Studie
Viele Obdachlose leiden an psychischen Störungen
Depressionen, Alkoholsucht, schizophrene Erkrankungen: Obdachlose werden überdurchschnittlich oft von psychischen Problemen geplagt. Das belegt eine aktuelle Erhebung aus Bayern. Forscher fordern bessere Hilfsangebote für die Betroffenen.
Obdachloser in München (Archivbild): Viele bräuchten psychiatrische Hilfe
Foto: Tobias Hase/ dpa
München - Schätzungsweise 25.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße, insgesamt haben wohl um die 300.000 keine eigene Wohnung, berichtet die TU München. Eine aktuelle Untersuchung des Klinikums rechts der Isar zeigt: Betroffen sind vor allem Menschen, die aus verschiedenen Gründen schon vor dem Verlust ihrer Wohnung besonders labil waren. 55 Prozent der für die sogenannte Seewolf-Studie befragten Wohnungslosen leiden demnach an einer Persönlichkeitsstörung. Andere psychische Probleme, darunter Angststörungen, Depressionen und Süchte, kämen ebenfalls überdurchschnittlich oft vor.
Die Forscher haben eine repräsentative Stichprobe von 232 Menschen befragt, die in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Großraum München untergekommen waren. Rund 80 Prozent waren Männer, das Durchschnittsalter lag bei 48 Jahren.
Die Befragten gaben Auskunft über ihre Herkunft und Familie, sie wurden körperlich und psychologisch untersucht. Insgesamt gab es drei Untersuchungstermine, die zusammen fünf Stunden dauerten.
Übergeordnetes Ziel der Studie sei es, zu analysieren, inwieweit die aktuellen Versorgungsstrukturen den Bedürfnissen wohnungsloser Menschen gerecht werden, beziehungsweise welche Maßnahmen wünschenswert wären, um die Betreuung zu verbessern, schreiben die Wissenschaftler.
Einige Ergebnisse der Befragung:
13 Prozent waren schon als Kinder oder Jugendliche in psychiatrischer Behandlung. 42 Prozent gaben an, in dieser Zeit bereits auffällig gewesen zu sein.
Bei 14 Prozent diagnostizierten die Forscher schizophrene Erkrankungen. Der Durchschnittswert in der Bevölkerung liegt bei einem Prozent.
Ebenfalls bei 14 Prozent diagnostizierten sie eine Borderline-Störung.
80 Prozent waren abhängig, meistens von Alkohol. Dieser werde aber häufig mit der Absicht getrunken, mit den Auswirkungen der psychischen Erkrankungen besser zurechtzukommen, heißt es in der Studie.
16 Prozent hatten schon versucht, sich das Leben zu nehmen.
Bei drei Vierteln der Befragten sahen die Wissenschaftler aktuellen Bedarf für eine psychiatrische Behandlung; eine entsprechende Therapie erhalten viele jedoch nicht. 29 Prozent nehmen Psychopharmaka. 27 Prozent sehen demnach allerdings nicht ein, dass sie krank sind.
Die Studienautoren sehen zwei Konsequenzen, die die Erhebung nach sich ziehen sollte: Zum einen sollte die psychiatrische Betreuung der Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe weiter verbessert werden.
Zum anderen könnte für viele psychisch schwer Kranke, die durch das soziale Netz gefallen sind, aber etwas anderes wichtiger sein: eine Wohnform, die ihnen zunächst einmal Schutzraum biete, anstatt sie mit einer forcierten Therapie zu konfrontieren. Statt zeitnaher Heilung sollte es dort um langfristige Fürsorge und Unterstützung gehen, meinen die Forscher.