Vorsorge Deutsche kaufen Pflege-Bahr trotz unsicherer Zukunft

Vor allem junge Deutsche lassen die staatlich geförderte Zusatzversicherung für den Pflegefall boomen. Täglich werden 1600 Verträge abgeschlossen, jubeln die privaten Krankenversicherer. Dabei ist die Zukunft des Pflege-Bahrs unsicher und das Produkt umstritten.
Geschäftsführender Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP): Stiftung Warentest rät zum genauen Vergleich

Geschäftsführender Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP): Stiftung Warentest rät zum genauen Vergleich

Foto: Hannibal Hanschke/ dpa

Berlin - Elf Monate nach dem Start des sogenannten Pflege-Bahr erlebt die staatlich geförderte Zusatzversicherung einen Boom: Zurzeit würden pro Arbeitstag rund 1600 Verträge abgeschlossen, teilte der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) mit. Der scheidende Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte der Nachrichtenagentur dpa am Freitag: "Es war richtig, dass erstmals auch viele Menschen mit Vorerkrankungen nun eine private Versicherung abschließen können."

Dennoch ist das Konstrukt umstritten. Von Anfang an gab es massive Kritik am Pflege-Bahr. Noch bis Anfang des Jahres zögerten die Kunden, die staatliche Förderung überhaupt in Anspruch zu nehmen . Beim Pflege-Bahr wird eine Fünf-Euro-Zulage pro Monat bezahlt, wenn der Versicherte einen Mindestbeitrag von zehn Euro schultert. Risikozuschläge und Gesundheitsprüfungen sind nicht zulässig.

SPD wollte Pflege-Bahr im Wahlkampf abschaffen

Völlig offen ist, wie Union und SPD jetzt damit umgehen werden. Die SPD hatte die geförderte Zusatzversicherung im Wahlkampf abschaffen wollen. Am Sonntag beraten beide Seiten bei den Koalitionsgesprächen über das Thema Pflege und Pflegeversicherung.

Die jüngsten Zahlen zeigten einen starken Anstieg, berichtet der PKV-Verband. Kurz nach dem Start der Versicherung gegen das Pflegerisiko waren es im Januar 2013 noch rund 240 und im Juni rund tausend neue Verträge pro Arbeitstag. Bahr sagte, klar sei, dass es wie bei der Riester-Rente seinerzeit einige Zeit bis zum Erfolg dauert.

Nachfrage bei 25- bis 35-Jährigen besonders groß

"Angesichts der stark steigenden Nachfrage rechnen wir damit, dass die geförderte Pflegezusatzversicherung im nächsten Jahr die stolze Marke von einer Million Verträgen erreichen wird", sagte PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach. 270.000 abgeschlossene Verträge, für die bereits Geld fließe, gebe es bisher - und 62.600 zwar unterschriebene Verträge, die aber erst beginnen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte zuerst über diese Zahlen berichtet .

Die geförderte Zusatzversicherung wird laut PKV-Verband besonders oft von jungen Leuten im Alter zwischen 25 und 35 Jahren abgeschlossen. Sie werde derzeit von rund 25 Unternehmen angeboten, die mehr als 80 Prozent des PKV-Marktanteils repräsentierten.

Stiftung Warentest warnt

Die Stiftung Warentest weist allerdings darauf hin, dass die Versicherungen im Pflege-Bahr häufig nur einen Teil der Pflegekosten abdecken. Bereits im Frühjahr hatte das Stiftungs-Magazin "Finanztest" 17 Pflege-Bahr-Tarife und 23 Tarife ohne Förderung miteinander verglichen (Heft 5/2013). Das Ergebnis: Bei den geförderten Produkten bleiben oft finanzielle Lücken, die der Versicherte aus eigener Tasche bezahlen muss.

Die getesteten Tarife sind außerdem meist so gestrickt, dass der Kunde seinen Beitrag weiterzahlen muss, selbst wenn der Pflegefall schon eingetreten ist. Das ist bei den nicht geförderten Produkten im Test anders. Viele positiv bewertete Tarife decken die Kosten weitreichend ab und die Beitragszahlungen enden im Pflegefall. Ein 45 Jahre alter Neukunde zahlt für so eine Versicherung rund 55 Euro. Pflege-Bahr-Produkte sind da wesentlich billiger: Zwischen 10 und 16 Euro pro Monat werden fällig. "Finanztest"-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen rät dennoch, die Leistungen genau unter die Lupe zu nehmen.

Der Berater Timo Voß vom Bund der Versicherten führte den Anstieg bei den Verträgen darauf zurück, dass diese nach dem Gießkannenprinzip ohne angemessene Beratung verschickt würden. "Hier werden am Bedarf vorbei billige Produkte verkauft", sagte er. Jene mit hohem Pflegerisiko würden sich in den Tarifen sammeln. Dies lasse die Beiträge steigen. Die Leistungen fielen dann wohl geringer aus als nötig. Der Pflegeexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Dieter Lang, sagte: "Wir sollten den Pflege-Bahr auslaufen lassen."

cib/dpa
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