Alltagswissen Warum ein Schlag auf den Musikantenknochen so weh tut

Einmal den Ellenbogen unachtsam gegen die Türklinke gehauen, schon kommt die Quittung: Die Welt verschwimmt, dafür strahlt der Schmerz bis in die Fingerspitzen aus, es kribbelt. Warum ist gerade diese Stelle so empfindlich?
Ellenbogen: Ein Schlag auf den Musikantenknochen raubt einem für kurze Zeit den Atem

Ellenbogen: Ein Schlag auf den Musikantenknochen raubt einem für kurze Zeit den Atem

Foto: Corbis

Die Nerven rund um den Ellenbogen sind sicherlich nicht das Komplizierteste, was die menschliche Anatomie zu bieten hat. Und doch führt die simple Frage, warum es denn nun so weh tut, wenn man sich den Musikantenknochen anhaut, zu einer längeren Suche. Selbst ein renommierter Experte liegt zunächst mit seiner Erklärung daneben.

"Das ist ganz einfach", sagt der Professor. Er klingt gelangweilt. "Was so weh tut, ist die Knochenhaut, die besonders empfindlich ist." Schließlich liege am Ellenbogen der Knochen direkt unter der Haut, ähnlich wie am Schienbein. "Wer sich am Ellenbogen stößt oder beim Fußball vors Schienbein getreten wird, zieht den Körperteil schnell weg. Das ist ein Schutzmechanismus."

Hm. Klingt wirklich einfach. Aber ist das alles? Schienbein gegen Tischbein, das tut weh, klar. Aber dieser radikale, verstörende Schmerz, der vom Musikantenknochen ausgeht, ist doch eine andere Nummer. Entsteht er nicht dann, wenn man sich die Mulde am Ellenbogen anhaut, diesen weichen Teil zwischen den Knochen? "Nein", sagt der renommierte Professor. "Die Stelle ist gut geschützt, da kommt eigentlich nichts dran. Probieren Sie das ruhig mal aus."

Schmerz lass' nach!

Das kann natürlich an mir liegen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich schon an genau dieser Stelle gestoßen habe. Durch Trotteligkeit an Türklinken oder, wenigstens ein bisschen heldenhafter, beim Stürzen vom Schlitten auf Eisbrocken. Ich folge dem Rat des Professors.

Ellenbogen hinten gegen Tischkante: Ja, das tut weh. Einen Moment lang besteht die Welt nur aus Ellenbogen, dann taucht alles andere wieder auf, der Schmerz lässt nach. Jetzt zum Vergleich die Musikantenstelle gegen die Tischkante. Es braucht tatsächlich ein paar Anläufe, um sie zu treffen, aber dann: Wieder ist die Welt weg, dafür viel Schwarz, flau, Kribbeln im Arm, die Hand ist taub, es surrt. (An dieser Stelle danke an "Fifty Shades of Grey", immerhin muss man sich in diesen Zeiten für freiwillig zugefügten Schmerz nicht rechtfertigen.)

Ob der Professor den gleichen Selbstversuch unternommen hat, wissen wir nicht - nachträglich ergänzt er jedenfalls: "Wenn allerdings der Nerv auf der Innenseite des Ellenbogens gedrückt wird, kommt es zu einem einschießenden Schmerz vom Ellenbogen über den Unterarm bis in die Kleinfingerseite der Hand." Also doch Nerv, nicht Knochen?

Mischung aus Schmerz, Kribbeln und Taubheit

Fachbücher und der Neurorolge Friedhelm Hummel vom UKE lösen das Rätsel schließlich: Schuld ist der Nervus ulnaris. Er läuft am Ellenbogen in einem offenen Knochenkanal nah an der Hautoberfläche entlang, nur durch Haut und ein wenig Fett- oder Bindegewebe geschützt. Bei einem Stoß drückt man den Nerv stark, was den Schmerz und die Gefühlsstörungen im kleinen und im Ringfinger auslöst.

"Weil durch den Schlag verschiedene Nervenstränge erregt werden, entsteht eine Überreaktion", erklärt Friedhelm Hummel. "Bei dieser funkt der Nervus ulnaris einen Schmerzreiz der gesamten Region, für die er zuständig ist, an das Großhirn. Dies erklärt, warum die Schmerzreaktion so heftig ausfällt und warum die Mischung aus Schmerz, Kribbeln und Taubheit bis in die Finger auftritt.

Um die Knochen- und die Nerven-Hypothese zu versöhnen: Auch wenn man sich den Ellenbogenknochen anhaut, können Schmerz und Lähmungsgefühl bis in die Hand ausstrahlen, weil der Ellenbogenknochen "im Versorgungsgebiet des Nervus ulnaris" liegt, wie Friedhelm Hummel es ausdrückt. Für ein optimales Musikantenerlebnis empfiehlt sich aber ein Schlag direkt auf den Nerv.

Zusammengefasst: Der Hieb auf den Musikantenknochen tut so weh, weil dort ein Nerv fast ungeschützt unter der Hautoberfläche verläuft. Wird er gestaucht, sorgt er für Kribbeln, Schmerzen und Taubheit bis in die Fingerspitzen.

Zur Autorin
Foto: Frida Rose

Susanne Schäfer schreibt über Körper, Geist und Gesellschaft. Sie war auf der Deutschen Journalistenschule in München und lebt in Hamburg. Sie findet, dass die Wissenschaft helfen kann, die Fragen des Alltags und des Lebens zu klären.

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