Tinnitus So bekämpfen Sie das lästige Pfeifen

Ständige Ohrengeräusche treiben Tinnitus-Geplagte in den Wahnsinn. Woher kommt das lästige Pfeifen? Und was können Patienten dagegen tun? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
Ohr-Untersuchung: Schädigungen im Innenohrbereich können Tinnitus verursachen

Ohr-Untersuchung: Schädigungen im Innenohrbereich können Tinnitus verursachen

Foto: Corbis

"Tinnitus" ist lateinisch und bedeutet "Klingeln". Manchmal ist es ein lauter Knall, oder viel Stress - und dann plötzlich beginnt das Klingeln, Pfeifen, Brummen, Rauschen. Die Entstehung von Tinnitus ist ein komplexer Vorgang. In jedem Fall gilt: Am besten sollte man einen Tinnitus behandeln, bevor er zur Dauerplage wird. Leider klappt das aber nicht immer. Für Menschen mit chronischem Tinnitus hat ein ganzheitlicher Ansatz den größten Nutzen. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten.

Woher kommt der Tinnitus?

Die Ursachen und Auslöser für Tinnitus sind vielfältig. Sie können organischer und nicht-organischer Natur sein. Hörsturz, Lärm, Zähneknirschen, Mittelohrerkrankungen, Durchblutungsstörungen, Infektionen und Tumore der Hörbahnen, Verengungen der Halsschlagader, Kiefergelenkstörungen sowie arteriosklerotische Ablagerungen in Blutgefäßen und eine Reihe anderer internistischer Erkrankungen können zu Schädigungen im Innenohrbereich führen und Tinnitus auslösen.

Aber auch Stress kann eine wesentliche Ursache für einen Tinnitus sein. "Stressbedingte psychische Veränderungen können auch einen Einfluss auf auditorische Phänomene wie die Tinnitusentstehung haben oder einen bereits bestehenden Tinnitus verstärken", erklärt Birgit Mazurek, die Direktorin des Tinnitus-Zentrums der Charité in Berlin.

Die Forscher erklären das Phänomen so: Das Stresshormon Cortisol bewirkt im Ohr, dass die Substanz Glutamat in den Neuronen in großer Menge ausgeschüttet wird. Die Folge: Auch Kalzium wird vermehrt ausgeschüttet und schädigt so Hörsinneszellen und Nervenzellen im Ohr

Auf diesen bisherigen Erkenntnissen baut das Projekt "Tinnitus und Stress" der Deutschen Tinnitus-Stiftung der Charité  auf. Diese gemeinnützige Stiftung besteht seit 2011 und hat sich zum Ziel gesetzt, die Forschung und die Prävention zu fördern und Jugendliche dafür zu sensibilisieren, dass Lärm ihrem Gehör schadet .

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei chronischem Tinnitus?

Schätzungen zufolge haben 0,5 bis 2 Prozent der Bevölkerung so starke Ohrengeräusche, dass sie massiv davon beeinträchtigt werden. Medikamente zur Behandlung des chronischen Tinnitus sind bisher nicht zugelassen. Der Wirkstoff Lidocain (ein Lokalanästhetikum) kann zwar in Form einer Infusion bei einem großen Teil der Patienten den Tinnitus vorübergehend unterdrücken, allerdings können schwere Nebenwirkungen wie etwa Unruhe, Krampfanfälle oder Herzrhythmusstörungen auftreten, weshalb sich das Medikament nicht zur Langzeittherapie eignet.

Die Tinnitus-Retraining-Therapie ist bisher die am meisten etablierte Methode. Sie besteht aus verschiedenen Therapiebausteinen: außer HNO-Ärzten sind Audiologen und klinische Psychologen daran beteiligt. Ein sehr wichtiger Teil der Therapie ist das sogenannte Counseling. Gemeint ist damit eine individuelle psychologische Betreuung, die nötig ist, um stressverstärkende Gewohnheiten zu erkennen und Bewältigungstrategien zu entwickeln. Denn je stärker und anhaltender der Stress, um so lauter die Ohrgeräusche - die Aktivität der Hörrinde ist völlig übersteigert. Deshalb ist es in jedem Fall wichtig, dass die Patienten lernen, besser mit Stress umzugehen.

Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Yoga und Progressive Muskelrelaxation sind ein weiterer wichtiger Teil; die dritte Säule der Tinnitus-Retraining-Therapie besteht aus einer kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei sollen die Patienten lernen, besser mit den Ohrgeräuschen, den damit verbundenen Ängsten und Stress umzugehen. Auch falsche Verhaltensmuster sollen sie ablegen. Ob Wahrnehmungsübungen oder Übungen zur Stressbewältigung: Die Techniken sollen dem Patienten dabei helfen, sich wieder mehr nach außen zu orientieren statt immer nach innen auf den Tinnitus zu lauschen.

Ebenso wichtig bei der Tinnitus-Retraining-Therapie sind Hörtrainings. Dabei kommen sogenannte Noiser, Hörgeräte oder auch Umweltgeräusche zum Einsatz. Ein Noiser im Ohr produziert etwa sechs bis acht Stunden am Tag ein leises breitbandiges Rauschen. So wird der Tinnitus quasi in ein Rauschen gehüllt, das leiser ist als der Tinnitus selbst. Das Gehirn soll auf diese Weise den Tinnitus als unwichtig interpretieren, sich an ihn gewöhnen und aus der bewussten Wahrnehmung verschwinden lassen. Deshalb darf das leise Therapierauschen den Tinnitus nicht überdecken.

Bei einer Hörstörung sollten statt des Noisers beidseitig Hörgeräte zur Verstärkung der Umgebungsgeräusche angebracht werden. Die Aufmerksamkeitsumlenkung kann - zusätzlich durch optische Reize, melodische Musik oder eine Hypnosetherapie erfolgen.

Welche weiteren Therapieansätze gibt es?

An der Universität Münster arbeitet ein Team unter Leitung von Henning Teismann mit maßgeschneiderter Musik gegen den Tinnitus. Jeder Teilnehmer darf sich Musik auswählen, deren Frequenzspektrum anschließend individuell verändert wird. Bereits 2011 hatte eine placebokontrollierte Studie mit allerdings nur 20 chronischen Tinnitus-Patienten gezeigt, dass eine fünftägige Therapie mit täglich sechs Stunden maßgeschneiderter Musik den Tinnitus um etwa 25 Prozent verbessert hat. Allerdings nur bei Tinnitus-Frequenzen unter acht Kiloherz. Außerdem war der Effekt nicht dauerhaft. Deshalb will man in Münster weitere Studien machen.

Auch die Neuro-Musiktherapie, bei der es sich auch um eine Kombination aus verschiedenen Therapieansätzen handelt, wird derzeit untersucht. Noch sind sich die Experten aber nicht einig, wie groß der Nutzen ist (Details zur Neuro-Musiktherapie gibt es hier).

Zu den Sound-Therapien zählt auch ein Gerät namens Neurostimulator, das den Patienten rund 2700 Euro kostet. Es ist ausgestattet mit dem Gütesiegel des wissenschaftlich renommierten Forschungszentrums Jülich und wird von dem ausgegründeten Unternehmen Adaptive Neuromodulation GmbH (ANM) vermarktet. Bis zu sechs Stunden pro Tag spielt das Gerät, das wie ein MP3-Player getragen wird, vier individuell eingestellte Töne wieder und wieder ins Ohr der Patienten.

Das soll die Nervenzellverbände ins "gesunde Chaos zurückführen" und die Datenverarbeitungsstörung im Gehirn rückgängig machen. "Es gibt zwar inzwischen kleinere Studien hierzu. Allerdings bewegt man sich wissenschaftlich auf sehr dünnem Eis. Der Neurostimulator kann nach wie vor nicht empfohlen werden", warnt Gerhard Hesse, Direktor der Tinnitus Klinik am Krankenhaus Bad Arolsen .

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