
Transplantationen Zahl der Organspender in Deutschland sinkt weiter
- • Herz, Leber, Lunge und Co.: Welche Organe kann man spenden?
- • Transplantationen: Zahl der Organspenden in Deutschland sinkt
Leiden/ Frankfurt am Main - Nach einem Rückgang im vergangenen Jahr ist die Zahl der Organspenden in Deutschland auch im ersten Halbjahr 2012 gesunken. Das zeigen aktuelle Zahlen der Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden, die am Mittwoch veröffentlicht wurden. "Wir dümpeln in Deutschland bei einer Rate von 15 Spendern pro eine Million Einwohner herum", sagt Bruno Meiser, Eurotransplant-Präsident. "Diese Zahl muss endlich deutlich steigen."
Nach den vorläufigen Zahlen für Januar bis Juni wurden in deutschen Kliniken 549 Menschen nach dem Tod Organe entnommen. Damit zählte Eurotransplant 14 Spender weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres - ein Rückgang um 2,5 Prozent. Die Zahl der gespendeten Organe stieg dagegen von 1988 auf 2031, weil den Spendern mehrere Organe entnommen werden konnten. Von Lebenden gespendete Organe sind in der Statistik nicht enthalten.
"Diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor ein erheblicher Mangel an Spenderorganen besteht", sagt Günter Kirste, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sind in Deutschland nach dem Transplantationsgesetz die Koordinierung der Organspende durch die DSO und die Vermittlung des Organs durch die Stiftung Eurotransplant organisatorisch getrennt. Eurotransplant vermittelt Organe zwischen sieben Ländern. Neben Deutschland sind das Belgien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Slowenien.
Die Zahl der Organspender in Deutschland schwankt von Jahr zu Jahr stark. Nach einem Rekord von 1285 Spendern im Jahr 2007 sackte der Wert bei Eurotransplant im darauf folgenden Jahr auf 1184 ab (minus 7,9 Prozent). 2010 gab es mit 1271 Organspendern ein neues Zwischenhoch. 2011 ging die Zahl wieder auf 1176 zurück (minus 7,5 Prozent). "Auch in diesem Jahr ging es mit den Spenderzahlen von Monat zu Monat auf und ab", sagt der medizinische Direktor von Eurotransplant, Axel Rahmel.
Spenderorgane sind und bleiben Mangelware. Auf den Wartelisten bei Eurotransplant standen Ende Juni allein für Deutschland mehr als 11.000 Namen - darunter die von fast 8000 Dialysepatienten, die auf eine neue Niere warten. Daneben bräuchte es mehr als 1000 Herzen, 2000 Lebern, 500 Lungen und knapp 50 Bauspeicheldrüsen. Tatsächlich aber konnte im ersten Halbjahr 2012 nur etwas mehr als 2000 schwer kranken Patienten durch Organe von toten Spendern geholfen werden.
"Viele überleben die Wartezeit nicht"
"Die Situation für Betroffene ist katastrophal, sie warten auf ein Organ und wissen nicht, wann es kommt und ob es überhaupt kommt", sagt Eurotransplant-Präsident Bruno Meiser. "Viele überleben die Wartezeit nicht." Meiser leitet zudem das Transplantationszentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Durch das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage sterben laut DSO statistisch gesehen jeden Tag drei Menschen, die auf ein fremdes Organ warten. Gründe für die Schere zwischen Organspenden und Organbedarf gibt es viele. Kritiker des neuen Transplantationsgesetzes sehen einen davon darin, dass in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung gilt. Organe dürfen demnach einem Hirntoten nur dann entnommen werden, wenn er sich zu Lebzeiten für eine Organspende entschieden hat - möglichst auf einem Spendeausweis. Andernfalls müssen die Angehörigen nach seinem Tod über eine Organentnahme entscheiden. "Das ist eine schwierige Entscheidung", sagt Meiser. Oft seien die Angehörigen überfordert und lehnten die Entnahme vorsichtshalber ab, weil sie mit dem Verstorbenen nie über eine Organspende gesprochen haben. Meiser: "Tod ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema."
In Österreich oder Spanien gilt dagegen die Widerspruchsregelung: Wer nicht ausdrücklich widerspricht, ist automatisch potenzieller Spender. Während die Rate der Organspender in Deutschland laut DSO jährlich bei 15 pro eine Million Einwohner liegt, kommen Belgien, Österreich, Frankreich und Italien auf mehr als 20, in Spanien sind es sogar mehr als 30 Spender pro eine Million Einwohner. In Deutschland sprachen sich kaum Politiker für eine Widerspruchslösung aus. Denn Zahlen der DSO aus deutschen Bundesländern zeigen, dass sich mit demselben Gesetz unterschiedlich viele Organspenden ermöglichen lassen. So erreichte der Stadtstaat Bremen im Jahr 2011 mit 31 Organspendern pro eine Million Einwohner fast die Zahlen von Spanien und liegt damit weit über den Ergebnissen von anderen EU-Ländern mit Widerspruchsregelung. Im benachbarten Flächenland Niedersachsen hingegen lag die Quote 2011 nur bei 12 Spendern pro eine Million Einwohner.
Jahrelang wurde in Deutschland über eine Reform der Organspende gestritten. Erst Mitte Juni diesen Jahres nahm die Entscheidungslösung im Bundesrat die letzte parlamentarische Hürde. Damit wird künftig jeder Krankenversicherte ab 16 Jahren von seiner Kasse befragt, ob er im Falle seines Todes seine Organe spenden will; ein Spendeausweis wird gleich mitgeschickt - die Erklärung bleibt aber freiwillig.
"Niemand sollte erwarten, dass die Organspendezahlen nun gleich sprunghaft ansteigen", sagt Eurotransplant-Direktor Rahmel. "Die Effekte werden wir möglicherweise erst in einigen Jahren sehen."
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Kühlbox für eine Organtransplantation: Alle acht Stunden stirbt ein Mensch, weil es nicht genug Spenderorgane gibt.
Operation: In Deutschland ist die Zustimmung zur Organspende ungebrochen hoch. Dennoch hat nur knapp jeder vierte Bürger einen Organspendeausweis ausgefüllt.
Werbung für den Spendeausweis: Wer sich zu Lebzeiten entscheidet, ob er seine Organe nach dem Tod spenden möchte, entlastet seine Angehörigen.
Die Entwicklung der Zahl der Organspender in Deutschland zeigt ebenfalls: Grundsätzlich ging der Trend in den vergangenen zehn Jahren nach oben. Doch im Vergleich zu 2010 sinken die Zahlen.
2010 gab es 15,8 Organspenden pro eine Million Einwohner in Deutschland - in vielen anderen Ländern ist die Zahl deutlich höher.
Wichtige Dokumentation: Für die Entnahme eines Organs ist nicht die Bereitschaft zur Spende ausschlaggebend "sondern die Erklärung der Bereitschaft zur Spende", steht im Gesundheitsmonitor 2011 der Bertelsmann Stiftung und der Barmer GEK.
Gesundheitsminister Daniel Bahr: Der FDP-Politiker setzt sich für mehr Organspenden ein.
Nierentransplantation: Erst wenn abschließend geklärt ist, ob sich der Tote zu Lebzeiten zu einer Organspende bereit erklärt hat oder aber die Angehörigen eine positive Entscheidung für ihn treffen, dürfen die Organe nach der Hirntodfeststellung entnommen werden. So regelt es das deutsche Transplantationsgesetz, das die Zustimmungsregelung zu einer sogenannten Entscheidungslösung erweitert hat.
Der Weg vom Spender zum Empfänger: Eurotransplant im niederländischen Leiden bekommt vom Entnahmekrankenhaus die Meldung, dass ein oder mehrere Organe für die Transplantation zur Verfügung stehen. Über die Warteliste organisiert Eurotransplant den Organstransport und den Kontakt zum Transplantationszentrum, das den Empfänger informiert und ihn zur Operation vorbereitet.
Transplantation: Dann kann dem Empfänger das Organ implantiert werden. Die ersten Stunden und Tage entscheiden, ob es eine akute Abstoßungsreaktion gibt. Um diese und auch spätere Abstoßungen zu vermeiden, müssen alle Organempfänger meist lebenslang Immunsuppressiva schlucken.
Zustimmung oder Widerspruch? Die Zahlen zeigen, dass Länder mit der Zustimmungsregelung deutlich weniger postmortale Organspender haben als Nationen, in denen die Widerspruchsregelung gilt. Experten hoffen jedoch, dass in Deutschland vor allem die Transplantationsbeauftragten dafür sorgen könnten, dass deutlich mehr Organe gespendet werden.
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