Gesundheitsrisiko Tauben Das Geschäft mit der Angst

Stadttauben sind als Krankheitsüberträger gefürchtet, Forscher halten sie jedoch für harmlos. Schüren Schädlingsbekämpfer die Angst vor den Vögeln, um mehr Geld zu verdienen?
Von Maria Berentzen
Taube in Esslingen (Archivbild)

Taube in Esslingen (Archivbild)

Foto: imago/ Horst Rudel

Da war der Mann, der sich aus Angst vor Krankheiten nicht traute, eine junge Taube zu retten, die vor seinen Augen in einem Fluss ertrank. Da war der Polizist, der einem Mann im Anzug zurief, eine verletzte Taube sofort fallen zu lassen, um sich nicht bei ihr anzustecken. Inge Prestele kennt viele solcher Fälle. Sie glaubt, dass Tauben ein schlechtes Image verpasst wird - weil sich damit Geld verdienen lässt.

Gerade hat die Zweite Vorsitzende des Vereins Hamburger Stadttauben  mit ihren Kollegen deshalb Beschwerde beim Deutschen Werberat, beim Verbraucherschutzverein gegen unlauteren Wettbewerb und beim Bundesverband der Verbraucherzentrale eingelegt. Ihr Gegner: Schädlingsbekämpfungsunternehmen, in diesem Fall der Marktführer, das Unternehmen Rentokil aus Lingen.

Viele Menschen befürchten, dass Tauben gefährliche Krankheiten übertragen. "Einige ekeln sich regelrecht vor den Tieren", sagt Prestele. Sie glaubt an eine Masche: "Schädlingsbekämpfungsunternehmen schüren massiv die Angst vor Tauben." Das entbehre oft jeder sachlichen Grundlage. "Und je schlechter ein Tier dargestellt wird, desto härter wird es bekämpft."

Typhus, Salmonellen und Listeriose?

Die Vereinsmitglieder hoffen, dass Rentokil diverse seiner Behauptungen zu Krankheiten durch Tauben streichen muss - und dass andere Schädlingsbekämpfer dann nachziehen müssen. Der Hamburger Tierschutzverein und Vogelexperten unterstützen die Beschwerde.

Doch wie gefährlich sind Tauben wirklich? Auf seiner Internetseite  führt Rentokil elf teils gefährliche Krankheiten auf, die Tauben übertragen sollen. Darunter beispielsweise die sogenannte Papageienkrankheit (Ornithose), die zu "tödlichen Lungenentzündungen" führen soll.

Genannt wird zudem Trichomoniasis, eine Infektion mit Einzellern, die beim Menschen Geschlechtskrankheiten auslöst, außerdem unter anderem Typhus, Salmonellen und Listeriose, die zu einer Entzündung des Gehirns führen kann. Das klingt nicht gut für die Tauben und auch nicht für Menschen.

Tauben in Frankfurt am Main (Hessen)

Tauben in Frankfurt am Main (Hessen)

Foto: Frank Rumpenhorst/ picture alliance / Frank Rumpenhorst/dpa

Norbert Kummerfeld hat mehr als 20 Jahre zu Stadttauben geforscht, er war Fachtierarzt für Vögel an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. "Was dort auf der Internetseite behauptet wird, ist wirklich Quatsch", sagt er.

10 bis 32 Infektionen pro Jahr

Beispiel Trichomoniasis: Bei Menschen ist das eine Geschlechtskrankheit, die von Einzellern ausgelöst wird, die sich beispielsweise in der Vagina einnisten. Zwar gebe es auch bei Tauben eine Krankheit namens Trichomoniasis. Dabei handelt es sich aber laut Kummerfeld um einen ganz anderen Erregertyp, der lediglich den Kropf der Tiere befällt - und mit dem Menschen sich gar nicht anstecken können. Kummerfeld bezeichnet die Seite der Firma deshalb als "schludrig".

Zweites Beispiel Papageienkrankheit: Die Krankheit, die auch als Chlamydiose/Ornithose bezeichnet wird, ist tatsächlich gefährlich, weil sie schwere Lungenentzündungen auslösen kann. Doch sie ist sehr selten: Laut Robert Koch-Institut (RKI) gab es in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland jährlich zwischen 10 und 32 Infektionen bei Menschen, meistens bei Vogelzüchtern, nur selten tödlich.

"Schwerwiegende gesundheitliche Gefahren"

Keine dieser Infektionen konnte auf den Kontakt mit einer Taube zurückgeführt werden. Das Friedrich-Löffler-Institut, das sich mit Tiergesundheit befasst, teilt zudem auf Anfrage mit, dass Tauben in der Regel einen anderen Erregertyp tragen als Papageien, der für Menschen weniger ansteckend sei. Die Infektionsgefahr für Passanten sei daher als gering einzuschätzen.

Tauben bei Ravensburg (Baden-Württemberg)

Tauben bei Ravensburg (Baden-Württemberg)

Foto: Felix Kästle/ picture alliance / Felix Kästle/dpa

Das Bundesinstitut für Risikobewertung gibt in jedem Jahr einen Bericht über Zoonosen heraus, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Dabei wurden auch Tauben in Bezug auf Salmonellen untersucht. Dabei stellt sich immer wieder heraus, dass Tauben vor allem von einem Erreger infiziert sind, der nahezu nie Menschen befällt: Salmonella typhirium. Nur bei groben Fehlverhalten sei eine Infektion denkbar, heißt es auch im Jahresbericht der Ersten Deutschen Stadttaubentagung von 2007.

Die Tiermedizinerin Almut Malone aus Berlin gehört zu den Unterzeichnern der Beschwerde. Sie sagt, dass sie seit 20 Jahren pro Jahr zwischen 300 bis 700 verwilderte, kranke oder verletzte Tauben von der Straße aufnimmt. Bei Untersuchungen in einem Landes- oder Universitätslabor auch auf konkreten Verdacht hin habe man bei keinem dieser Tiere einen der von Rentokil genannten Krankheitserreger nachweisen können. Von anderen Personen, die in ähnlichem Umfang kranke Tauben gesund pflegten, sei zudem kein Fall einer Ansteckung durch Tauben bekannt.

Erreger wirtsspezifisch

Natürlich können Tauben krank werden wie jedes andere Lebewesen auch - und dann auch Erreger übertragen. "Die meisten Erreger bei Tauben sind aber wirtspezifisch", sagt Kummerfeld: "Sie können nicht auf den Menschen übertragen werden - und meistens nicht einmal auf andere Vogelarten." Tauben seien für Menschen nicht gefährlicher als Amseln, Meisen oder Spatzen.

Wie aber kommt Rentokil zu der Einschätzung, von Tauben gingen "eine ganze Reihe schwerwiegender gesundheitlicher Gefahren" aus? Macht das Unternehmen die Risiken größer, als sie tatsächlich sind?

Rentokil bestreitet, Angst vor Tauben zu schüren, um Geld zu verdienen. "Jeder sollte sich einmal fragen, warum unser Gesundheitssystem so effektiv ist und Infektionen kaum noch eine Chance haben, sich großflächige auszubreiten", sagte Pressesprecher Christian Klockhaus. Ein wesentlicher Grund hierfür liege in der Schädlingsprävention.

Bei seiner Einschätzung zu gesundheitlichen Gefahren von Tauben beruft sich Rentokil auch auf die Hamburger Behörde für Gesundheit- und Verbraucherschutz. Diese warne auf ihrer Webseite  unter anderem vor Erregern der Papageienkrankheit, der Salmonellose und Campylobacter, erklärte Klockhaus.

Wenn das Robert Koch-Institut für Chlamydia pneumoniase 10 bis 32 Infektionsfälle beim Menschen in Deutschland pro Jahr nenne, dann bestehe eine "mögliche tödliche Gefahr", auch wenn die Infektion selten tödlich verlaufe. "Hier darf jeder Mensch für sich selbst entscheiden, ob er zu diesen 10 bis 32 Fällen gehören möchte", meinte der Rentokil-Sprecher.

Auf altem Vogelkot können Pilze wachsen

Unbestritten ist die Gefahr, die vom Kot ausgeht: Auf festem Vogelkot wachsen manchmal Hefepilze. Darunter ist auch ein Pilz, der laut RKI bei Menschen zu einer lebensbedrohlichen Hirnhautentzündung führen kann. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, einen Atemschutz zu tragen, wenn man alten Taubenkot entfernt. Diese Krankheit namens Kryptokokkose nennt Rentokil auf seiner deutschsprachigen Webseite allerdings gar nicht.

Taubenabwehr an Schriftzug einer Bank (Archivbild)

Taubenabwehr an Schriftzug einer Bank (Archivbild)

Foto: Rolf Haid/ picture-alliance/ dpa

Bis vor einigen Jahren spielten in der ehemaligen DDR auch Taubenzecken eine unselige Rolle: Wurden Altbauten saniert und Tauben von Dachböden ausgesperrt, suchten diese Parasiten sich menschliche Wirte im Haus. Das Problem hat sich inzwischen aber offenbar erledigt. In Leipzig beispielsweise, das einst als Hochburg der Taubenzecke galt, wurde in den vergangenen zehn Jahren kein einziger Fall mehr gemeldet. Ähnlich sieht es in Berlin und Dresden aus.

Die Tauben deshalb nun ungehindert walten zu lassen, ist aber auch keine Lösung, sagt Inge Prestele vom Stadttauben-Verein. Die Tiere seien sehr vermehrungsfreudig, deshalb sei es sinnvoll, die Bestände zu kontrollieren. Das gelinge gut in betreuten Taubenschlägen, in denen den Vögeln Gipseier untergeschoben werden. Außerdem finden die Tiere dort einen Unterschlupf, sodass sie ihren Kot nicht massenhaft in der Stadt verbreiten.

Schäden an Gebäuden?

Das ist nicht nur wegen der Kryptokokkose-Gefahr sinnvoll: Denn Taubenkot kann den Lack von Autos schädigen, wenn er nicht rasch entfernt wird. Hausbesitzer hingegen müssen sich höchstens um die Optik ihres Gebäudes sorgen. Einer Untersuchung des Instituts für Massivbau der Universität Darmstadt zufolge richtet frischer Vogelkot an Material wie Beton, Granit, Nadelholz und Sandstein keine Schäden an. Tierschützer aus Aachen hatten die Studie in Auftrag gegeben.

Rentokil hingegen behauptet, dass Kot durchaus Schäden an Gebäuden anrichte. Die in Taubenkot enthaltene Harnsäure zerfresse Steine und führe zu Korrosion von Metallen, heiße es auf der Webseite  einer Hamburger Behörde.

Das Konzept der betreuten Taubenschläge wird bereits in einigen Städten in Deutschland erfolgreich umgesetzt. Auch in Hamburg betreut der Verein Hamburger Stadttauben zwei Schläge. Mehr seien nötig, sagt Inge Prestele, aber Anfragen dazu verliefen bislang negativ. "Wir wünschen uns einfach ein besseres Image der Taube." Die Schädlingsbekämpfer sollten weiter ihre Arbeit machen können, "sie sollen nur aufhören, Angst zu schüren".

Anmerkung: Dieser Text wurde um Aussagen von Rentokil ergänzt, die das Unternehmen nach Erscheinen des Textes gemacht hat. Rentokil hatte zuvor eine schriftliche Anfrage der Autorin unbeantwortet gelassen.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten