Triptane gegen Migräne Wundermittel mit Tücken

Hämmernde Kopfschmerzen: Viele Migränepatienten greifen bei einer Attacke sofort zur Pille
Foto: CorbisDer Schmerz beginnt im Nacken. Dann sei er noch dumpf, sagt Petra Scheurer* - aber nur bis er über die rechte Seite des Schädels bis zum Auge gewandert sei. "Dann steigert er sich in ein Hämmern und Klopfen, einen Presslufthammer, der das Auge herausdrückt." Petra Scheurer aus Hamm in Westfalen ist heute 54. Seit sie Ende 20 ist, leidet sie unter Migräne.
"Ich kann nie sagen, wann ein Anfall kommt", erzählt Scheurer. "Ich könnte jetzt ins Bett gehen - und morgen sind die Schmerzen da." Bei schweren Anfällen wird ihr auch übel, dann sackt der Kreislauf zusammen, sie muss sich übergeben, bekommt Durchfall. "Früher", sagt sie, "war ich manchmal zwei, drei oder vier Tage außer Gefecht. Die Kinder sind damit aufgewachsen." Sie kaufte sich Aspirin und Thomapyrin. "Zum Arzt", sagt sie, "bin ich erst nach Jahren gegangen." Erst Ende der neunziger Jahre fand sie einen Anästhesisten, der auf Schmerztherapie spezialisiert war.
Der verschrieb Scheurer ein sogenanntes Triptan. Diese Gruppe von mittlerweile sieben verschiedenen Substanzen wirkt vergleichsweise gezielt auf jene Mechanismen ein, die bei der Entstehung der Migräne eine wesentliche Rolle spielen. So können die Mittel nicht nur gegen die Schmerzen, sondern oft auch gegen die begleitende Übelkeit helfen. Als 1993 das erste Triptan, Sumatriptan, auf den Markt kam, wurde es deshalb als Revolution gefeiert.
Ein wahrer Segen für viele Patienten
40 bis 70 Prozent der Patienten können Triptane helfen. Sie werden am besten zu Beginn eines Anfalls eingenommen, mitunter auch unter die Haut gespritzt, als Nasenspray oder Zäpfchen verabreicht. "Viele Patienten berichten, diese Mittel seien ein wahrer Segen für sie", sagt Kasja Rabe, Neurologin und Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums in Essen im Gespräch mit dem SPIEGEL.

Auch Petra Scheurer verschaffte das Triptan endlich Linderung. "Sobald ich merkte: 'Aha, da kommt was', habe ich eine Tablette genommen und mich vielleicht eine halbe Stunde lang hingelegt", erzählt sie. "Danach war der Schmerz weg. Und dann ging das, was ich gerade gemacht habe, mit voller Kraft weiter."
Zwei der sieben Triptane kann man in kleinen Packungsgrößen sogar bereits rezeptfrei in der Apotheke kaufen. Zwei weitere Substanzen sollten eigentlich Ende vergangenen Jahres ebenfalls unter bestimmten Auflagen von der Verschreibungspflicht befreit werden. Doch der Bundesrat lehnte dies Anfang November ab. Obwohl sie überraschend kam, finden viele Experten diese Entscheidung richtig. Zwar sind Triptane wirksam und meist gut verträglich - aber nicht immer harmlos. Weil sie die Blutgefäße verengen, dürfen Patienten, die bereits einen Herzinfarkt hatten oder deren hoher Blutdruck nicht gut eingestellt ist, die Mittel nicht einnehmen. In sehr seltenen Fällen können sie Herzbeschwerden oder sogar einen Infarkt auslösen.
26 Migräneattacken in drei Monaten
Wer die Medikamente häufiger als an zehn Tagen im Monat einnimmt - so die Faustregel - läuft Gefahr, Dauerkopfschmerzen zu bekommen. Auch Petra Scheurer war irgendwann nahe an dieser Grenze. Vergangenes Jahr ging sie deshalb in die Schmerzklinik Kiel, die auf Kopfschmerzen spezialisiert ist. "Ich hatte in den letzten drei Monaten 26 Migräneanfälle, bei denen ich immer sofort eine Pille eingeschmissen habe", berichtet sie dort.
Die Klinikärzte setzten alle Schmerzmedikamente bei ihr ab. Um jene schlimmen Kopfschmerzen zu lindern, die daraufhin zunächst auftraten, bekam sie sechs Tage lang Kortison. "Direkt am ersten Tag", berichtet Scheurer, "hatte ich einen schlimmen Migräneanfall. Aber dann ging es aufwärts."
Jetzt wird ihr Bluthochdruck behandelt, der erst in der Klinik festgestellt wurde. Vor allem aber lernte Scheurer, wie sie selbst dazu beitragen kann, die Zahl der Attacken zu verringern: Durch regelmäßigen Schlaf etwa. Und durch Entspannungstechniken. "Ständig stand ich unter Strom", erzählt Scheurer. "Ständig habe ich mir gesagt: 'Du musst funktionieren!' Aber das ist gar nicht so. Man muss auch einfach mal auf sich selber hören."
*Name von der Redaktion geändert
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