Wehrmachtsbunker
Um herauszufinden, ob Menschen eine innere Uhr besitzen, schickte Aschoff 1963 mehrere Freiwillige für drei bis vier Wochen in einen schalldichten Wehrmachtsbunker. Ohne Tageslicht, Uhr, Wecker, Radio oder Fernseher. Aschoff wollte sehen, wann der Tag beginnt und endet, wenn er ausschließlich vom Körper gesteuert wird.
Die Ergebnisse waren vielversprechend - die Bedingungen in dem Kriegsbunker aber so widrig, dass Aschoff ein Jahr später einen Forschungsbunker bauen ließ. Dort gab es ein Wohn-Schlafzimmer, eine Dusche, Toilette, eine kleine Küche, alles umgeben von einem Meter dicken Wänden. Druckmesser im Boden und Bett erfassten die Aktivität der Bewohner.

Überwachung: Bei den "Bunker-Versuchen" in Andechs registrierten Wissenschaftler mithilfe zahlreicher Messinstrumente die Aktivitäten von Probanden, die freiwillig vollkommen abgeschirmt von der Außenwelt lebten.
Foto: MPG/Wolfgang FilserIn den folgenden 20 Jahren zogen rund 300 Freiwillige für eine Zeit lang ein. Viele waren Studenten, die sich auf Prüfungen vorbereiteten. Ihr Leben folgte auch ohne Uhr und Tageslicht einem strikten Rhythmus. Dieser dauerte allerdings häufig etwas länger als 24 Stunden, bei manchen auch etwas kürzer. Zum Teil summierten sich diese Abweichungen so sehr, dass die Teilnehmer nach vier Wochen einem um mehrere Stunden oder sogar mehrere Tage verschobenen Rhythmus folgten.
Die Wirkung von Licht: Beim Campen werden wir alle gleich
Natürlicherweise verhindert das Tageslicht eine solche extreme Verschiebung. Es ist unser wichtigster Taktgeber. In den Neunzigerjahren entdeckten Forscher, dass tief im Augapfel neben Stäbchen und Zapfen eine dritte Form von Sinneszellen existiert: die fotosensitiven Ganglienzellen.
Zum Sehen tragen diese nichts bei. Ihre Aufgabe ist es, Helligkeit zu erkennen und diese Informationen der Uhr im Gehirn zu melden. Dabei reagieren sie stark auf blaues Licht, das vor allem im Tageslicht vorkommt. Je mehr Tageslicht ein Mensch ausgesetzt ist, desto besser gleicht sein Körper die Ungenauigkeiten der inneren Uhr aus, und desto weniger zeigt sich, ob er eine Lerche oder eine Eule ist.
"Wenn man Menschen aus der Stadt ohne künstliches Licht zum Campen schickt, nähern sich ihre Rhythmen an", sagt Roenneberg. "Die meisten Menschen werden dann etwas früher wach und auch früher müde. Nur bei den krassen Frühtypen verschiebt sich der Rhythmus nach hinten."
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In unserer Gesellschaft profitiert allerdings fast niemand vom wichtigen Taktgeber. Wir haben das Tageslicht und mit ihm die intensive blaue Strahlung aus unseren Lebensräumen und damit aus dem Morgen verbannt. Die inneren Uhren kalibrieren sich zu Tagesbeginn nicht neu. Dafür registrieren die Zellen in unserem Augapfel am Abend vermehrt künstliches Licht und melden dem Gehirn, dass noch keine Schlafenszeit ist.
"Das hat dazu geführt, dass unsere inneren Uhren heute sehr viel später dran sind, als sie es früher einmal waren", sagt Roenneberg.
Leben mit Wecker: Der soziale Jetlag unserer Bevölkerung
Schlafmediziner nennen die Folgen einen sozialen Jetlag. Die meisten Menschen haben sich eine Wochenstruktur angewöhnt, bei der sie unter der Woche mit einem Wecker aufstehen müssen und nur am Wochenende, falls es die Familie zulässt, ausschlafen. Nur wenige Frühtypen haben Glück, sie passen ins Muster. "Die meisten hinterfragen das nicht mal, dabei ist jede Nacht, die mit einem Wecker endet, eine nicht zu Ende geschlafene Nacht", sagt Roenneberg.
Zu den Leidtragenden zählen vor allem die Eulen unter den Schülern, da sich während der Pubertät alle inneren Uhren ein Stück nach hinten verschieben. Für eine Studie befragten Forscher der Universität Tübingen 132 Abiturienten aus Baden-Württemberg zu ihrem Chronotyp und ihren Abinoten. Die Spättypen hatten im Schnitt schlechtere Zensuren als die Frühtypen, mehrere weitere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
Obwohl Forscher seit Jahrzehnten wissen, dass jeder Mensch etwas anders tickt, zwingt die Gesellschaft noch immer allen einen ähnlichen, oft viel zu frühen Rhythmus auf. Mit erheblichen Folgen: "Wer dauerhaft zur falschen Zeit schläft, wird krank", sagt Roenneberg. "Ich vergleiche das gern mit Sicherheitsschuhen, die es nur in einer Größe gibt. Wir quetschen alle rein und wundern uns darüber, dass manche Blasen bekommen."
Fazit: Es gibt nicht nur Frühaufsteher und Nachteulen, sondern auch einen Mitteltyp: die Tauben. Zu welcher Gruppe man gehört, bestimmen die Gene. Zudem verändert Licht den Rhythmus. Wer seine innere Uhr dauerhaft ignoriert, wird krank. Mediziner sprechen von einem sozialen Jetlag.