Chronische Erkrankungen Forscher entzaubern Vitamin D

Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme - bislang sprach einiges für eine positive Wirkung von Vitamin D auf viele chronische Krankheiten. Eine Analyse schürt jetzt Zweifel daran. Nur vor einem Leiden kann der Stoff sicher schützen.
Sonnenlicht: Wenn kaum Sonne an die Haut gelangt, sinkt die körpereigene Vitamin-D-Produktion

Sonnenlicht: Wenn kaum Sonne an die Haut gelangt, sinkt die körpereigene Vitamin-D-Produktion

Foto: dapd

Wenn sich die Blätter der Bäume bunt verfärben, die Kleidung länger wird und die Sonne schwächer, droht dem Körper ein Vitamin-D-Mangel. Menschen können den Stoff zwar selbst bilden, dafür benötigen sie allerdings Unterstützung durch UV-Strahlen. Sinkt im Winter die körpereigene Vitamin-D-Produktion, können Tabletten einen Mangel abwenden. Wie sehr der Körper von der Einnahme profitiert, ist allerdings umstritten. Eine neue Studie facht die Diskussion jetzt weiter an.

Vitamin D unterstützt den Körper dabei, Kalzium aus dem Darm aufzunehmen und dadurch die Knochen gesund zu erhalten. Viele Menschen erhoffen sich darüber hinaus eine Rundumwirkung für den ganzen Körper. Grund dafür sind Hinweise aus zahlreichen Beobachtungsstudien, dass Vitamin D etwa das Immunsystems stärken kann und sich positiv auf Autoimmunerkrankungen, Nervenzellen, Fettstoffwechsel, Entzündungen, Muskelfunktion, Diabetes und diverse Krebserkrankungen auswirkt.

Gute wissenschaftliche Studien, schlechtere Ergebnisse

Eine aktuell Überblicksstudie weckt allerdings Zweifel an der umfassenden Schutzwirkung des Vitamins. Niedrige Vitamin-D-Werte wären nicht die Ursache chronischer Erkrankungen, sondern die Folge eines schlechten Gesundheitszustandes, schreiben die Forscher im Fachmagazin "Lancet Diabetes & Endocrinology". Die Wissenschaftler hatten für ihre Metaanalyse 290 vorausschauende Beobachtungsstudien und 172 kleinere, randomisierte kontrollierte Studien zum Zusammenhang von Vitamin D-Mangel mit diversen chronischen Krankheiten analysiert. Wie die Auswertung jetzt zeigte, kamen die beiden Studientypen zu unterschiedlichen Ergebnissen.


DIE BEIDEN STUDIENTYPEN

Bei randomisierten kontrollierten Studien werden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer Behandlungsgruppe oder Kontrollgruppe zugeteilt, und es wird zum Beispiel untersucht, wie sich Vitamin-D-Tabletten im Vergleich zu einem wirkstofflosen Scheinmedikament auf den Zuckerstoffwechsel von Diabetikern auswirken. Studien dieser Art haben einen guten wissenschaftlichen Wert.

Beobachtungsstudien hingegen haben eine geringere Aussagekraft, da sie nicht auf Experimenten basieren, sondern nur einen Zustand beschreiben. Sie untersuchen zum Beispiel anhand von Befragungen, ob Menschen, die Vitamin-D-Tabletten nehmen, häufiger an Krebs erkranken. Dies hat einen großen Nachteil: Anhand der Ergebnisse lässt nicht sicher sagen, ob tatsächlich das Vitamin D das Krebsrisiko beeinflusst hat oder eine andere Gewohnheit der Teilnehmer.


Die Beobachtungsstudien hatten ergeben, dass hohe Vitamin-D-Werte das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (bis zu 58 Prozent), für Diabetes (38 Prozent) und Darmkrebs (34 Prozent) vermindern können und demnach eine Schutzfunktion besitzen. "Leider wurde bei diesen Studien oft Assoziation mit einer Ursache-Wirkungs-Beziehung gleichgesetzt beziehungsweise Folge und Ursache vermischt", sagt Lorenz Hofbauer vom Universitätsklinikum Dresden, der nicht an der Studie beteiligt war.

Die randomisierten Studien fanden dagegen keinen Schutzeffekt; Erkrankungshäufigkeit, -schwere und -verlauf blieben vom Vitamin-D-Spiegel unbeeinflusst. Das gilt auch für jene Studien, in denen die Teilnehmer bei Studienbeginn einen niedrigen Vitamin-D-Wert hatten und anschließend eine ausreichend hohe Vitamin-D-Menge zu sich nahmen.

Bei einer weiteren Analyse mit 16 Studien speziell zu Typ-2-Diabetes kamen die Forscher zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis. Demnach wirkt sich das eingenommene Vitamin D auch nicht positiv auf den Blutzuckerstoffwechsel aus. "Grundsätzlich könnte es sein, dass niedrige Vitamin-D-Werte ursächlich an Diabetes mitbeteiligt sind, sich krankhafte Prozesse aber nicht durch eine Vitamin-D-Einnahme umkehren lassen. Es gibt hier wohl einen Point of no Return", erläutert Hofbauer. Nur was die Knochengesundheit betrifft bleibt die Relevanz von Vitamin D weiterhin unbestritten.

Begleiterscheinung Vitamin-D-Mangel

"Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Beobachtungsstudien und der randomisierten Studien legt nahe, dass abnehmende Vitamin-D-Werte ein Marker für einen sich verschlechternden Gesundheitszustand sind", zieht Studienautor Philippe Autier vom International Prevention Research Institute in Lyon das Fazit seiner Studie. "Alterungsvorgänge und entzündliche Prozesse, die mit dem Auftreten von Erkrankungen verknüpft sind, führen zu verringerten Vitamin-D-Konzentrationen." Dies würde auch erklären, warum ein Vitamin-D-Mangel bei einem breiten Spektrum an Erkrankungen beobachtet wird.

"Diese Metaanalyse ist solide gemacht. Sie stellt quasi einen umfassenden medizinischen Kassenbericht dar, der kritisch die bisherigen Studien bewertet", sagt Hofbauer. Daneben bemängelt Hofbauer allerdings, dass die Analyse sehr viele, zum Teil nicht so gute, randomisierte Studien einschließt. "Diese verwässern die Ergebnisse etwas. Die randomisierten Studien hätten von vornherein sehr viel mehr Patienten einbeziehen müssen und sich über viele Jahre erstrecken, um eine ausreichend statistische Aussagekraft zu haben."

Zwar kann jedermann weiterhin Vitamin-D-Tabletten schlucken. "Bei aller Sympathie für Vitamin D und den nachgewiesenen Effekten gegen Osteoporose: Man darf aber keine übermäßig hohen Erwartungen an Vitamin D als Allheilmittel haben", sagt Hofbauer. Außerdem sollte man die Einnahme nicht übertreiben. Es gibt Erkrankungen wie die Sarkoidose, die von vornherein zu hohen Vitamin-D-Konzentrationen im Blut führen, eine zusätzliche Zufuhr wäre hier schädlich. Unter anderen deshalb empfiehlt es sich, die Vitamin-D-Einnahme vorab mit dem Arzt zu besprechen.

Vitamin-Quiz
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