Eine rätselhafte Patientin Schwerkrank in der Schwangerschaft

Eine 27-Jährige ist hochschwanger, als sie Fieber bekommt. Ihr Zustand verschlechtert sich rapide, die Atmung versagt. Wenig später erkrankt auch der Partner der Patientin - erst dadurch steht die Diagnose fest.
Symbolbild einer hochschwangeren Frau

Symbolbild einer hochschwangeren Frau

Foto: Kate Mitchell/ Getty Images

Sie hat Fieber, ihr Hals kratzt, auf Händen und im Gesicht prangt ein juckender Ausschlag - und sie ist in der 32. Schwangerschaftswoche. Als die 27-Jährige ein Krankenhaus in Großbritannien aufsucht, vermuten die Ärzte sofort eine Infektion mit Viren oder Bakterien. Es erfordert allerdings Zeit, die genaue Ursache abzuklären.

Die Patientin hat bereits zwei Kinder. Sie raucht etwa fünf Zigaretten pro Tag. In der Vergangenheit wurden bei ihr Angststörungen und eine Depression diagnostiziert. Zudem hat sie eine Allergie gegen das Antibiotikum Penicillin.

Ihre Temperatur liegt bei 38 Grad Celsius. Der Ausschlag entstand vor mindestens zwei Tagen in den Handflächen und breitete sich dann ins Gesicht aus, sagt sie. Die Haut an den betroffenen Stellen ist gerötet und es haben sich Knötchen gebildet, berichten die Londoner Ärzte Jassimran Bansal und Aisha Hameed.

Vermutlich ist es ein Virus

Tests auf HIV, Hepatitis und Syphilis schließen diese Krankheiten aus. Auf der Mundschleimhaut der Frau finden sich keine sogenannten Koplik-Flecken, die auf die Masern deuten würden. Erste Tests mit Blut, Urin, Abstrichen aus dem Hals und der Vagina zeigen keine bakterielle Infektion. Die Zahl der weißen Blutkörperchen ist deutlich erhöht, ebenso wie der Wert von Entzündungsmarkern, was ganz allgemein für eine Infektion spricht.

Das Ärzteteam hält zu diesem Zeitpunkten eine Virusinfektion, insbesondere eine Grippe, für die wahrscheinlichste Diagnose. Allerdings können sie noch nicht ausschließen, dass Bakterien die Ursache sind. Während sie weitere Testergebnisse abwarten, erhält die Frau deshalb bereits zwei Antibiotika sowie ein Medikament, das die Vermehrung von Grippeviren hemmen soll.

24 Stunden nach ihrer Aufnahme im Krankenhaus verschlechtert sich der Zustand der Patientin rapide, wie die Ärzte im Fachblatt "BMJ Case Reports"  berichten. Der Ausschlag hat sich über ihren Bauch und Rücken ausgebreitet. Die Atmung ist einschränkt und wird von einem Rasselgeräusch im tieferen Lungenbereich begleitet. Infolge der Atemprobleme gerät das Verhältnis von Säuren und Basen in ihrem Blut aus dem Gleichgewicht.

In den folgenden Stunden geht es der Frau immer schlechter. Nach Rücksprache mit mikrobiologischen Fachleuten geben die Ärzte ihr weitere Antibiotika. Die Patientin wird auf die Intensivstation verlegt. Über eine Nasenkanüle atmet sie ein Luftgemisch mit erhöhtem Sauerstoffanteil, um einen Sauerstoffmangel zu verhindern.

Doch in den folgenden Tagen verschlechtert sich ihre Atmung immer weiter. Ihr Blut übersäuert, weil sie nicht ausreichend Kohlendioxid abatmet.

Nach dem Kaiserschnitt zurück auf die Intensivstation

Zunächst scheint es dem ungeborenen Kind trotz des schlechten Zustands der Frau gut zu gehen. Die Ärzte verabreichen der Schwangeren Steroide, um die Lungenentwicklung des Fötus zu beschleunigen. Am fünften Tag des Krankenhausaufenthalts holen sie das Kind per Kaiserschnitt, um zu verhindern, dass es durch Sauerstoffmangel oder Übersäuerung einen dauerhaften Schaden davonträgt.

Anschließend muss die Frau weiter auf der Intensivstation behandelt werden. Inzwischen liegt bei ihr ein Lungenversagen vor, das sich wohl auf die schwere Lungenentzündung infolge der noch immer nicht genau definierten Infektion zurückführen lässt.

Die Patientin erhält eine sogenannte extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO). Dieses aufwendige Verfahren kann die Atmung für eine Weile ersetzen, indem Blut über eine Kanüle aus dem Körper in ein Gerät geleitet wird, das der Flüssigkeit Kohlendioxid entzieht und sie mit Sauerstoff anreichert - beides passiert normalerweise, während das Blut die Lunge passiert.

Das Blut wird dann über einen weiteren Zugang wieder in die Adern gepumpt. So kann der Körper der schwerkranken Patientin weiter mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff versorgt werden, ohne ihre angegriffenen Lungen zu belasten.

Ein Abstrich aus dem Rachen liefert einen positiven Befund: Parainfluenza-Viren. Diese Erreger können eine der Grippe ähnelnde Krankheit auslösen. Haben sie die gefährlichen Symptome verursacht?

Der Partner erkrankt

Auf die richtige Diagnose kommen die Ärzte erst, nachdem am siebten Tag nach der Entbindung der Partner der Patientin erkrankt. Auch er hat Fieber und einen Ausschlag. Dessen Form und Ausprägung ist jedoch etwas anders als bei der Frau - und lässt die Ärzte sofort an die Masern denken.

Sie veranlassen entsprechende Tests sowohl für ihn als auch für die Patientin. Beide liefern ein positives Ergebnis: Die Schwangere hatte die Masern, obwohl die typischen Koplik-Flecken fehlten. Sie war nicht gegen die Viruskrankheit geimpft. Es gibt Hinweise aus kleineren Studien, dass Masern in der Schwangerschaft häufiger zu schweren Komplikationen führen. Dass die Diagnose erst spät gestellt wurde, hat der Patientin nicht geschadet, die Therapie wäre - mit Ausnahme der Antibiotika-Gabe - grundsätzlich nicht anders verlaufen.

Insgesamt wird die Frau nach dem Kaiserschnitt noch zehn Tage auf der Intensivstation über die ECMO mit Sauerstoff versorgt. Anschließend erholt sie sich ohne weitere Komplikationen und kann knapp eine Woche später die Klinik verlassen. Ihr Baby hatte Glück, es hat sich nicht mit den Masern angesteckt und ist ganz gesund.

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