Fiepen im Ohr Experten streiten über Tinnitus-Therapie

Es fiept, es rauscht, es pfeift: Ohrengeräusche können den letzten Nerv rauben. Behandelt man den Tinnitus nicht frühzeitig, kann sich ein Gedächtnis dafür bilden. Neue Behandlungen wie die Musiktherapie versprechen Hilfe. Wie gut sind sie wirklich?
Tinnitus (Illustration): Behandlung sollte möglichst früh begonnen werden

Tinnitus (Illustration): Behandlung sollte möglichst früh begonnen werden

Foto: Corbis

Kein Tinnitus gleicht dem anderen. Mal pfeift es im Ohr, mal ist es ein Klingeln. Andere hören ein Zischen oder ein Summen. Etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung haben länger anhaltende Ohrgeräusche, ohne dass diese sie belasten.

Doch was tun, wenn es rund um die Uhr pfeift - und die Geräusche mitunter so laut wie eine Kreissäge sind? Etwa zwei Prozent der Deutschen geht es so. Können sie hoffen, diesen Tinnitus jemals wieder loszuwerden?

Trotz intensiver Forschung stößt die Behandlung noch an Grenzen: "Derzeit besteht noch keine Aussicht auf Heilung", sagt Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnitus Forschungszentrums der Charité in Berlin, aus dem auch die Deutsche Tinnitus-Stiftung Charité  hervorgegangen ist. "Es ist aber möglich, mit einer geeigneten Therapie deutliche Verbesserungen zu erzielen."

Zwar hat Tinnitus häufig eine konkrete Ursache wie etwa einen Knall oder emotionalen Stress. Dabei werden Haarzellen im Innenohr geschädigt. Doch irgendwann verselbständigt sich der Tinnitus. Im Gehirn, vor allem in der Hörrinde, kommt es zu Störungen der Signalverarbeitung. Ähnliches geschieht aber auch in anderen Regionen außerhalb der Hörbahn, die an der Entstehung von Tinnitus beteiligt sind, wie etwa dem limbischen System, dem Sitz unseres Gefühlslebens. Von chronischem Tinnitus sprechen die Ärzte, wenn der Tinnitus länger als drei Monate anhält.

Mischung aus verschiedenen Therapieformen

Immer wieder machen neue Therapieansätze von sich reden. Wie etwa die Neuro-Musiktherapie. Im Kern handelt es sich dabei um eine fünftägige Kompakttherapie, eine Mischung aus Sound-Therapie, psychosozialer Beratung (Counseling) und Stressmanagement. Bei chronischem Tinnitus habe sich die Neuro-Musiktherapie in den letzten Jahren bereits bewährt, sagt Heike Argstatter vom Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg.

Wie gut die Methode wirklich ist, bleibt aber umstritten. Einer Studie zufolge  verbesserten sich die Tinnitus-Beschwerden bei bis zu 76 Prozent der Probanden. Dabei ist von einer "soliden" Verringerung der Beschwerden die Rede. Insgesamt 206 Patienten wurden mit der Neuro-Musiktherapie behandelt und durchschnittlich 2,65 Jahre lang danach beobachtet. Für die Analyse lagen aber nur 107 komplett ausgefüllte Fragebögen vor.

Unterm Strich fand eine Umverteilung statt: Zwar nahm die Zahl der schweren und sehr schweren Tinnitus-Fälle um knapp 32 Prozent ab - die Zahl der Probanden mit leichten und moderaten Beschwerden nahm entsprechend zu. Unklar aber ist, wie stark die Verbesserung beim Einzelnen tatsächlich ist. Subjektiv mag es positive Veränderungen geben, von durchschlagendem Erfolg kann man jedoch angesichts der Resultate nicht sprechen.

"Man muss klar sagen, dass nicht die Musiktherapie allein, sondern das Paket aus Musiktherapie, Stressmanagement und Counseling wirksam ist", sagt der HNO-Arzt Gerhard Hesse von der Tinnitus-Klinik am Krankenhaus Bad Arolsen. "Es ist also nicht möglich zu sagen, wie groß der Anteil der Musiktherapie an einem etwaigen Erfolg ist."

Zwar liegen seit kurzem die Ergebnisse einer weiteren kleinen Studie mit 15 Probanden  zu akutem Tinnitus vor, die in Zusammenarbeit mit der Tinnitus-Ambulanz des Viktor Dulger Instituts (DZM) in Heidelberg durchgeführt wurde und in der die Autoren ebenfalls zu einem positiven Fazit kommen. Doch auch hier Birgit Mazurek bleibt skeptisch. "Die Studienlage ist nicht besonders gut. Es wird nicht deutlich, wie groß die Verbesserung tatsächlich ist. Möglicherweise ist es nur ein Placeboeffekt." Eine weitere Evaluierung der Methode sei wünschenswert. Bis dahin sieht Mazurek die Neuro-Musiktherapie nur als unterstützendes Verfahren bei chronischem Tinnitus.

Ablenkung von den Tinnitustönen

Die Therapie erfordert viel Ausdauer und Konsequenz von den Patienten. Nach der Therapie müssen sie die gelernten Übungen zu Stressmanagement sowie die Hörübungen regelmäßig aktiv zu Hause weiterführen. Ziel der Therapie ist es, das Hörareal im Gehirn zu reorganisieren. Dabei nutzt man die Tatsache, dass jene Hirnareale, die beim Musikhören aktiv sind, mit jenen überlappen, die bei Tinnitus verändert sind.

Mit Hilfe der Musiktherapie soll die Aufmerksamkeit des Patienten von den Tinnitus-Tönen abgelenkt werden. Dazu singt der Patient, begleitet von einem Instrument, seine Tinnitus-Töne. "Wichtig beim aktiven Hör- und Intonationstraining ist es, die jeweilige Tinnitus-Frequenz möglichst genau zu treffen", erklärt Heike Argstatter. Auf diese Weise soll der Patient lernen, unwichtige Hörinformationen auszufiltern.

Derzeit wird die Neuro-Musiktherapie als Individuelle Gesundheitsleistung angeboten (Igel). Die privaten Krankenkassen bezahlen sie teilweise, die gesetzlichen Kassen nur in Ausnahmefällen. In beiden Fällen sollte man sich bei seiner Versicherung vor einer Behandlung erkundigen. Kosten: Etwa 1200 Euro.

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