Gespräch mit Ulla Schmidt in Leichter Sprache "Alle sollen dazu gehören. Von Anfang an."

Alle sollen dazu gehören.

Von Anfang an.

Das schwere Wort dafür ist: Inklusion.

Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Inklusion.

Das steht in der Uno-Behinderten-Rechts-Konvention.

Man kann auch sagen: Uno-Konvention.

Das ist ein Vertrag zwischen vielen Ländern.

Darin stehen die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Behinderte und nicht behinderte Menschen sollen die gleichen Rechte haben.

Auch Deutschland hat die Uno-Konvention unterschrieben.

Das ist jetzt 5 Jahre her.

Viele wollen wissen:

Was ist seitdem passiert?

Deshalb hat Ulla Schmidt mit einem Journalisten von SPIEGEL ONLINE geredet.

Der Journalist heißt: Christian Füller.

Ulla Schmidt ist die Bundes-Vorsitzende der Lebenshilfe.

Die Lebenshilfe setzt sich für Menschen mit Behinderung und ihre Familien ein .

SPIEGEL ONLINE:

Frau Schmidt, wieso tun wir uns in Deutschland so schwer mit behinderten Menschen und dem Thema Inklusion?

Ulla Schmidt:

Es läuft gar nicht so schlecht.

Menschen mit Behinderung sollen überall mitmachen können.

Das muss normal sein.

Aber es kann lange dauern, bis das gut klappt.

Weil es für viele Menschen in Deutschland lange normal war, dass nicht alle dazugehören.

SPIEGEL ONLINE:

Was meinen Sie damit?

Schmidt:

Menschen mit Behinderung waren sehr lange ausgeschlossen.

Alle haben nur gesehen:

Das können Menschen mit Behinderung nicht.

Niemand hat gesehen:

Das können Menschen mit Behinderung besonders gut.

Das muss sich ändern.

Erst dann können alle dazugehören.

Wir dürfen keine Vorurteile mehr gegen Menschen mit Behinderung haben.

Das wird aber eine Zeit dauern.

SPIEGEL ONLINE:

Viele Menschen mit Behinderung sind ungeduldig:

Sie wollen jetzt mehr Rechte.

So wie es in der Uno-Konvention steht.

Schmidt:

Es ist schon viel passiert.

Früher gab es mehr Hindernisse.

Jetzt gibt es abgesenkte Bord-Steine.

Und Aufzüge am Bahnhof.

Und barriere-freie Busse.

Barriere-frei heißt: Ohne Hindernisse.

Trotzdem verstehe ich die Menschen.

Es könnte alles schneller gehen.

Auch die Politiker könnten mutiger sein.

Auch Unternehmen sollten sich mehr um Barriere-Freiheit kümmern.

SPIEGEL ONLINE:

Müsste man nicht als erstes das Wort Inklusion barriere-frei machen?

Das versteht doch keiner.

Schmidt:

Inklusion ist wie eine Überschrift.

Das Wort kann man ganz leicht erklären.

SPIEGEL ONLINE:

Machen Sie mal!

Schmidt:

Menschen mit Behinderung wollen überall mitmachen können.

Sie wollen von Anfang an dabei sein.

Sie wollen mittendrin sein.

SPIEGEL ONLINE:

Was finden Sie am wichtigsten:

  • Straßen und Räume von Hindernissen zu befreien?

  • Oder Schulen und Berufe für alle zugänglich machen?

  • Oder, dass Menschen mit Behinderung in der Kultur und Politik mitmachen können?

Schmidt:

Alles ist wichtig.

Es muss alles gleichzeitig passieren.

Der Aktions-Plan der Bundes-Regierung zur Uno-Konvention war wichtig.

In dem Aktions-Plan stand:

Das will die Bundes-Regierung machen, damit Menschen mit Behinderung überall mitmachen können.

Das Problem war:

Es stand nichts genaues drin.

Es fehlten genaue Termine.

SPIEGEL ONLINE:

In der Uno-Konvention stehen aber absichtlich keine Zeit-Pläne.

Schmidt:

Trotzdem sollte jedes Land einen Zeit-Plan haben.

Darin muss stehen:

Wann wollen wir was für Menschen mit Behinderung erreichen.

Wir brauchen in Deutschland einen Zeit-Plan.

SPIEGEL ONLINE:

Was soll da drin stehen?

Schmidt:

  • Alles muss barriere-frei sein.

Damit meine ich nicht nur Bord-Steine oder Treppen.

Auch Blinde und Gehör-Lose brauchen Unterstützung.

Und Texte in Leichter Sprache können alle besser verstehen.

  • Alle müssen sich frei bewegen können.

Das schwere Wort dafür ist: Mobilität.

Menschen mit Behinderung müssen alles gut erreichen können.

Viele Menschen mit Behinderung haben nicht viel Geld.

Sie wohnen am Stadt-Rand.

Es muss genügend Busse für sie geben.

  • Wichtig ist auch Teilhabe.

Teilhabe heißt: mitmachen, entscheiden, mitbestimmen.

Die muss in ein Gesetz geschrieben werden.

SPIEGEL ONLINE:

Warum ist das Gesetz wichtig?

Schmidt:

Menschen mit Behinderung müssen selbst entscheiden können:

  • Wie und wo wollen sie leben?

  • Wie und wo wollen sie lernen?

  • Wie und wo wollen sie arbeiten?

Viele Menschen mit Behinderung dürfen das noch nicht selbst entscheiden.

Das muss sich ändern.

SPIEGEL ONLINE:

Aber im Sozial-Gesetz-Buch steht:

Menschen mit Behinderung bekommen Brillen und Hör-Geräte.

Oder einen Roll-Stuhl.

Das können sie alles beantragen.

Schmidt:

Ja, aber immer nach den Regeln der Sozial-Hilfe.

Sozial-Hilfe heißt:

Wenn das Geld zum Leben nicht reicht, kann das Sozial-Amt helfen.

Sozial-Hilfe gibt es aber erst, wenn das gesparte Geld fast alle ist.

Deshalb brauchen wir das neue Bundes-Teilhabe-Gesetz.

Denn jeder Mensch mit Behinderung soll Unterstützung bekommen.

Egal wie viel Geld er oder seine Familie haben.

So lange es noch Hindernisse gibt, haben Menschen mit Behinderung Nachteile.

Das muss der Staat ausgleichen.

SPIEGEL ONLINE:

Es wird Inklusion versprochen.

Aber dafür ist nicht genug Geld da.

Das ist nicht richtig, oder?

Schmidt:

So einfach ist es nicht.

Immerhin wird in allen Bundes-Ländern über Inklusion in der Schule gesprochen.

SPIEGEL ONLINE:

Es wird nur gesprochen.

Es passiert aber nichts.

Schmidt:

Das stimmt doch nicht.

Es gibt inklusive Kinder-Gärten.

Und es gibt viele gute inklusive Schulen.

Aber unsere Schulen sortieren immer noch zu viele Kinder aus.

Dann kann Inklusion nicht klappen.

Und vergessen Sie nicht:

Viele streiten sich über Inklusion.

SPIEGEL ONLINE:

Wer kämpft da gegen wen?

Schmidt:

Manche Lehrer wollen Inklusion.

Andere Lehrer haben davor Angst.

Bei den Eltern ist das auch so.

Manche kämpfen für Inklusion.

Andere sind gegen Inklusion.

SPIEGEL ONLINE:

Der Staat muss die Uno-Konvention trotzdem umsetzen.

Auch in der Schule.

Schmidt:

Für die Inklusion in den Schulen sind die Bundes-Länder zuständig.

SPIEGEL ONLINE:

Die Bundes-Länder machen es aber nicht gut.

Sie streiten sich mit dem Bund:

Wer trägt die Verantwortung?

Viele Eltern behinderter Kinder kotzt das an.

Schmidt:

Das geht mir auch manchmal so.

Es geht darum, wie Inklusion in der Schule klappen kann.

Es geht nicht mehr darum, ob wir überhaupt Inklusion in der Schule wollen.

Das macht mich schon froh.

Nur eins muss klar sein:

Inklusion in der Schule ist nicht zum Sparen da!

Wir brauchen zwei Lehrer pro Klasse.

Und wir brauchen ein anderes Lernen.

SPIEGEL ONLINE:

Was raten Sie Eltern von einem Kind mit Behinderung?

Schmidt:

Sie müssen ihre Rechte kennen.

Und sie müssen für ihre Rechte kämpfen.

Sie sollen sich in die Schule einklagen.

Sie sollten in die Schulen gehen und sagen:

Welche Möglichkeiten gibt es hier für mein Kind?

SPIEGEL ONLINE:

Ein Kind ist in einer inklusiven Klasse.

Es sagt:

Die Kinder mit Behinderung werden hier immer bevorzugt!

Was raten sie ihm?

Schmidt:

Ich denke, da geht es um Aufmerksamkeit.

Vielleicht hat das Kind das Gefühl:

Für mich haben die keine Zeit.

Sie haben nur für die Menschen mit Behinderung Zeit.

Das muss man ernst nehmen.

Denn Kinder sind sehr ehrlich.

Das Interview führte Christian Füller; Übersetzung in Leichte Sprache: Nina Krüger, Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. und die Prüfergruppe für Leichte Sprache der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.

Bilder: Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.V.; Illustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013

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